Kiew. Die Hauptstadt der Ukraine bietet viel Geschichte, eine junge Szene – und ist in diesem Jahr Austragungsort des Eurovision Song Contests.

Es ist kühl an diesem Frühlingstag auf dem Andreassteig. Der berühmte Straßenzug – der Legende nach soll hier vor 2000 Jahren der Apostel Andreas die Gründung einer christlichen Stadt prophezeit haben – verläuft wie ein lang gezogenes S und verbindet Kiews Ober- und Unterstadt. „Unser Montmartre“, so nennen die Einwohner der ukrainischen Drei-Millionen-Einwohner-Me­tropole diesen knappen Kilometer voller Stolz.

Wie in Paris stellen hier Künstler ihre Werke aus, am Abend schlendern Verliebte über die kopfsteingepflasterte Gasse. Nichts lässt an den fernen Konfliktherd Ostu­kraine denken. Straßenkunst ist angesagt, heute mit einer Gruppe singender Kinder, die ein Musikvideo aufnimmt.

Mit O.Torvald schickt das Gastgeberland des ESC erstmals eine Rockband ins Rennen. „Time“ heißt der Song der fünf Musiker. „Let’s take time to find a place without violence“ lautet eine Textstelle darin. Damit nehmen sie den roten Faden der Vorjahressiegerin Jamala wieder auf, die das Schicksal der Krimtartaren im Zweiten Weltkrieg thematisiert hatte. Beim Finale des Song Contests an diesem Sonnabend soll es auch ein Wiedersehen mit dem Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko geben. Er wurde 2015 als Bürgermeister von Kiew wiedergewählt und setzt auf den völkerverbindenden Aspekt des Wettbewerbs.

: „Musik vereint die Menschen, Länder, Kontinente. Und das ist heute besonders wichtig für die Ukraine.“ 70 Kirchen und Klöster stehen am Dnepr-Ufer

Nur gut zwei Flugstunden von Hamburg entfernt, ist Kiew für Deutsche eine fremde Welt. Doch es lohnt sich, auf Entdeckungsreise zu gehen. Das Fürstenreich Kiewer Rus gilt als Wiege des russischen Staates, von hier aus wurden die Handelswege zwischen Ostsee und Schwarzem Meer kontrolliert. Im 10. Jahrhundert erlebte Kiew seine Blütezeit, in der zahlreiche byzantinische Kirchen entstanden. Wichtigstes Heiligtum ist das Höhlenkloster, auch Lawra genannt. Die mehr als 70 Kirchen und Klöster, die sich auf dem großen Areal am Dnepr-Ufer befinden, sind in ihrer heutigen Form zumeist erst im 18. Jahrhundert entstanden.

1929 schlossen Kommunisten das ihnen verhasste Symbol des ukrainischen Geistes. Einige Kirchen wurden als Lagerräume missbraucht, andere in Museen umgewandelt. Erst seit 1988 ist der Wallfahrtsort wieder im Besitz der Kirche. Über 100 Mönche leben heute erneut in den Klosteranlagen. Die prachtvoll mit sieben goldenen, bekreuzten Kuppeln verzierte Mariä-Himmelfahrts-Kathe­drale, der Große Glockenturm und die erst in den 90-Jahren wieder aufgebaute Uspenski-Kathedrale gehören zu den sehenswertesten Gebäuden.

Wie das Höhlenkloster steht auch die Sophienkathedrale auf der Liste der Weltkulturgüter der Unesco. Nach dem Vorbild der Hagia Sophia in Istanbul errichtet, war sie die Hauptkathedrale der Kiewer Rus. Hier fanden die Inthronisierung der Kiewer Fürsten und prunkvolle Hofzeremonien statt. Es grenzt an ein Wunder, dass trotz mehrfacher Zerstörungen, wiederholter Rekonstruktionen und Erweiterungen die unschätzbaren Mosaike und Fresken erhalten geblieben sind.

Die Goldkuppelkirche wurde 1937 als historischer Müll abgerissen

Eine andere bedeutende Sehenswürdigkeit ist die Goldkuppelkirche des Hl. Michael. Im 12. Jahrhundert entstanden, wurde das Gotteshaus 1937 als „historischer Müll“, der den Nährboden für den ukrainischen Nationalismus bilde, abgerissen. Von 1997 bis 2000 wieder aufgebaut, ist der mit einer zentralen und sechs kleineren goldenen Kuppeln versehene Prachtbau der Stolz aller.

Heute feiern die Kiewer sich und die neue Zeit. Beliebter Treffpunkt ist der Krestschatik, die Promenade der Stadt. Auf fast zwei Kilometer Länge reihen sich Wohn- und Bürogebäude im stalinistischen Zuckerbäckerstil aneinander. Hier wird am deutlichsten, dass die Stadt den Sprung aus der Plan- in die Marktwirtschaft geschafft hat.

Vorbei sind die Zeiten, in denen verstaubte Auslagen das Bild der staatlichen Läden bestimmten. Elegante Boutiquen, die internationale Mode, aber auch Kreationen einheimischer Modemacher anbieten, wechseln mit Restaurants und Bars. Für Touristen sind die Preise in den Lokalen günstig – für ein gutes Abendessen mit Getränken zahlt man im Schnitt umgerechnet 15 Euro.

Viel los ist auch im Podil-Viertel mit schicken Restaurants, Cafés und Kneipen, etwa der „PR Bar“. Unbedingt probieren sollte man den Podil Apple Mule. Der Drink mit einem Schuss Apfelwein kostet weniger als fünf Euro. Schnell kommen Besucher und Einheimische ins Gespräch. Marketing-Manager Danylo freut sich, dass in Kürze die Visafreiheit mit der EU kommt. „Dann können wir einfacher in Europa reisen, und wir hoffen auch, dass mehr Besucher zu uns ins Land kommen. Ich habe das Gefühl, dass wir langsam in Europa ankommen.“

Tipps & Informationen

Anreise zum Beispiel mit Wizzair nonstop nach Kiew

Unterkunft z.B. 11 Mirrors Hotel, Ibis Kiev City Center

Buchtipp Heike M. Johenning, Reise Know-How CityTrip Kiew, 11,95 Euro

Mehr Informationen www.kiev4tourists.com, www.kyivcity.travel, www.eurovision.de