Nairobi. Für nachhaltigen Safari-Tourismus holte sich die kenianische Regierung Nomaden ins Boot. Entstanden ist dadurch ein Mehrwert für alle.

George Nampaso ist besorgt. Fünf Tonnen Lebendgewicht tänzeln nur wenige Meter vom Toyota des kleinen Maasai entfernt hin und her. Der Elefanten­bulle neigt den Kopf, hebt ihn wieder, und schlackert mit den Ohren. Stampft auf. Geht zurück, stürmt wieder ein paar Schritte vor, dann wieder retour. Für die Insassen des Geländewagens eine possierliche Vorführung. Doch der Dickhäuter, in Begleitung von zwei Weibchen und einem halben Dutzend Jungtieren, will nicht nur spielen. „Eine Drohgebärde“, mahnt George, „wir müssen hier weg.“ Er streckt den Arm unter seiner rot karierten Shuka hervor, jenem quer über die Brust getragenen traditionellen Tuch, das zum Markenzeichen des ostafrikanischen Nomadenvolkes geworden ist. Der anspringende Motor schüttelt den jagdgrünen Wagen kurz durch, ein tiefes Brummen ertönt. George legt den ersten Gang ein und tritt die Flucht nach vorn an.

Allerdings nicht rasant, eher ­gemächlich – gerade so, dass seine Fahrgäste nicht übermäßig durch­geschüttelt werden. In Ruhe packen sie ihre Kameras weg, nur um sie eine Kurve weiter wieder hektisch hervorzu­kramen und in Stellung zu bringen. Drei Giraffen zupfen in sechs Meter Höhe genüsslich die Triebe einer Schirmakazie ab. Nur ihre Köpfe sind sichtbar, und jeder will das Bild seines Lebens schießen. Klick, klick, klick, das Dauerfeuer der Fotografen hallt durch die Savanne. Ein Geier im Geäst eines haushohen Leberwurstbaums guckt ­interessiert zu und fliegt dann krächzend davon.

George kann sich angesichts der Begeisterung seiner Fahrtgäste ein Grinsen nicht verkneifen. Schließlich hat der von ihm geführte Game-Drive, wie so eine Safarifahrt heißt, erst vor einer Viertelstunde begonnen. „Die kriegen noch viel mehr zu sehen“, sagt er und fährt zu einem nahen Wasserloch, wo ein Rudel Warzenschweine friedlich durch die Nachmittagssonne spaziert, umgeben von Hyänen und einer kleinen Elefantenherde.

Famose Impressionen, die Besucher in ihrer Vielfalt begeistern

Am Ende der mehr als drei Stunden ­langen Tour durch die Masai Mara, den nordwestlichen Zipfel der Seren­geti, kehren die Teilnehmer mit randvollen Speicherkarten ins Camp zurück. Dann wetteifern sie am Lagerfeuer bei einem Glas Wein oder einer Flasche Bier um das beste Motiv, die eindrucksvollste Erfahrung oder den majestätischsten Anblick. Waren es die grasenden Impalas oder doch die galoppierenden Zebras, die Gruppe Marabus oder die Paviane? Die Löwenfamilie, die sich hinter einem Busch ­geräuschvoll über eine frisch gerissene Leierantilope hermacht? Oder vielleicht doch eher die Rhinozerosse, die verträumt in einem seichten Seitenarm des mäandernden Mara-Flusses baden und scheinbar ebenfalls das Farbenspiel eines afrikanischen Sonnenuntergangs bestaunen?

Famose Impressionen, die Besucher in ihrer Vielfalt erdrücken und be­geistern, und davon profitieren auch George und die vielen anderen Maasai. Sie sind neben den Tieren – allein 470 Vogelarten bevölkern das Naturschutzgebiet, dazu mehr als 60 verschiedene Raubtierspezies – die absoluten Herrscher dieser Region. Ohne sie läuft in der 2009 ins Leben gerufenen Mara North Conservancy (MNC) nichts. Um den grassierenden Safaritourismus zu ordnen und auch die Wilderei einzudämmen – zwischen 1979 und 1989 ver­ringerte sich die Elefantenpopulation in Kenia von 85.000 auf 22.000 Exem­plare –, holte die staatliche Organisation ­Kenya Wildlife Service rund 800 Maasai-Landbesitzer mit ins Boot.

Diese verpachteten fortan ein Areal von rund 30.000 Hektar an Safarianbieter und stellten strikte Regeln auf. Anstatt zusehen zu müssen, wie auf dem weiten Grasland der Savannenlandschaft dicht an dicht Lounges und Camps aus dem Boden sprießen, wurde die Zahl der Camps und auch der Übernachtungsgäste limitiert. Laut Reglement darf im Schnitt nur ein Bett auf 350 Hektar Fläche kommen – und die lediglich zwölf existierenden Camps zahlen an die MNC eine fixe Pacht, ob sie ausgebucht sind oder nicht. Die ­Einnahmen von mehr als zwei Millionen US-Dollar jährlich landen zu einem Großteil in den Taschen und Kommunen der Maasai.

„Eine tolle Entwicklung“, bestätigt Charles Lemiso und nippt an seinem kenianischen Tee. Selbst ein Mitglied des Hirtenvolkes, leitet der Mittfünf­ziger seit 14 Jahren das Kicheche Mara Camp. Sein Arbeitsplatz, rund eine Flugstunde westlich von der Hauptstadt Nairobi, liegt irgendwo im Nirgendwo, die Zivilisation ist nur ein ferner Gedanke. Handyempfang ist rar, auf Internet wird aktuell noch verzichtet.

Klingt spartanisch und ist es auch. Der Zweck heiligt hier die Mittel, das Naturerlebnis und die Safarifahrten stehen an erster Stelle. Alle acht fest einbetonierten Zelte des Camps sind stilvoll und passend für den Bedarf eingerichtet, jedes einzelne mindestens drei Gehminuten vom nächsten entfernt. Die Küche kennt zwar nur eine Handvoll, aber dafür leckere Gerichte, und wer will, nimmt sich eine Flasche Whiskey als Schlaftrunk mit ins Zelt, ohne auf den Preis schauen zu müssen. Extrakosten gibt es hier nicht. Es gibt nicht viel, aber was es gibt, ist inklusive.

Die ungemähten Bereiche des Camps sollte man nicht betreten

Natürlich auch der Nervenkitzel. So ungewöhnlich die Mahnung von Charles auch klingen mag, dass kein Besucher die ungemähten Bereiche des Camps betreten und nach Einbruch der Dunkelheit nur mit einem Taschenlampe tragenden Maasai im Schlepptau zu seinem Zelt gehen soll: Das erste Löwengebrüll, das tief in der Nacht den Schlaf stört, gibt zu denken. Schließlich ist das Lager nicht umzäunt, nur ein kleiner Bach umfließt den Zeltplatz. „Und der hält keine Giraffen, Löwen und Leoparden ab“, versichert Charles ernst. Elefanten schon gar nicht. So manchen Morgen stapfen die größten Landsäuger der Welt seelenruhig durchs Camp.

Während derlei Begegnungen für Gäste die Highlights ihres Safariurlaubs darstellen, zucken die Maasai lediglich mit den Achseln. Der Kontakt mit wilden Tieren, „jeder von uns ist damit aufgewachsen“, sagt Charles, der gerade einem Kollegen letzte Anweisungen für den nächsten Game-Drive gibt. Doch die Zeiten ändern sich, er selbst sei dafür das beste Beispiel. Mit dem Geld, das via MNC in die ­Kommunen der Nomaden fließt, ­entsteht viel.

Der Tourismus finanziert Schulen und Einrichtungen wie das Mara Discovery Center im nahen Aitong, wo die Schüler auf ein Leben außerhalb von Steppe und Savanne vorbereitet werden. „Die Kinder lernen Englisch oder den Umgang mit dem Internet, können später einen Beruf erlernen oder auf die Universität“, schwärmt er. Oder sie arbeiten direkt für den MNC. An die 600 Maasai stehen auf der Gehaltsliste der Conservancy und verleihen mit ihrem Wissen dem nachhaltigen Safaritourismus im Mara-Naturschutzgebiet eine Art Gütesiegel. Den Umgang mit wilden Tieren habe er mit der Muttermilch aufgesogen. „Ich bin ein Maasai“, sagt er stolz und richtet sich seine Shuka. „Ich weiß das einfach.“ Und davon profitieren eben auch seine Gäste.

Tipps und Informationen

Anreise: Lufthansa fliegt als einziger Direktanbieter von Frankfurt nach Nairobi. Weiterflug zum Mara North Airstrip, von dort mit dem Jeep.

Unterkunft: z. B. von Chui Tours: drei Tage/zwei Nächte, tägliche Pirschfahrten oder Buschwanderungen. All-inclusive-Verpflegung und Transferflug von/bis Nairobi ab 1280 Euro p. P. , Interkontinentalflug exklusive.

Auskunft: Kenya Tourism Board, Kicheche Cams.