Havanna. Auf der Karibikinsel sind viele historische Züge unterwegs – darunter Schienenbusse, die als „Ferkeltaxis“ Dörfer in der DDR verbanden.

„Es dauert noch. Der Lokführer ist noch nicht zurück“, ruft Jorge Garcia durch den Waggon. Einige Augenblicke später klettert Ernesto Fernandez schweiß­gebadet von seinem klapprigen Zweirad. Die 20-minütige Pause am Bahnhof Sopimpa nutzte er für ein kurzes Mittagessen in der heimischen Küche. Hilfsbereite Dorf­bewohner bugsieren seinen Drahtesel in den altersschwachen Dieseltriebwagen und verstauen ihn in der rückseitigen Fahrerkabine, die wie ein Ersatzteillager wirkt. Ernesto hastet in den Führerstand des dunkelgrünen Vehikels. Energisch betätigt er die Hupe, denn vor ihm passieren ein Reiter und zwei Pferdegespanne den Bahnübergang. Dann rumpelt das „Ferkeltaxi“ über die zugewachsenen und durch karibische Hitze verformten Gleise.

Es gibt nur wenige Sitzplätze, weshalb die meisten Fahrgäste stehen müssen oder zwischen Einkaufstaschen, einem Korb mit piepsenden Küken und einem alten Röhrenfernseher auf dem Boden hocken. Einige machen es sich auf der Einstiegstreppe bequem und lassen ihre Beine durch die rostigen Türen nach draußen baumeln. Jorge Garcia lehnt lässig vor einem verwitterten, aber gut lesbaren Schild der Deutschen Bahn: „Damit Sie nicht im Regen stehen. Wer mit dem Zug fährt, braucht einen gültigen Fahrschein.“ Den kann man während der Fahrt beim Schaffner kaufen – statt Regenwetter herrschen an diesem Vormittag 35 Grad auf der Zuckerinsel.

Anwohner kommen mit Pferd und Wagen zu Stationen

Englischlehrer Jorge wischt sich die Schweißperlen von der Stirn. Dreimal pro Woche nehme er die schaukeligen 20 Kilometer von der kubanischen Kleinstadt Fomento ins abgelegene Bergdorf Sopimpa auf sich, erzählt er. 66 sei er und längst pensioniert, aber er liebe es, Kinder zu unterrichten, da er nie eigene hatte. Zudem kann er das Zubrot zur kargen Rente gut gebrauchen. „Viele jüngere Kollegen wandern in den boomenden Tourismus ab. Deshalb herrscht Lehrermangel in Kuba“, sagt Jorge. Und ergänzt: „Im Tourismus kann man an einem Tag durch Trinkgeld mehr verdienen als in einem Monat im Schuldienst.“

Ein Auto können sich in diesem kargen Hinterland rund 350 Kilometer östlich der Hauptstadt Havanna nur wenige leisten. Kaum ein amerikanischer Oldtimer aus Zeiten vor der Revolution, der sich auf die Sandpiste neben dem einspurigen Gleis verirrt. Mit Pferd und Wagen lassen sich die Dorfbewohner von den Haltestellen nach Hause kutschieren. Vor dem hellblauen Wartehäuschen in Torres fängt der in Görlitz in der ehemaligen DDR gebaute Reichsbahnschienenbus unerwartet an zu mucken. Der Kompressor für die Druckluftbremse meldet ein Problem. Lokführer Ernesto öffnet den Deckel des antiquierten Steuerkastens im Fahrgastraum und fängt an, hier und da zu schrauben und noch mehr zu schwitzen.

Längst ist die Zeit der „Ferkeltaxis“ in Deutschland abgelaufen. Vereinzelt sind sie noch als Museumsbahnen unterwegs. Viele wurden ins Ausland – nach Spanien, Rumänien, Brasilien oder Kuba – verkauft. Auf der Insel führen sie, neu lackiert, wieder ein sozialistisches Dasein. Diesmal unter Palmen. Der Name entstand, da diese Art Schienenbusse in Ostdeutschland hauptsächlich auf Nebenstrecken in ländlichen Gebieten eingesetzt waren. Dieses „Ferkeltaxi“ war nach der Wende auch noch einige Jahre als DB-Regionalbahn in Sachsen-Anhalt auf der Schiene, wie auf einem übermalten Blechteil deutlich zu erkennen ist.

Schienenbus schafft die 50 Kilometer bis Santa Clara mühelos

Plötzlich quiekt und brummt das „Ferkeltaxi“ wieder und beweist, dass diese Wertarbeit aus Deutschland unverwüstlich ist. Gemächlich rattert es vorbei an grasenden Kühen, gackernden Hühnern, Bananen- und Mangobäumen und weiteren blassblau schimmernden Wartehäuschen. Hinter Fomento nimmt die Bahn wieder richtig Fahrt auf und schafft die rund 50 Kilometer bis Santa Clara, dem Pilgerort für Che-Guevara-Wallfahrer, mühelos.

Kurz vor Einfahrt in den Bahnhof befindet sich neben dem Gleis ein Gedenkpark für den Anschlag auf den „Tren Blin­dado“. Diesen mit Soldaten und Munition beladenen gepanzerten Zug der Regierungstruppen stoppte „Che“ Ende Dezember 1958 mit Molotowcocktails, was zum endgültigen Sieg der Rebellen um Fidel Castro führte.

Mehrere Dampfloks, die früher das Zuckerrohr von den Feldern zu den Fabriken transportierten, warten in Trinidad auf ihre Reinkarnation, um irgendwann wenigstens wieder für Touristen schnaufen zu dürfen. „Wer glaubt, dass Kuba noch unter Dampf steht, der liegt falsch“, sagt Oswaldo Hernandez: „Einige wenige schwarze Rösser kommen während der Erntezeit zum Einsatz, aber Diesellokomotiven und vor allem Lastwagen haben den Transport übernommen. Überall im Land kann man ausgemusterte Loks an Bahnhöfen, markanten Plätzen oder in Parks finden.“ Der 72-Jährige war vier Jahrzehnte als Dampflokführer tätig. Nun verbringt er einige Stunden am Tag zwischen den amerikanischen Baldwins, die vor rund 100 Jahren in Philadelphia das Licht der Schienenwelt erblickten, und wartet auf Besucher, denen er gegen ein paar Peso aus vergangenen Zeiten vorschwärmen kann.

Kuba hat ein Streckennetz mit 1435 Millimetern Spurweite

„Durch das seit 1960 bestehende Embargo der Amerikaner und letztendlich nach dem Rückzug der Sowjetunion als Unterstützer der kubanischen Wirtschaft nach der Wende war die hiesige Zuckerproduktion in den völlig veralteten Fabriken Anfang der 90er-Jahre nicht mehr konkurrenzfähig. „Sie ist auf ein Drittel der ursprünglichen Menge zusammengeschrumpft“, berichtet Oswaldo: „In einigen ehemaligen Zuckermühlen bietet man inzwischen Dampflokfahrten für Touristen an.“

Vor dem erloschenen Schornstein der Central (Zuckerfabrik) Australia bei Jaguey Grande in der Provinz Matanzas dampft ein ölverschmiertes Stahlross. Hier genießen Gäste in Aussichtswaggons eine drei Kilometer lange Route durch brachliegende Felder, die mit einem frisch gepressten Zuckerrohrsaft endet. In der 1999 geschlossenen Central Marcelo Salado bei Remedios im Nordosten der Insel gibt es ähnliche Touren. Zusätzlich entstand ein sehenswertes Industriemuseum, in dem anhand originaler Geräte der Zuckerproduktionsprozess veranschaulicht wird. Unter Palmen glänzen rund 40 nicht mehr betriebsbereite „alte Damen“, die in den Plantagen im Einsatz waren, um die Wette.

„1837 legte Kuba als sechstes Land der Welt eine Eisenbahnlinie an. Nur in einigen Ländern Europas und in den USA dampfte es noch etwas früher“, erzählt Mariecel Rodri­guez. Sie ist bei der staatlichen Eisenbahngesellschaft „Ferrocarriles de Cuba“ in Havanna als Transport-Managerin tätig. „Überwiegend verfügt Kuba zwischen Guane im Westen und Guantanamo im Osten der Insel über ein normalspuriges, meist eingleisiges Streckennetz mit 1435 Millimetern Spurweite.“

Ein Bummelzug aus Russland fährt auf der ältesten Strecke der Insel

Um die sattgrüne Tabakregion bei Pinar del Rio oder die Containerhafenstadt Mariel zu erkunden, besteigt man einen betagten russischen Bummelzug, einen „Lechero“ (Milchmann), an der Estacion 19 De Noviembre. So befährt man ein Teilstück der ältesten Bahnlinie von 1837. Wie in fast allen Bahnhöfen sind die Abfahrts- und Ankunftszeiten auf einer riesigen Wandtafel handgeschrieben. Wenn die Lok nicht defekt und der Diesel nicht ausgegangen ist, werden die Zeiten sogar eingehalten. Ansonsten fährt der Zug eben später oder gar nicht.

Die einzige Elektrobahn startet vom Bahnhof Casablanca unterhalb der weißen Christusstatue gegenüber Havannas Altstadt. Doch aus den rosigen Zeiten des „Hershey Trains“ sind längst rostige geworden. „Der amerikanische Schokoladenhersteller Milton Hershey kaufte Anfang des 20. Jahrhunderts Ländereien zwischen Havanna und Matanzas an der Nordküste, um Zuckerrohr anzubauen“, sagt Lokführer Francisco Avila. „Er ließ fünf Fabriken errichten. Zum Einfahren der Ernte setzte Hershey auf Elektroloks. Er erhielt die Auflage, die abgelegene Gegend für den Personenverkehr zu erschließen.“

Eine letzte Bahnfahrt ist von Sancti Spiritus in den Hafenort Tunas de Zaza geplant. „Tren cancelado“, sagt die blonde Fahrkartenverkäuferin hinter der halb geöffneten Glasscheibe am Schalter und zuckt mit den Schultern: „Die russische Diesellokomotive ist defekt. Eine Ersatzlok steht nicht zur Verfügung. Auch der Abendzug fällt aus.“ Nur ein grüner Triebwagen rollt pünktlich aus dem nördlich gelegenen Siguaney ein: ein Ferkeltaxi, das einst in Thüringen im Einsatz war. Auf „Made in Germany“ ist auch auf Kuba Verlass.

Tipps & Infos

Anreise z. B. mit KLM über Amsterdam, Air France über Paris oder Air Berlin über Düsseldorf nach Havanna.

Pauschal Das Eisenbahnabenteuer Kuba haben einige Veranstalter im Programm, z. B. Bahnreisespezialist Lernidee: 15 Tage in Kleingruppen ab 3180 Euro pro Person. Ähnliche Touren bieten auch Ameropa, Meyer’s Weltreisen, Cuba4­Travel, Miller Reisen, Comundus und Nostalgiereisen.

Auskunft Fremdenverkehrsbüro Kuba, Tel. 030/44 71 96 58, www.cubainfo.de, www.autenticacuba.com

(Die Reise wurde unterstützt von Lernidee Erlebnisreisen.)