Hamburg. Das zum THW Kiel gewechselte HSV-Idol Torsten Jansen spricht im Interview über sein baldiges Karriereende.

Torsten „Toto“ Jansen bestritt in zwölf Jahren 483 Pflichtspiele für den HSV. Der Weltmeister-Linksaußen bekam dann noch einmal die Chance, beim THW Kiel seine große Karriere ausklingen zu lassen. Wäre da nicht seine Problemwade. Für Jansen, der im Dezember 39 Jahre alt wird, ist das Bundesliga-Duell am Sonntag in Kiel (15 Uhr/Sport 1) eher traurig.

Hamburger Abendblatt:Ihr alter HSV-Kumpel Matthias Flohr fand es bereits „merkwürdig“, Sie im Fernsehen auf der Kieler Bank zu sehen. Mit welcher Gefühlslage gehen Sie in das Nordderby?

Torsten Jansen: Ach, ich würde mir das Spiel am liebsten gar nicht angucken. Das wird sehr komisch. Meinem Verein, in dem ich gerade unter Vertrag stehe, wünsche ich natürlich, dass er das Spiel gewinnt, und Freunden aus meiner Seit-vier-Monaten-Ex-Mannschaft wünsche ich, dass sie ein gutes Spiel machen und sich nicht verletzen.

Wo verfolgen Sie die Partie?

Jansen: Ich sitze dann oben auf der Tribüne wie ein normaler Zuschauer. Sobald man nicht spielt, ist man gefühlsmäßig ein bisschen raus. Ich konnte noch nicht das Gefühl erleben, für den THW aufzulaufen. Ich weiß auch nicht, ob das noch mal etwas wird.

Das klingt nachdenklich. Sie haben wegen Dauerproblemen in der rechten Wade noch keine Sekunde für den THW gespielt. Was ist das für eine Verletzung?

Jansen: Wenn ich das wüsste! Es sind so viele Theorien. Ich will nicht sagen, mysteriös, ich werde ja jetzt 39, aber ich habe diese komische Wadengeschichte nun seit März immer wieder. Beim THW ging es schon nach zwei Wochen in der Saisonvorbereitung los, dass die Wade wieder fest wurde. Und wenn die Wade ganz müde ist, dann kommen manchmal noch Achillessehnenprobleme dazu. Ich war bei so vielen Ärzten, ich kann die ganzen Namen schon nicht mehr aufzählen. Im Rücken wurde zumindest etwas gefunden. Eine Bandscheibenvorwölbung, aber das haben wohl viele. Ich denke mittlerweile, dass der Körper einfach nicht mehr kann.

Obwohl Sie die Probleme schon hatten, nahmen Sie das verlockende Angebot an, als Ersatz für Dominik Klein (Kreuzbandriss) noch ein Karrierejahr dranzuhängen. Und schlugen das Jobangebot als Jugendtrainer des HSV aus. Wieso?

Jansen: Ich dachte: Wenn ich wirklich noch mal die Chance haben will zu spielen, und das beim erfolgreichsten Club in Deutschland, wäre ich bescheuert, wenn ich es nicht versuchen würde. Der Wille zu spielen war noch größer als zu sagen: Ich höre auf. Aber gerade bin ich schon in so einem Modus, dass ich mich frage: Dieser ganze Aufwand, diese Quälerei, dieses Hoffen, ob ich das tatsächlich noch ein halbes Jahr mache? Vielleicht habe ich Signale meines Körpers fehlinterpretiert oder mir so zurechtgelegt, wie ich es gern wollte. Vielleicht wollte mein Körper sagen: „Das war schön, die 16 Jahre Bundesliga, Champions League und Pipapo, aber jetzt bitte nicht mehr.“

Sie hatten früher schon Angebote aus Kiel, damals hat die Aufbauarbeit beim HSV Sie mehr gereizt. Nun haben Sie doch noch beim THW angeheuert. Wie würden Sie den Verein beschreiben, es ist ja ein großer Club, verankert in der Stadt und mit sehr professioneller Führung ...

Jansen: Genau so hätte ich es auch gesagt. Es spricht ja für sich, dass in jedem Heimspiel die Halle ausverkauft ist, und es sind über 10.000 Zuschauer, die jedes Mal kommen, egal gegen welchen Gegner. Das zeigt, welchen Stellenwert der THW in Kiel und Umgebung hat.

Welchen Eindruck haben Sie von Erfolgstrainer Alfred Gislason?

Jansen: Was ich bisher von ihm mitbekommen habe, ist, dass er ein sehr akribischer Trainer ist. Und ich mag seinen Humor, auch wenn er relativ selten zum Vorschein kommt. Wenn man so mit ihm spricht, denkt man wahrscheinlich: Oh, der ist sehr ernst. Aber er ist ein trockener, lustiger Typ – auf seine Art.

Den Titeldruck sind Sie ja vom HSV her gewohnt, oder?

Jansen: In Kiel ist es noch mal etwas anderes. Das Wort Selbstverständlichkeit wäre zu negativ behaftet, das ist so ein sich verselbstständigender Mechanismus, der sich über die Jahre des Erfolgs manifestiert hat. Natürlich hatten wir beim HSV auch hohe Ziele, aber in Kiel ist es normaler. Routiniert ist ein blödes Wort. Das ist auch keine Überheblichkeit. Der Anspruch ist einfach da.

Wie erklären Sie sich den Stolperstart des THW in dieser Saison?

Jansen: So ein Weggang von Filip Jicha wiegt schwer. Damit hat keiner wirklich gerechnet. Wenn einem so ein Spieler wegbricht, auch als Persönlichkeit, ist das nicht so leicht zu kompensieren. Und Niklas Landin konnte wegen einer chronischen Schambeinentzündung fast die ganze Vorbereitung nicht im Tor stehen, erst ganz zum Schluss.

Inwiefern hat Ihnen Ihr Weltmeisterteamkollege von 2007, Dominik Klein, beim Akklimatisieren geholfen?

Jansen: Dominik hat mir gleich Übernachtungsmöglichkeiten angeboten. Ich kenne ihn schon lange, seine Frau Isabell, seinen Sohn, seine Eltern, ihre Eltern, wir waren auch auf der Hochzeit. Wir kennen uns schon sehr, sehr gut. Aber er hatte auch eine schwierige Zeit mit seiner Verletzung.

Sie haben auch Ihre Ex-HSV-Kollegen Domagoj Duvnjak und Joan Cañellas wiedergetroffen. Im Vorjahr schienen die zwei nicht so eine dominierende Rolle zu spielen wie beim HSV. Hat sich das nach den hochkarätigen Rückraum-Abgängen um Kapitän Jicha geändert?

Jansen: Sie haben auch vorher hier schon eine dominante Rolle gespielt. Und gerade Dule spielt jetzt fast immer durch. Der kriegt auch mal eine kleine Verschnaufpause, aber ansonsten ist er der Dauerbrenner, ich hoffe, dass er durchhält, der arme Kerl. Dule ist einfach ein Instinkthandballer.

Bei Ihnen selbst sieht es so aus, als bräuchte der THW Sie gar nicht mehr.

Jansen: Ja, erstens ist (der reaktivierte, d. Red.) Dragos Oprea da, Rune Dahmke sowieso, und in den nächsten Tagen steigt Dominik wieder ins Mannschaftstraining ein. Die Frage ist, was ich in den nächsten Wochen zusammen mit einigen Verantwortlichen entscheide.

Fällt es Ihnen sehr schwer aufzuhören?

Jansen: Wem fällt das nicht schwer?

Der HSV-Fußballer Marcell Jansen schien bei seiner Entscheidung im Alter von 29 sehr mit sich im Reinen ...

Jansen: Das ist immer auch eine Frage des Verkaufens. Aber da gibt es vielleicht unterschiedliche Typen. Bei mir ist es so, dass ich das, was ich liebe, gern mein Leben lang machen würde. Vielleicht muss ich so etwas wie jetzt haben, damit ich erkenne, dass es tatsächlich nicht mehr funktioniert.

Wie fassen Sie Ihren Abschied vom HSV im Nachhinein in Worte?

Jansen: Das ist ein Kapitel, das ich für mich noch nicht zu den Akten gelegt habe. Das, was man mit vielen anderen geleistet hat, kann einem keiner mehr nehmen. Ich bin stolz, dass ich dabei gewesen bin. Und ich habe noch zu sehr vielen Kontakt.

Zu Ex-HSV-Trainer Martin Schwalb zum Beispiel, mit dem Sie früher eine Fahrgemeinschaft gebildet haben.

Jansen: Ja, natürlich, wir telefonieren und sehen uns hin und wieder. Man trifft sich auch mal im Supermarkt.

Wie sehen Sie die Entwicklung des HSV?

Jansen: Rein von den Ergebnissen sieht es ganz gut aus, ich würde auch nicht sagen, dass das überraschend ist, die haben gute Spiele abgeliefert. Ich höre auch viel Positives über den Trainer.

Sie haben im Sommer Ihren B-Trainerschein gemacht. Ist der HSV wieder eine Option für Sie?

Jansen: Dazu kann ich wenig sagen, weil wir noch nicht abschließend darüber gesprochen haben. Fest steht: Mein Lebensmittelpunkt ist in Hamburg, meine Kinder gehen hier zur Schule. Vielleicht genieße ich auch erst mal die Zeit bei meiner Familie und hantiere ein bisschen im Garten herum. Und meine Frau könnte arbeiten, sie ist Diplompädagogin und hat sich jetzt die letzten fast neun Jahre um vier Kinder gekümmert. Ich habe gut verdient die ganzen Jahre, wir haben sparsam gelebt. Es ist alles schön. Und insgesamt bin ich durch meine Karriere ganz gut durchgekommen, da muss man auch demütig sein.