Lampaul. Ouessant ist die westlichste Insel der Bretagne. Mit ihrer Nachbarin Molène liegt sie in einem der gefährlichsten Gewässer der Welt.

Sogar die Schafe Ouessants stemmen sich gegen den Wind. Die Häuser der Insel sind so klein, dass sie ihm so wenig Widerstand wie möglich bieten. Bäume versuchen es erst gar nicht. Die Idee, auf der westlichsten Insel der Bretagne ihr erstes Windkraftrad zu errichten, schien schlüssig. Allerdings stürzte es schon bald um: Der Wind blies es davon.

„Dafür haben wir hier die kleinste Windmühle der Welt“, sagt Ondine Morin. Die 32-Jährige ist einer von vier Fischern der westlichsten Insel Festland-Frankreichs. Die anderen sind ihr Mann Jean-Dénis sowie zwei Brüder. Ondine ist auf Ouessant aufgewachsen, im Hauptort Lampaul steht das Haus ihrer Eltern neben dem der Großeltern. Früh am Morgen fährt sie mit ihrem Mann zum Fischen aufs Meer, später hilft sie ihm, an einem Stand neben der Kirche den Fang zu verkaufen. Es ist nicht nur das Leben, in das sie hineingeboren wurde. Sie hat es sich auch ausgesucht.

Sechs Leuchtfeuer Ouessants geben Schiffen Orientierung

Nachmittags zeigt sie Besuchern ihre Insel; manchmal auch abends, wenn es dunkel wird. Dann leuchten auf der Insel die Lichter von einem halben ­Dutzend Leuchttürmen, die hier und auf dem Meer Schiffe vor einem der ge­fährlichsten Gewässer der Welt warnen. Der Wind pfeift, Wolken fliegen über den Himmel.

Der Schein der Türme taucht die Welt zwischen Land und Meer in geheimnisvolles Licht. Der ­Kegel des ­Créac’h, einst der Leuchtturm mit der hellsten Strahlkraft Europas, war für Ondine das beruhigende Nachtlicht ihrer Kindheit: Es bot ihr die Gewissheit, dass da draußen nicht nur der Atlantik und sein ständiger Begleiter waren – der Wind.

Ondine hat versucht, auf dem Festland zu leben. Sie ging nach La Rochelle, einer schönen und geschichtsträchtigen Hafenstadt am Atlantik, um Kunst­geschichte zu studieren. Es funktio­nierte nicht: „Ich fand die Stadt furchtbar laut und verging vor Heimweh. Auf der Insel schafft nur die Natur Zwänge, in der Stadt alles andere.“

Man kann sich der Anziehung der Insel schwer entziehen

Doch es ist nicht leicht, auf einer Insel eine Existenz aufzubauen, deren weibliche Bewohner einst den Acker hinterm Haus bestellten, während die Männer mit der Handelsmarine auf den Weltmeeren unterwegs waren, und deren Bevölkerung heute zu 60 Prozent aus glücklichen Ruheständlern ­besteht. „Die Möglichkeiten sind sehr über­sichtlich“, sagt Ondine.

In den Straßen von Lampaul auf der Insel Ouessant scheint die Nachmittagssonne.
In den Straßen von Lampaul auf der Insel Ouessant scheint die Nachmittagssonne. © Getty Images | David Clapp

Sie fand trotzdem einen Weg. Als sie bei einem Ferienjob in Le Conquet die Fähren festmachte, die Ouessant mit dem 20 Kilometer entfernten Festland verbinden, lernte sie einen jungen Matrosen aus dem bretonischen Städtchen Quimper kennen. Als die beiden vor drei Jahren heirateten, war er bereits der zweite Kapitän auf seinem Schiff.

Jean-Dénis Morin gab einen guten Job auf, um seiner Liebsten auf ihre Insel zu folgen und Fischer zu werden. Seine Entscheidung ist auch jenseits der Liebe nachvollziehbar. So ursprünglich ist die Heidelandschaft der Insel, so ungebändigt die Kraft des Atlantiks, so magisch das Licht der fünf Leuchttürme auf und um Ouessant, dass man sich dem Zauber der wilden Insel schwer entziehen kann.

Molène wirkt lieblicher als Ouessant mit seinen schroffen Klippen

Auf der Insel Molène sieht die Welt erstaunlich anders aus. Und das nicht nur, weil es hier doppelt so viele Fischer gibt, nämlich ganze acht. Lieblicher wirkt die Insel als Ouessant mit seinen schroffen Klippen. Die Häuschen der Insulaner drängen sich über einem Hafen, der zumindest an wolkenlosen Sommertagen mit seinem türkisfarben leuchtenden, glasklaren Wasser mindestens mediterran wirkt.

Auch die Insulaner selbst unterscheiden sich von ihren Nachbarn. Während die Männer Ouessants seit ­jeher ihr Auskommen in der Handelsmarine fanden, blieben die Bewohner Molènes als Fischer daheim. Weil sie die gefährlichen Gewässer deshalb gut kannten, konnten sie sogar rund um Ouessant fischen. Das wurde dort mit Misstrauen beobachtet. „Gut, unsere Männer hatten die halbe Welt gesehen“, sagt Ondine. „Aber ein bisschen weh tat es schon, dass sie sich vor der eigenen Haustür nicht auskannten.“

Inseln und Meer stehen seit 2007 unter Schutz

Allerdings sind diese Gewässer auch so schwierig und gefährlich wie wenige andere auf der Welt. Denn Ebbe und Flut bewegen hier gewaltige Wassermassen, und die Vielzahl kleiner Inseln und die durch sie entstehenden Meeresengen befördern starke Strömungen. Kommen dann noch die schweren Stürme von Herbst und Winter oder – Hauptunfallursache – die ­Nebelbänke hinzu, die sich hier an rund 80 Tagen im Jahr bilden, ergibt sich ein Albtraum für Seefahrer.

Seit 2007 stehen Inseln und Meer als Parc Naturel d’Iroise unter Schutz. Wer in der Inselwelt mit dem Boot unterwegs ist, braucht kein besonderes Glück, um Robben und Delfine zu sehen. Eigentlich sollte der Meeresnaturpark, der sich von Ouessant im Norden bis zur Insel Sein im Süden erstreckt und Teile der bretonischen Westküste sowie die Halbinsel Crozon einschließt, sogar Nationalpark werden. Doch dann hätte man hier nicht mal mehr mit der Angel fischen dürfen.

Einsame Leuchttürme mitten im Meer

Alle sechs „Höllen“ Frankreichs ragen aus diesen Gewässern: mitten im Meer erbaute Leuchttürme, die nur per Boot zu erreichen und bei Sturm kaum zu evakuieren sind; Türme, die ob ihrer Einsamkeit und der exponierten Lage im Ozean einst manchen Wärter in Depression oder Wahnsinn trieben, heute aber glücklicherweise nicht mehr bemannt, sondern wie alle bretonischen Leuchttürme automatisiert sind.

Die fünf Leuchttürme und 13 Leuchtbojen um Ouessant sollen die Gewässer sicherer machen. Dennoch leben die Menschen auf der baumlosen Insel Ouessant seit jeher auch von dem, was ihnen das Meer bringt – häufig Wrackteile und Güter gesunkener Schiffe. „Das Meer nimmt und gibt“, weiß Ondine, deren Großvater als Fischer auf dem Meer blieb. Immer wieder wurden auf Ouessant Ertrunkene angespült.

Vor 25 Jahren verlor ein Schaff eine Ladung Quietscheenten

Auf dem Friedhof dortigen Kirche erzählen viele Grabsteine die Geschichten ver­unglückter Seeleute. Häufiger aber ­werden Kisten voller Orangen oder ein Container Schuhe angeschwemmt: ­Ladungen, die sich bei Sturm oder Schiffbruch selbstständig gemacht haben. Vor 25 Jahren verlor ein Schiff in einem schweren Sturm seine Ladung Badeenten. Ouessant wurde von Quietschtieren buchstäblich überschwemmt.

Die südöstlich der Insel verlaufende Passage du Fromveur darf seit der Havarie eines Öltankers 1980 nicht mehr befahren werden. Den Chenal du Four befahren nur die Kapitäne der Fährgesellschaft Brittany Ferries. Und auch die müssen einen Lotsen an Bord holen, um Ouessant zu passieren.

Brot wurde auf der Grasnarbe gebacken – Feuerholz gab es nicht

Das 1850 erbaute Inselmuseum, das bis 1965 ein ganz normales Bauernhaus war, wurde 1968 zum ersten Freilichtmuseum Frankreichs. Es erzählt vom Leben auf dem kleinen Flecken Erde im Atlantik. Hier sind die Möbel aus­gestellt, die die Insulaner einst aus Treibholz fertigten. Das „schmutzige Zimmer“ war dem Alltag vorbehalten, hier wurde gewohnt, gekocht, gegessen und geschlafen. Das „hübsche Zimmer“ war die gute Stube, die nur für Feste geöffnet wurde – so selten, dass dort nicht mal ein Kamin nötig war.

Das kiloschwere Brot, das für eine ganze Woche reichte, backten die Menschen auf der Grasnarbe – Feuerholz gab es ja nicht. In den wenigen Restaurants wird Salzlamm noch heute nach dieser traditionellen Methode gegart. Am Topf kleben Grashalme, wenn er den Tisch erreicht. Auch außerhalb des Museums zeugt alles auf der Insel von der Vergangenheit: außer den Halmen am Topf auch die zu Ehren der Jungfrau Maria, die die Seeleute beschützt, in ihrer Farbe Blau gestrichenen Türen, Fensterläden und Möbel; die große Kirche in Lampaul, die 1883 erbaut wurde, als 3000 Menschen auf Ouessant lebten.

Erholungssuchende entdeckten Insel als Ferienziel

Damals wurde auf der Insel nur gegessen, was hier produziert wurde; importierte Luxusartikel gab es höchstens, wenn Seemänner aus fernen Häfen zurückkamen. Das Leben war nicht leicht, und viele Familien zogen aufs Festland. Zugleich entdeckten ­Erholungssu­chende die Insel als Ferienziel. Obwohl es keine Drei-Sterne-Hotels auf Ouessant gibt und schon gar keinen Hubschrauberlandeplatz wie auf der glamourösen Atlantikinsel Ré oder der bretonischen Schönheit Belle Île, wird die 1550 Hektar große Insel ihrer rauen Schönheit wegen geliebt.

Tipps & Informationen

Anreise Wer die Anfahrt mit dem Auto scheut, kann per Flug nach Brest abkürzen – mit Air France über Paris. Die Inseln sind per Fähre ab Le Conquet, Brest und Camaret erreichbar. Fahr­pläne auf www.pennarbed.fr

Übernachten z. B. in der Hostellerie de la Pointe Saint-Mathieu in Plougonvelin, Tel. 0033/2/98 89 00 19, www.pointe-saint-mathieu.com, DZ ab 115 Euro. Molène verfügt über Ferienwohnungen, auf Ouessant gibt es zwei kleine Hotels, das Le Fromveur (DZ ab 56 Euro) und Duchesse Anne (ab 49 Euro). Auskunft: www.ot-ouessant.fr

Lektüre Von der Autorin des Artikels erschien im Picus-Verlag die „Lesereise Bretagne: Beim Leuchtturmwärter brennt noch Licht“, (132 S., 15 Euro).

Auskunft www.bretagne-reisen.de

(Mit Unterstützung durch das Comité Régional du Tou­risme de Bretagne.)