Washington. In Colorado hat ein Mann in einer Frauenklinik drei Menschen getötet. Der Anschlag könnte sich gegen Abtreibungen gerichtet haben.

Sind im Kampf um den Schutz des ungeborenen Lebens in Amerika wieder Menschen gestorben? Ein 57-jähriger Mann hat sich am Freitag in einer Frauenklinik des Netzwerks „Planned Parenthood“ (PP) in Colorado Springs verschanzt und mit einem Schnellfeuergewehr vom Typ AK 47 um sich geschossen. Dabei kamen drei Menschen ums Leben, darunter ein 44 Jahre alter Polizist. Neun weitere Personen, darunter fünf Polizisten, wurden verletzt.

Nach Augenzeugenberichten kam es zu „Panik und chaotischen Szenen“. Die Klinik liegt neben einem Shopping-Zentrum. Viele Geschäfte waren am Einkaufstag „Black Friday“ gut gefüllt. Kunden, die auf Schnäppchen-Jagd waren, wurden von Querschlägern getroffen und mussten zum Teil lange auf ärztliche Hilfe warten. Der Täter gab nach fünf Stunden Belagerung durch Spezialeinsatzkräfte auf. Fernsehkameras hielten fest, wie er in dichtem Schneetreiben abgeführt wurde.

Täter sei „mental instabil“

Über die Motive des Täters wollte Peter Carey, der Polizeichef der 100 Kilometer südlich von Denver im Bundesstaat Colorado gelegenen Stadt, am Samstag nicht spekulieren. Der Mann, der als „mental instabil“ bezeichnet wird, muss sich am Montag dem Haftrichter stellen.

Für Frauen-Rechtlerinnen ist dagegen wegen des Schauplatzes der Tragödie „sehr wahrscheinlich“, dass die Attacke ein neues Kapitel in der militanten Abtreibungsdebatte darstellt. Vicky Cowart, PP-Chefin in den Rocky Mountains: „Extremisten schaffen eine vergiftete Atmosphäre, in der in diesem Land Terrorismus gedeiht.“

Sollte sich der Verdacht bestätigen, zieht sich nach Ansicht von Kommentatoren eine direkte Linie von Colorado Springs in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Dort wettern republikanische Kandidaten wie Ted Cruz und Carly Fiorina gerade massiv gegen „Planned Parenthood“, den dienstältesten Anbieter für Schwangerschafts- und Sexualberatung, Krebsvorsorge und Abtreibungen in den USA.

Abtreibung in den USA ein umstrittenes Thema

Auslöser ist ein inzwischen als getürkt entlarvtes Video von Abtreibungsgegnern. Es erweckt den Eindruck, das PP den geschäftsmäßigen Verkauf von Körperteilen toter Föten betreibt. Cecile Richards, Präsidentin von 700 Gesundheitszentren im ganzen Land, nannte die Anschuldigung in einer turbulenten Kongress-Anhörung eine „unglaubliche Lüge“. Polizeiliche Ermittlungen bestätigten sie. Die in ihrer Wählerschaft auch von religiösen Extremisten gestützten Republikaner blieben jedoch bei dem Vorwurf des „Baby-Organhandels“. Sie forderten das Ende der Bundeszuschüsse für „Planned Parenthood“ in Höhe von 500 Millionen Dollar pro Jahr. Das „Geschäft mit dem Tod Ungeborener muss sofort aufhören“, verlangten konservative Wortführer. Sie gaben damit nach Ansicht der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton in einem ohnehin aufgeheizten Klima „bedenkliche Stichworte“.

Denn kein Thema in den USA wühlt mehr Emotionen auf als Abtreibung. Nichts spaltet die Nation stärker. Erst 2009 wurde der Abtreibungsarzt George Tiller in Wichita/Kansas in einer Kirche hingerichtet. Sein Mörder gab an, „Tiller the baby killer“, den Baby-Schlächter, seiner gerechten Strafe zuzuführen. Seit der Oberste Gerichtshof in Washington 1973 Abtreibungen unter strengen Auflagen legalisiert hat, gab es nach Regierungsangaben über 7000 Bomben- und Mord-Drohungen, Brandstiftungen und Vandalismus-Attacken auf entsprechende Gesundheitszentren. Dabei wurden, einschließlich gestern, elf Menschen getötet und Dutzende verletzt.

Obama fordert härtere Waffengesetze

Wie der 1,95 Meter große und 115 Kilogramm schwere Angreifer an die Tatwaffe gelangte und warum er ausgerechnet die Einrichtung in Colorado Springs auswählte, ist den Ermittlern noch unklar. Dagegen steht nach Angaben der Lokalzeitung „Denver Post“ fest, dass die Opferzahl noch höher hätte ausfallen können. „Etliche Besucher der Frauenklinik flüchteten nach Beginn der Schießerei in einen eigens eingerichteten Schutzraum.“ Präsident Obama nahm die Bluttat zum Anlass, erneut das Dauerthema Waffen auf die Tagesordnung zu setzen. „Wir müsse etwas gegen die leichte Verfügbarkeit von Waffen für Leute tun, denen sie verwehrt bleiben müssen“, sagte Obama, „ein für allemal: genug ist genug.“