Washington/New York. Blizzard Jonas hat an der US-Ostküste Schnee in Rekordhöhen von bis zu einem Meter hinterlassen. So sieht es nach dem Schneesturm aus.

Abends um acht in aller Seelenruhe über den Times Square zu schlendern, ohne dabei nicht über den Haufen gefahren oder niedergehupt zu werden, ist in der Stadt, die niemals schläft, eigentlich nicht vorgesehen. Bis Schneesturm „Jonas“ kam. Aus Sorge vor lebensbedrohlichen Situationen hatte New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio ein Fahrverbot verhängt und die Menschen eindringlich bekniet, nur in absoluten Notfällen vor die Tür zu gehen.

Weise Maßnahme. Der seit Freitag im gesamten Ostküsten-Korridor von Richmond bis Boston wütende Blizzard ließ bis zu seinem Verschwinden in der Nacht zum Sonntag in New York Rekord-Schneehöhen von 68 Zentimeter und legte die Metropole komplett lahm. Keine U-Bahn, kein Flugverkehr, Restaurants und Theater geschlossen. „Begraben“ titelte die Boulevard-Zeitung Daily News auf ihrer in Schneeweiß gehaltenen Seite 1. Bei strahlendem Sonnenschein begannen am Sonntag die „Ausgrabungsarbeiten“. Sie werden Tage dauern. Tauwetter ist nicht in Sicht.

Ein Schneemann steht am Tag nach dem Schneesturm Jonas am Time Square in New York.
Ein Schneemann steht am Tag nach dem Schneesturm Jonas am Time Square in New York. © imago/Xinhua | imago stock&people

Für die Hauptstadt Washington, die es während des 36 Stunden langen Flockenwirbels am schlimmsten erwischte, errechnete ein Mathematiker das theoretische Arbeitsvolumen: Um das Stadtgebiet von der bis zu 90 Zentimeter hohen Schneepracht zu befreien, wären 13 Millionen Lkw-Fuhren nötig.

Gespenstische Ruhe in der US-Hauptstadt

Die Hauptstadt glich am Samstag einer Geisterstadt. Gespenstische Ruhe. Schulen und Geschäfte waren geschlossen, große Sportveranstaltungen abgesagt, der öffentliche Nahverkehr außer Betrieb. Passanten wurden von der Polizei abgepasst, freundlich ermahnt – und nach Hause geschickt. Auf den Ausfallstraßen übernahmen Militär-Humvees der Nationalgarde, die landesweit über 2000 Kräfte im Einsatz hatte, den Transport, da wo Krankenwagen und Feuerwehr-Trucks kapitulieren mussten.

Alle sechs Stunden wuchs die Schneedecke um 20 Zentimeter. „So ergiebig war schon Ewigkeiten kein Sturm mehr“, sagte Wetterfrosch Jim Cantore. „Snowmageddon“, der letzten große Wirbel, der 2010 den damaligen NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) eine Woche in Washington im Hotel festsetzte, war mit 40 Zentimeter Schnee im Vergleich zu „Jonas“ beinahe Kinderkram.

Washington erwacht aus dem Schneesturm-Schlaf

Vom Geräusch Tausender Schneeschaufeln und Fräsen wachte das Machtzentrum der westlichen Welt dann am Sonntag erleichtert auf und war sich wie die Rentnerin Lisa Burke schnell einig: „Holy Moly! Wir sind glimpflich davon gekommen.“ Stellvertretend für viele Bürger lobte die 74-Jährige die Aufklärungskampagne der Stadt. Bürgermeisterin Muriel Browser hatte bis zuletzt gewarnt: „Dieser Sturm kann tödlich sein. Leute, bleibt bitte zu Haus.“ In Baltimore und anderen Großstädten nahm man sich ein Beispiel. Auch dort gab es Fahrverbote.

Nach ersten Bilanzen hat der in sozialen Netzwerken unter „Snowzilla“ firmierende Monster-Sturm nicht die befürchteten Riesenschäden an der anfälligen Infrastruktur ausgelöst. Im von sechs Millionen Menschen bevölkerten Großraum Washington gab es nur „einige hundert Stromausfälle“, berichteten regionale Energieversorger.

Flughafenbetrieb wohl noch bis Dienstag gestört

Nicht nur an der Küste vor New Jersey, wo Schnee und eine durch den Vollmond begünstigte Sturmflut zusammenkamen, sah die Sache anders aus. Insgesamt saßen streckenweise 200.000 Haushalte im Dunkeln. 18 Tote, darunter mehrere Herzinfarkt-Fälle bei Senioren nach Schneeschippen, meldete der TV-Sender CNN. Dazu gab es Tausende Autounfälle. Hunderte Reisende steckten in Kentucky auf der Autobahn I 75 zwölf Stunden lang in einem 60 Kilometer langen Stau fest. Die Flugaufsichtsbehörden meldeten fast 10.000 abgesagte Flüge an der Ostküste. „Erst ab Dienstag“, so ein Sprecher gegenüber der Washington Post, „wird der Betrieb wohl wieder annähernd normal laufen.“

Wie jedes Natur-Ereignis in Amerika, über das in anderen Teilen der Welt kaum ein Wort verloren würde, hat auch „Jonas“ seine Helden. Dazu gehört ohne Zweifel der im Washingtoner Zoo beheimatete Panda-Bär Tian Tian. Seine Begeisterung, als er sich durch den Tiefschnee rollte, steckte via YouTube Millionen an. Nette Worte erntete auch der seit über 300 Tagen auf der Raumstation ISS ausharrende US-Astronaut Scott Kelly. Ihm verdanken sich atemberaubende Fotos, die den Sturm aus dem All zeigen.

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Und dann wäre da noch Keith Howard. Seit 17 Jahren fährt er für die Verwaltung von Montgomery County vor den Toren Washingtons im Winter Räumfahrzeuge. Als er gestern Morgen unerwartet in Chevy Chase in eine im Schnee versunkene Nebenstraße einbog, zogen die Anwohner die Handschuhe aus - und klatschten Beifall.