Dallas. Rund um die Metropolen Dallas und Fort Worth finden sich neben Ranchromantik reichlich Kultur, Geschichte und gemütliche Weinproben.

Peng! Wum! Bong! Es knallt metallisch und bestialisch laut neben meinem Ohr. Ein heftiger Schlag trifft meine Schulter. Vorbei. Die Tontaube fliegt weiter lautlos in den blauen texanischen Himmel. Ich bin frustriert. Und Nick schaut mich durch seine dunkel-coole Sonnenbrille verzweifelt an: „Nicht lange zielen. Nicht lange warten. Folge der Taube mit Gefühl – und drück ab!“

Ein Cowboy werde ich wohl in diesem Leben nicht mehr. Obwohl Nick – mit Kautabak und der Geduld eines Wiederkäuers – sich alle Mühe gibt, mich auf den rechten Weg zu bringen. Nick ist Texaner durch und durch, 25 Jahre alt und Cowboy auf der Wildcatter Ranch bei Graham: Cowboyhut lässig auf dem Kopf, Dreitagebart, enge Jeans und abgewetzte Stiefel. „Ich liebe meinen Job! Ich kann den ganzen Tag das tun, was ich am liebsten mache: mit dem Jeep durchs Gelände fahren, Pferde reiten, schießen, Lassotricks üben – Cowboy spielen!“ Bei so viel Freude am Job lässt es ihn auch das Greenhorn schnell vergessen, das noch nie im Leben mit einem Gewehr geschossen hat.

Ferien auf dem Bauernhof für große Jungs

Um Nick von meinen Fehltreffern abzulenken, frage ich, während er geduldig die schwere Knarre lädt: „Warum sollen die Menschen aus Deutschland nach Texas kommen, um Urlaub zu machen?“ Klack! Nick hält mir das geladene Gewehr entgegen: „Weil Texas was ganz Besonderes ist!“ Was soll ich erwidern? Ich befinde mich „Deep in the Heart of Texas“ (der Song ist eine inoffizielle Hymne). Oder sagen wir so: Nirgends sonst sind Bonanza, John Wayne und die Kiowa-Indianer so nahe. Die Wildcatter Ranch anderthalb Autostunden nordwestlich von Dallas bietet „Ferien auf dem Bauernhof“ für große Jungs – und Wellness mitten im Wilden Westen.

Nach etlichen vergeblichen Versuchen, die dämliche Tonscheibe zu treffen, nimmt Nick mir das Gewehr aus der Hand: „Okay. Das ist nicht dein Ding.“ Sein kleiner Hund tanzt um meine Füße herum und zupft mir die Schnürsenkel auf, als wollte er sagen: „Stell dich nicht so an, du Greenhorn!“ Ich frage Nick nach dem Namen des wilden Tieres. „Copenhagen“, erwidert er. Oh, interessant, denke ich. „Warst du in Kopenhagen?“ Doch Nick schüttelt den Kopf: „Nein, nein, der Hund heißt Copenhagen nicht wegen dieser Stadt in Europa, sondern weil sein Lieblingskautabak so heißt.“

110 Kilometer Radwege und Rinder auf der Straße

So sind sie, die Cowboys – immer wieder für eine Überraschung gut. Bevor ich in Dallas gelandet bin, hätte ich eine ganze Reihe von Wetten verloren. Ich hätte gewettet: Die berühmten Longhorn-Rinder stammen aus Amerika. Die großen Viehtracks in Richtung Norden haben Texas über Jahrzehnte geprägt. Texas ist ein karges Land. Und: Radfahrwege sind hier ein Fremdwort. Alles falsch.

In Fort Worth etwa – der mit 780.000 Einwohnern kleinen Schwester von Dallas – gibt es mehr als 40 Leihfahrradstationen und allein am Trinity River ein etwa 110 Kilometer langes Radwegenetz. Doch ansonsten ist Fort Worth Cowboystadt durch und durch. Vier Beine statt zwei Räder! Hier startete der legendäre Chisholm Trail, auf dem rund fünf Millionen Rinder über 800 Kilometer in den Norden nach Kansas getrieben wurden. Der Grund für die Viehtriebe hatte nichts mit Cowboyromantik zu tun: Nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg lag der Preis für ein Rind in Texas bei vier Dollar. In den Nordstaaten hingegen, in denen die Industrialisierung gerade begann, brachte ein Rind rund 40 Dollar.

Weltweit erste überdachte Rodeohalle

Auch wenn die große Zeit des Viehtriebs nur 20 Jahre dauerte – von 1867 bis 1887, in Fort Worth hat man das Gefühl, auf eine lange Tradition zu treffen. In den Verladebahnhöfen, Ställen und Schlachtanlagen sind heute Bars, Restaurants, Museen und Läden mit Western-Accessoires. Durch die Stock-yards wird zweimal am Tag von ein paar Cowboys eine – zugegebenermaßen kleine – Herde von 15 Longhorn-Rindern getrieben.

Unsere Reiseführerin kann es nicht fassen: Sie wäre im Traum nicht darauf gekommen, dass man Rodeo als Tierquälerei empfinden kann. Doch wir sind uns nach einer Stunde einig – das ist nichts für Greenhorns wie uns Deutsche. Den Pferden im Cowtown Coliseum, der 1918 eröffneten, weltweit ersten überdachten Rodeohalle, wird hinter dem Sattel ein Gürtel umgeschnallt, der offensichtlich schmerzt und sie wild macht. Erst wenn ein anderer Reiter von seinem Pferd den Gürtel löst, beruhigt sich das Pferd.

Veggie Burger? Hier wird Beef gegessen!

Zum Thema Essen spricht eine kleine ­Szene in einem der vielen und typischen Barbecue-Restaurants Bände: „Was können Sie von der Karte denn besonders empfehlen?“, fragt meine Tischnachbarin den freundlichen Texaner. Er antwortet nach einem bedeutungsschwangeren Moment des Schweigens und sagt dann: „Eigentlich alles. Mit einer Ausnahme: den Veggie-Burger. Der geht gar nicht.“

Texas ist kein Land für Vegetarier. Große Smoker – fürs stundenlange Grillen bei niedrigen Temperaturen für superzartes, würziges Fleisch – gehören zum Standard­repertoire. Ein Extrem der Beef-Besessenheit: das Cooper’s Old Time Pit Bar-B-Que in Fort Worth. Da stellt man sich draußen an, zeigt drinnen am Smoker, welche Stücke Fleisch man gern haben möchte, bekommt das Ganze aufs Papier gelegt, drängt sich mit der Schlange an den Dips, Beilagen und der Kasse vorbei – und isst dann einen Haufen wirklich leckeres Steak in einer Art riesiger Barbecue-Halle. Einen Deutschen ­erinnert das ein wenig an ein Oktoberfestzelt. Nur mit dem Unterschied: Der Schwerpunkt liegt hier beim Beef – und nicht beim Bier.

Hier wurde Kennedy erschossen

Als der Bus aus der tiefen Häuserschlucht um die Ecke bog, dachte ich: Hier war ich schon einmal. Das hier kenne ich. Und dabei war ich noch nie zuvor in Dallas: Elm Street. Dealey Plaza. Der weiße, zackige Bretterzaun vor der Bahnunterführung. Das hohe, rote Backsteingebäude. Die grüne Wiese. Die weißen Arkaden. Die graue, breite, langsam hinunterführende Elm Street. Wie Schuppen fiel es mir Sekunden später von den Augen: Natürlich war ich hier noch nie. Aber ich habe diesen Ort schon tausendmal gesehen. Im Fernsehen. Im Kino. Auf Bildern.

Auf die Straße sind auf der mittleren der drei Spuren zwei weiße Kreuze gemalt – genau an den beiden Stellen, an denen der US-Präsident von den Kugeln getroffen wurde. Die texanischen Autofahrer müssen auch mehr als 50 Jahre nach dem Attentat aufpassen, dass es hier nicht zu weiteren Verletzten oder gar Toten kommt – denn dieser historische Ort hat eine magische Anziehungskraft für alle Besucher der Plaza.

Tatort ist heute ein Museum

Menschen huschen über die Straße, fotografieren zwei weiße Pinselstriche auf dem Asphalt. Ich gehe zum Zaun am Bahndamm, dort, wo Theorien zufolge neben Lee Harvey Oswald ein zweiter Schütze vermutet wurde. Den Platz aus den unterschiedlichen Perspektiven, nach all den Nachrichtenbildern, Verschwörungstheorien und Hollywooddramen einmal direkt auf sich einwirken zu lassen – ein ganz besonderer Moment.

Ungefährlicher und weitaus erhellender als der nahe Blick auf die weißen Kreuze im Asphalt der Elm Street ist übrigens der Besuch des eigentlichen Tatorts: Das sechste Stockwerk des früheren Schulbuchlagers wurde 1989 zu einem wirklich sehenswerten Museum ausgebaut. Schauriger Höhepunkt: Die detailliert rekonstruierte Ecke an einem der Fenster, durch das Lee Harvey Oswald das Attentat auf John F. Kennedy verübte.

Shoppingmall, die gleichzeitig Museum ist

Aber es geht auch sehr lebendig in Dallas zu: Die Straßenblocks von Deep Ellum (ein früherer Sklavenmarkt) sind das junge Szeneviertel der Stadt. Vielleicht vergleichbar mit dem Berliner Prenzlauer Berg oder dem Schanzenviertel in Hamburg: Street-Art, Bars, Musikklubs, Minibrauereien und Kunstgalerien gibt es hier zuhauf. Ein wirklich ungewöhnliches Einkaufserlebnis bietet übrigens das Northpark Center in Dallas: Das 50 Jahre alte Einkaufscenter ist gleichzeitig eine riesige Kunstausstellung.

Bauherr Raymond D. Nasher brachte hier Anfang der 60er-Jahre Teile seiner riesigen Kunstsammlung unter – später baute er in der Innenstadt darüber hinaus für weitere seiner Kunstwerke noch ein Skulpturenmuseum. Die breiten Gänge des riesigen Centers muten eher an ein Museum an als an eine Shoppingmall. Gezeigt werden neben Waren von Hugo Boss, Macys oder Nike auch Kunstwerke von Andy Warhol, Joel Shapiro oder Frank Stella.

Weinproben in alten Villen

Überhaupt bietet die Region Dallas/Fort Worth eine Menge für Kunstinteressierte: Der Art District in Dallas ist der größte Kunstbezirk in den USA mit diversen Museen und Theatern, und auch im benachbarten Fort Worth gibt es gleich eine ganze Reihe von Kunstmuseen, und im Kimbell Art Museum ist unter anderem das einzige Werk von Michelangelo auf amerikanischem Boden zu sehen.

Und noch etwas: Der kleine Ort Grape­vine nahe dem Flughafen Dallas-Fort Worth überrascht mit einer überraschend hohen Dichte an Winzern. Die eigentlichen Weinreben wurden vom Megaflughafen verdrängt, doch im Ort gibt es teilweise in alten Villen wunderbare texanische Weinproben.

Texas ist so etwas wie das Bayern Amerikas

Am Ende einer Woche ohne Treffer auf Tontauben, aber mit Biersorten wie „Guns and Oil“ oder „Dead Brain“, mit herzlichen Typen wie Nick, erschreckendem Rodeo, unverhofften Kulturschätzen, saftig grünen Wiesen und sagenhaften Steaks denke ich: Texas ist – und ich hoffe jetzt, dass mich keiner meiner hoffentlich vielen Leserinnern und Leser an Donau, Isar, Iller missversteht – das Bayern Amerikas. Geprägt durch landwirtschaftliche Arbeit, mit starken Traditionen, großem wirtschaftlichem Erfolg, mit unglaublichem Selbstbewusstsein, einer starken Neigung zum Eigenbrötlern – und vor allem ganz anders als der Rest der Welt.

Tipps & Informationen

Anreise zum Beispiel mit Lufthansa über Frankfurt oder British Airways über London nach Dallas.

Die Ranch www.wildcatterranch.com

Auskunft www.traveltexas.com/de, Fort Worth: www.fortworth.com,
Museum der Frauen im Wilden Westen: www.cowgirl.net,
historisches Rinderviertel: www.stockyardsstation.com,

Dallas www.visitdallas.info, John F. Ken­nedy Museum: www.jfk.org

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durchTexas Tourism.)