San José. Costa Rica ist berühmt für seine Strände und Nationalparks. Wenn nicht gerade Schildkröten-Saison ist, locken Abenteuer im Regenwald.

Es regnet. Wolkenbruchartig entlädt sich der graue Himmel, die Geräusche der Nacht – kreischende Vögel, schnalzende Geckos, ­Meeresrauschen – werden übertönt vom gleichförmigen Pladdern. Am Horizont dämmert es bereits, es ist 5 Uhr morgens, in einer halben Stunde wollen wir los zu einer Bootstour im Tortuguero Nationalpark an der Karibikküste von Costa Rica. Unser Reiseführer Alejandro Castro, den alle nur Alex nennen, beruhigt: „Das zieht vorüber!“ Und tatsächlich kommt wenig später die Sonne hinter den Wolken hervor, alles glänzt wieder wie frisch gereinigt in sattem Dschungelgrün.

Turismo naturalista, Ökotourismus, das ist es, was Costa Rica, das Land zwischen ­Nicaragua im Norden und Panama im Süden, für Reisende interessant macht. Natürlich auch die weißen Strände an der Karibik- und Pazifikküste. Die relativ hohe politische und wirtschaftliche Stabilität lässt manche gar von der „Schweiz Zentralamerikas“ sprechen. Dazu passt der Spruch, der auf T-Shirts steht: „Bei uns haben nur Schildkröten Panzer.“ Tat­sächlich hat Costa Rica 1949 seine Armee aufgelöst, sich gewissermaßen unter den Schutz der USA ­begeben. Das so eingesparte Geld wird in Erziehung, Gesundheit und Lebenshaltung ­investiert. Und in Tourismus, in­zwischen der größte Devisenbringer des Landes, das bis vor wenigen Jahren noch über­wiegend vom ­Export von Kaffee, Zuckerrohr und Bananen lebte.

Bedrohte Schildkröten sind große Attraktion

Knapp 35 Prozent des Landes stehen heute unter Naturschutz, drei Prozent davon sind tropischer Regenwald. Hier sind 50 Prozent aller einheimischen Pflanzen und Tiere zu Hause. Vor allem US-Amerikaner und Kanadier landen nach nur wenigen Flugstunden in der Hauptstadt San José. Die aufwendigere Anreise aus Europa unternehmen in erster Linie die Deutschen, gefolgt von Spaniern, Franzosen und Engländern; sie wollen schwimmen, schnorcheln, wandern und die Natur genießen.

Tortuguero ist nur mit dem Boot zu erreichen. Knapp zwei Stunden dauert die Fahrt auf dem in vielen Windungen dahinfließenden Dschungelfluss, hier mal ein schmaler Seitenkanal, dort eine Hütte, ein Boot. „Se vende“ – zu verkaufen. Das ehemalige Fischerdörfchen liegt auf einer Landzunge zwischen einem Kanal und dem Meer. Beides übrigens nicht zum Baden geeignet: In dem einen schwimmen Krokodile und Kaimane, in dem anderen herrscht eine starke Unterströmung.

„Land der Seeschildkröten“ heißt Tortuguero übersetzt, und diese bedrohten Tiere sind eine der Attraktionen. An dem knapp 30 Kilometer langen Strand legen sie ihre Eier, 3000 weibliche Schildkröten kommen pro Jahr. Seit 1952 stehen sie unter besonderem Schutz. Nur unter strenger Aufsicht dürfen sie beobachtet werden. „Wie oft kann man das Fleisch, den Panzer von Schildkröten verkaufen? Und wie oft kann man Besucher an den Strand zu den Schildkröten führen?“ Alex’ rhetorische Frage zeigt, worauf es in Tortuguero ankommt: Fast jeder der 1200 Bewohner ist im Tourismusgeschäft, sei es in den Hotels, in den Restaurants, den Souvenirshops, als Bootsführer. Jetzt, im April, ist keine Turtle Season, dafür bleibt Zeit für die zweite Attraktion: Touren durch den Regenwald, geführt, denn nur dann versteht man die Schönheit dieses Immergrüns wirklich.

Affen haben an der Karibikküste ein tolles Leben

„Der frühe Morgen ist die beste Zeit, um Tiere zu entdecken“, muntert Alex uns auf. „Frühstück gibt’s später.“ Schon am Bootsanleger entdecken wir einen Tigerreiher, zu erkennen an dem langen gelben Hals. Langsam tuckern wir in einen der unzähligen Kanäle, die einst gebaut wurden, um aus dem Regenwald wertvolle Hölzer abzutransportieren. Kaum zu sehen, aber nicht zu überhören sind die Brüllaffen, ihr Schreien tönt bis zu drei Kilometer weit. Leichter zu entdecken sind die weißgesichtigen Kapuzineräffchen. „Affen haben an der Karibikküste ein tolles Leben“, sagt Alex. „Sie finden genau das Fressen, das sie mögen.“ Der 40-Jährige, der perfekt Englisch spricht, versteht es, die Gruppe für seine Heimat zu begeistern.

Einfach mal abhängen: Kapuzineraffen fühlen sich im Regenwald von Costa Rica pudelwohl.
Einfach mal abhängen: Kapuzineraffen fühlen sich im Regenwald von Costa Rica pudelwohl. © LightRocket via Getty Images | Wolfgang Kaehler

Doch im grünen Paradies lauern auch Gefahren. Gefahren, die so klein sind, dass nur geschulte Augen sie erkennen. Das prächtig gefärbte Erdbeerfröschchen zum Beispiel, ­etwa so groß wie eine Euromünze, ist stark giftig. Ebenso wie der grün-schwarze Baumsteiger, der zu den Pfeilgiftfröschen gehört. Intensiv sucht Alex die Bäume nach einer ziemlich giftigen Palmenviper ab, unbedingt will er uns die nachtaktive Schlange zeigen. Plötzlich, auf dem parallel zur Karibikküste verlaufenden Wanderweg im Cahuita Nationalpark, bleibt er stehen: „Bewegt euch nicht, keine Erschütterungen!“ Ein etwa 70 Zentimeter langes Exemplar in leuchtendem Gelb hat sich um den Ast eines Baumes geschlungen. Ganz langsam kommen wir näher, die Teleobjektive werden so weit wie möglich ausgefahren. Kurz danach entdeckt Alex unser erstes Faultier. Hoch oben in der wenig belaubten Krone eines Ameisenbaums hängt es mithilfe der drei starken Krallen nach unten.

Dass etwa ein Drittel aller Besucher „bird watcher“ sind, brachte die Bribri-Indianer ins Geschäft mit dem Tourismus. Rund 1000 der 12.000 Bribri von Costa Rica leben in einem Reservat nahe Puerto Viejo de Talamanca, ein beliebtes Ziel bei Surfern und Rucksackreisenden. „Veche kena?“ – wie geht’s? – begrüßt uns Alex Paéz Balma. Dass auch er Alex heißt, führt zunächst zu Verwirrungen. Ebenso, dass er keinen indigenen Namen hat. Dem 36-Jährigen gehört eine Organisation, die englischsprachige Touren durch das Reserva Indigena Kékoldi anbietet. „Mitchca – let’s go“ – lasst uns losgehen. Alex marschiert auf einen Kautschukbaum zu, ritzt mit seiner Machete in den Stamm. Zäh fließt der Gummisaft heraus. „Mein Volk hat Kerzen daraus gemacht“, erklärt der Indianer. Er kennt jeden Baum und Strauch, weiß ob der medizinischen Bedeutung einzelner Pflanzen, welche Luftwurzeln für Körbe, welche für Matten und welche zum Hausbau geeignet sind. Er warnt aber auch: „Manche Baumrinden, Blätter, Farne können Schmerzen verursachen.“

Birdwatching ist auch rund um den Vulkan Arenal beliebt

Unsere dreistündige Wanderung führt vorbei an einem Aussichtsturm, bei gutem Wetter kann man von hier angeblich sowohl die Karibik als auch den Pazifik sehen. Unser Zwischenstopp ist im neu errichteten Gemeindezentrum der Bribri. Sebastian Hernandez hat ein typisches Mittagessen vorbereitet: Reis, Hühnchen, Brokkoli, Linsen und Saft von der Tamarinde, der erfrischend säuerlich schmeckt. Sebastian kocht nicht nur, er ist auch der Architekt und Bauherr des Community Center. 24 Bäume mussten dafür gefällt werden. „doch es macht nichts, wenn du einen Baum fällst, solange du einen neuen pflanzt“, so der 44 Jahre alte Indianer. Er selbst habe 2400 neue Bäume gepflanzt.

Sebastian hatte auch die Idee, das Kéköldi Reservat zu einem Ziel für Vogelliebhaber zu machen: „Neben Veracruz in Mexiko und Israel ist dies hier der beste Ort, um Zugvögel zu beobachten.“ Fünf Millionen Vögel fliegen jährlich an der Karibikküste entlang, im September/Oktober Richtung Süden, im April nordwärts. 2004 berichtete die Zeitschrift „National Geographic“ über das Kéköldi Reservat, seitdem kommen immer mehr, auch Freiwillige, die Sebastian bei der Zählung unterstützen.

„Birdwatching“ ist auch rund um den Vulkan Arenal in der nördlichen Tiefebene beliebt. Rotbauchguane, Zimtbrustmotmot, Baumsteiger, Kolibris sind rund um den mehr als 1600 Meter hohen Berg zu entdecken. Der Arenal ist ein Bild von einem Vulkan, ein perfekter kahler Kegel, der kleine Rauchwölkchen ausstößt. Auch wenn er seit 2010 nicht mehr aktiv ist: Eine Besteigung ist derzeit verboten. Das heiße Wasser aus seinem Innern aber speist noch immer die Thermen rund um den Arenal – es ist schon ein bisschen verrückt, bei 30 Grad Außentemperatur in fast ebenso warmem Wasser zu planschen. Durch den Parque Nacional Volcán Arenal zieht sich ein Netz aus Hängebrücken. Wir wandern auf dem „Dach“ des Regenwaldes. Oder fliegen darüber hinweg. „Zip-lining“ nennt sich das Abenteuer: Mehrfach gesichert hänge ich an einer 750 Meter langen Seilverbindung und rase mit knapp 50 Stundenkilometern über die Baumwipfel und Schluchten hinweg. Frei, unbeschwert.

„La pura vida“, wörtlich übersetzt „das reine Leben“ ist das Motto der Costa Ricaner. Die gastfreundlichen „Ticos“ gelten als die glücklichsten Menschen von Südamerika. Es ist ebenso eine Aufforderung: Bleibe heiter und gelassen. Auch wenn es mal regnet.

• Tipps & Informationen

Anreise: Von Hamburg z. B. mit United über Newark oder mit Air France über Paris zum Flughafen San José. Von Berlin aus z. B. mit Lufthansa über Frankfürt oder mit Airberlin und American Airlines über Chicago.

Pauschalreisen: Achttägige Rundreisen bei allen großen Reiseveranstaltern (z. B. Meiers Weltreisen oder Dertour ab 1200 Euro (ohne Flug); Kéköldi Reservat: Alex Paéz Balma, Orök Wak Ka Nonprofit Organization, Kontakt über E-Mail an manakinguia@hotmail.com.

Allgemeine Informationen: www.visitcostarica.com

(Diese Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband Costa Rica, ICT – Instituto Costarricense de Turismo)