Cagliari. Der Maddalena-Archipel bei Sardinien mit fast 70 Inseln und seinem umliegenden Gewässer wurde schon 1994 zum Nationalpark erklärt.

In einer von Felsen umrahmten Sandbucht steht Paolo Sardo knietief im flachen Meer. Er hält ein Stückchen Weißbrot ins durchsichtige Wasser und lockt damit Schwärme von kleinen Fischen an. Sie scheinen an seiner Hand zu kleben, wenn er sie hin- und herbewegt. Eine Gästegruppe um ihn herum lacht vergnügt und ahmt es gleich nach, bevor sie zu sechst plus kundiger Begleitung in Paolos Schlauchboot steigt. Er bringt sie in tieferes Gewässer zu ihrem Ausflugsschiff, winkt noch mal und kehrt zurück zu seiner kleinen Strandbar.

Seit 1984 arbeitet Paolo im Familienhotel Valle dell’Erica an der zerklüfteten Küste im Norden Sardiniens. Damals gab es hier nur 27 Bungalows, erzählt der 58-Jährige, der in T-Shirt, Shorts und Sandalen hinter dem Tresen steht. Im Jahr 2003 übernahm ein Freund der Familie das Hotel und verwandelte es in ein weitläufiges Fünf-Sterne-Resort, das sich behutsam in die kilometerlange unbebaute Küste mit zahllosen Strandbuchten einfügt. Fast in Sichtweite des Valle dell’Erica liegen die Inseln des Maddalena-Archipels, sieben größere und mehr als 60 kleinere Eilande, nur zwei sind bewohnt. Schon 1994 wurde die Inselgruppe samt umliegendem Gewässer zum Nationalpark erklärt.

Man fühlt sich wie in der Karibik

Den sardischen Archipel mit einem Boot zu erkunden, ist ein fantastisches Erlebnis. Verstreut im türkisfarbenen Meer tauchen die schroffen Felseninseln auf und locken mit halbmondförmigen weißen Stränden. Spätestens beim ersten Badestopp vor der winzigen Insel Razzoli fühlt man sich wie in der Karibik. Niemand sonst ankert dort. Danach ein Gläschen Weißwein an Bord, und weiter geht es zur Insel Budelli, berühmt für ihren rosafarbenen Korallenstrand. Um ihn zu schützen, darf er nicht mehr betreten werden. Tourbegleiterin Alessandra sagt, dort bewache ein Wärter den Strand seit 20 Jahren. Auch auf der unbewohnten Insel Spargi gelten strenge Naturschutzregeln. Im fantastisch klaren Wasser zur Cala Soraya zu schnorcheln, einer von Granitfelsen und Macchia gesäumten Bucht, sich auf dem weißen, warmen Sand auszustrecken ohne Scharen von Touristen um einen herum – wer hätte das im gut besuchten Sardinien für möglich gehalten.

Ein reizvoller Kontrast ist wenig später La Maddalena auf der größten Insel des Archipels mit seiner maritimen Atmosphäre einer quirligen italienischen Hafenstadt. Etwa 12.000 Menschen leben in diesem einzigen Ort der Inselgruppe. In früheren Jahrhunderten war er wegen seiner strategischen Lage umkämpft. 1793 versuchten die Franzosen vergebens, mit einer Flotte von 20 Schiffen La Maddalena zu erobern, mit an Bord der junge Napoleon Bonaparte. Erfolgreicher war der englische Admiral Nelson, der hier 1803/1804 sein Hauptquartier aufschlug. Heute spaziert man durch granitgepflasterte Gässchen an restaurierten Palazzi mit schmiedeeisernen Balkonen vorbei oder bummelt nahe der Anlegestelle durch die Palmenpromenade der Piazza Umberto I. La Maddalena ist durch eine sechs Kilometer lange Brücke mit der gegenüberliegenden Insel Caprera verbunden, dem einstigen Wohnsitz des legendären italienischen Revolutionärs Guiseppe Garibaldi, an den ein Museum erinnert.

Vis-à-vis der Südspitze von Caprera liegt Capo d’Orso, das „Bärenkap“, ein bizarr erodierter Felsen 120 Meter hoch über dem Meer in der Form eines Bären, seit jeher sagenumwoben. Hier beginnt weiter östlich die viel bebaute, luxuriöse Costa Smeralda, die „Smaragdküste“. In nördlicher Richtung führt eine Küstenstraße mit herrlichen Ausblicken nach Santa Tereza di Gallura, dem nördlichsten Städtchen Sardiniens. In Sichtweite ist Korsika zu erkennen, Bonifacio ist nur zwölf Kilometer entfernt und täglich per Fähre zu erreichen.

Auch das Hinterland lohnt einen Besuch

Weit mehr Touristen als Einwohner bevölkern in der Hauptsaison die Cafés, Restaurants und Läden in den pastell­farbenen Häusern der schnurgeraden Straßen. Sie laufen auf einem zentralen Platz zusammen, wo am späten Nachmittag die älteren Bewohner in einer Reihe sitzen und den Fußball spielenden Jungen und den kleinen Mädchen mit ihren Puppenwagen zuschauen. Ruhiger ist es ein Paar Schritte weiter auf der Piazza Libertà, dem Aussichtsbalkon des Städtchens. Der Blick geht zur Küste auf die Torre di Langosardo, den spanischen Küstenwachturm aus dem 16. Jahrhundert, der auf einem vorgelagerten Kap thront. Nur einen Katzensprung von Santa Teresa entfernt liegt die Felshalbinsel Capo Testa, eine uralte Granit­wildnis mit riesenhaften, aufgetürmten Steinblöcken von überwältigender Formenvielfalt, wie kein Bildhauer sie jemals hinbekäme. Am Ende des Kaps steht der ehemalige Leuchtturm.

Zum Norden Sardiniens gehört unbedingt ein Ausflug ins bergige Hinterland der Gallura. Besonders empfehlenswert ist ein Besuch des charmanten Bergdorfs Aggius mit seinen schmalen Gassen und blumengeschmückten Steinhäusern. An manchen Mauern sind Kunstwebstühle zu sehen, deren Schatten die Bewegung des Webens nachahmen – ein Handwerk, das hier bis heute eine beson­dere Rolle spielt.

Im Ethnografischen Museum von Aggius sind die Teppiche und Textilien mit Mustern und Symbolen, die noch aus byzantinischer Zeit stammen, zu bestaunen. Es ist eines der größten Volkskundemuseen der Insel mit einer Fülle von Exponaten zur sardischen Volkskultur, angefangen bei der Einrichtung eines traditionellen galluresischen Hauses, über Arbeitsgeräte, Musikinstrumente bis zur Kräuterfärberei.

Weiße Yachten vor den schönsten Stränden

Ganz in der Nähe liegt auch das Museo del Banditismo. Dass dieser romantische Ort bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine Hochburg von Banditen und Räubern der Gallura war, ist heute kaum nachvollziehbar. Streift man durch die stillen, verwinkelten Gassen, sieht man alte Leute vor ihren Türen sitzen, die freundlich lächeln und grüßen. Zwischen Treppen und Steinmauern stößt man mit ein bisschen Glück auf das kleine Restaurant Il Mosto, wo Wirt Gian Mario seinen Gästen einen Apéritif mit sardischen Köstlichkeiten serviert – darunter selbst eingelegte Artischocken, Kräuterpesto, Schinken, Pecorino- und Perettakäse, hauchdünnes Brot und dazu einen honigfarbenen Weißwein Fermentino di Gallura.

Zurückgekehrt ins Valle dell’Erica zieht es die Gästegruppe noch einmal aufs Meer hinaus. Diesmal schippern sie an der Costa Smeralda entlang. Am Fuße der mächtigen Granitfelsen sind wundervolle kleine Sandbuchten zu sehen, aber sie sind schon von vielen Badenden besetzt. Weiße Yachten und größere Schiffe ankern vor den schönsten Stränden. Weiter geht es an luxuriösen Villen vorbei, dicht an dicht an den Hängen dehnen sich die weißen Besitzungen zwischen üppigen Pinien. Im Wasser darunter liegen komfortable Motor- schlauchboote. Schließlich findet der Skipper doch noch einen stillen Ankerplatz, und das türkisblau schimmernde Meer teilen die Schwimmer nur mit ein paar vorwitzigen Möwen.

Am späten Nachmittag hat Paolo in der Strandbar für die Heimkehrer einen Drink vorbereitet. „Cocktail Sardo“ nennt er ihn und lässt die Gäste raten, was er für das Getränk verwendet hat. Klar, Limonensaft. Aber was noch? Bier, sagt jemand, und Paolo nickt. Schließlich verrät er das Wichtigste: Mirto rosso, sardischer Myr­tenlikör. Es schmeckt sehr gut, ein Geschmack, der zu Sardinien gehört wie Spaghetti mit klein gehackten Blättern des Myrtenstrauchs.

• Tipps & Informationen

Anreise: Mit dem Flugzeug nach Olbia/Sardinien. Weiter per Mietwagen nach Santa Teresa Gallura.

Unterkunft: Valle dell’Erica Thalasso & Spa gehört zu den Delphina Hotels & Resorts, acht familiengeführten Hotels mit vier bis fünf Sternen (www.delphinahotels).
Die Hotels sind seit Mai geöffnet und sehr mit der Region verbunden. Doppelzimmer ab 140 Euro pro Übernachtung.

Auskunft: www.sardegnaturismo. it/de; www.ciaosardinia.com/deu

(Die Reise erfolgte mit Unter­stützung von Delphina Hotels & Resorts.)