Toulouse. Die uralten Katharerburgen im französischen Pyrenäenvorland wirken, als seien sie an die Bergspitzen geklebt. Eine Reise ins Languedoc.

Mit einem Mal ist es windstill. Ganz plötzlich. Als hätte der ­Liebe Gott den klemmenden Hebel dafür doch noch in die Aus-Position wuchten und den Sturm einen Moment lang abschalten können. Eben gerade noch hat es in den Ruinen von Peyrepertuse geweht, als wollte der Wind die 900 Jahre alte Festung der Katharer von der Felszinne heben. Als wollte er sogar alle Zeiten durchein­anderpusten! Und bald kämen dann diese Ritter aus längst vergangenen Epochen wieder hinter den Mauervorsprüngen hervor, als hätten sie dort einfach ein paar Jahrhunderte gewartet, bis es eine Unwucht in der Zeit ­geben und ein Orkan die Gegenwart wegblasen würde.

Peyrepertuse, eine Burg aus dem 11. Jahrhundert, befindet sich 800 Meter über dem Meeresspiegel. Trotz des recht beschwerlichen Aufstiegs ist es eine Touristenattraktion des Languedoc.
Peyrepertuse, eine Burg aus dem 11. Jahrhundert, befindet sich 800 Meter über dem Meeresspiegel. Trotz des recht beschwerlichen Aufstiegs ist es eine Touristenattraktion des Languedoc. © Getty Images | Paul Atkinson#69085

Es stürmt sehr häufig in diesem ­Winkel ­Südfrankreichs, und es sind ­harte, böige Winde, die die Zypressen im 50-Grad-Winkel biegen und den mehr als bein­dicken Stämmen alles an Flexibilität ­abfordern. Nicht mal die Burgmauern halten den Wind draußen: Er rotiert in den Treppenhäusern der verbliebenen Turmreste, faucht in ­Rittersälen ohne Dach, als käme er senkrecht herniedergefahren, donnert mit einer Wucht durch schmale Schießscharten, als wären es sperrangelweit geöffnete Portale.

Manches Bauwerk wirkt, als sei es eine Kulisse aus Pappmaché

Drumherum ist das Gestern. Wer über die hüfthohen Brüstungen der Festungsmauer hier gut 40 Kilometer außerhalb der Großstadt Perpignan schaut, der sieht nichts Modernes, ­keine breiten Straßen, keine Überlandleitung, allenfalls ein an den Hang gegenüber geklebtes Dorf mit kaum mehr als wenigen Hundert Einwohnern. Und erst ein Fernglas würde verraten, dass auf manchem alten Schindeldach inzwischen eine Satellitenschüssel montiert ist.

Es hat sich wenig verändert hier im Languedoc – im nördlichen Pyrenäenvorland, das vor Jahrhunderten Zank­apfel zwischen den Königen von Aragon und denen von Frankreich war. In dieser Gegend, in der die Katharer zu ­Hause waren, die einen Sonderweg innerhalb der christlichen Kirche gingen und in einem 16 Jahre langen Kreuzzug unterworfen und von der Inquisition schließlich vernichtet wurden – damals, als die Region als Okzitanien bekannt war und ihre Einwohner noch Okzi­tanisch sprachen. Ihre Burgen ­stehen noch heute da – und viele davon an Positionen, die eigentlich nicht sein können. An Stellen, wo es selbst mit modernsten Mitteln kaum möglich ­wäre, zu bauen.

Es ist bis heute so, als ­hätten sie ihre Burgen einfach in die Wolken ­geklebt, auf die höchsten Felszinnen gebaut, auf eigentlich unerreichbare Vorsprünge im Gebirge. Manche sind deshalb so etwas wie Wow-Burgen ­geworden. Und zuerst denkt man bei jeder weiteren, die ins Blickfeld gerät: Hier muss doch Hollywood seine Hände im Spiel haben! ­Alles Attrappe, vergänglich, von Kulissenbauern für einen Spielfilmdreh in die Landschaft gezimmert! Was sich da am Horizont abzeichnet, muss aus Pappmaché sein, eine falsche Wand mit viel Farbe und zwei Stützpfosten aus Sperrholz.

Elf Burgen der Katharer und ihrer Nachfolger gibt es in dieser Gegend noch heute

Schraubt man sich mit dem Auto über schmale Serpentinen in diese ­Gegend hinauf und erahnt schließlich irgendwo am Horizont eine Struktur da ganz oben auf den Felsen – so rechtwinklig, dass sie nicht von der Natur ­geschaffen worden sein kann –, dann glaubt man es nicht, dass dieses Grau aus Quadern auf dem Gipfel tatsächlich menschengemacht ist. Peyrepertuse ist so ein Fall – und die Burg Quéribus noch umso mehr. Ihre spektakuläre ­Lage hat beide im Mittelalter fast ­uneinnehmbar gemacht.

Dreizehn Jahre lang wurde Quéribus einst immer wieder belagert und doch noch erfolgreich verteidigt, ehe die Angreifer um Olivier de Termes sie anno 1255 dann schließlich einnehmen konnten. Elf Burgen der Katharer und ihrer unmittelbaren Nachfolger gibt es in ­dieser ­Region noch heute, die sie einst beherrscht haben. Darüber hinaus sind bis jetzt ebenfalls etliche ihrer einstigen Abteien ­erhalten.

Eine alte Katharerburg in bei Cucugnan.
Eine alte Katharerburg in bei Cucugnan. © picture alliance / dpa | Guillaume Horcajuelo

Den besten Platz hat an diesem Vormittag die Frau im Kassenhäuschen – 200 Höhenmeter unterhalb des Burgportals von Quéribus: „Was der Eintritt kostet? Erst mal gar nichts“, sagt sie und lächelt. „Wenn Sie es wirklich durch den Sturm bis oben in die Burg geschafft haben sollten, sagen Sie mir beim Rausgehen bitte Bescheid. Erst dann müssen Sie bezahlen.“ Und was sie noch nachschiebt: „Heute hat es ­allerdings noch keiner bis hinein ­geschafft.“ Sie schaut ganz dankbar, dass sie nicht mit hinauf muss.

Wieder pfeift der Sturm um den ­Felsen, drückt die Menschen auf dem Weg bergauf ans Gestein, stemmt sich ihnen nach der nächsten Kurve mit Macht entgegen, schiebt sie wieder ­zurück, als wollte er abermals Respekt für die Leistung der Erbauer dieser Festung einfordern. Es ist ein ganz ­normaler Quéribus-Sturm. Einer von denen, die hier öfter fegen.

Die Anwohner verdanken ihren Burgen Besuche von Touristen

Raymond Fannoy hat längst schon keinen Blick mehr für die Steine, die sich seit Jahrhunderten dort oben auf dem Berg türmen: „Für mich ist die Burg ganz normal, sie ist einfach da. Und sie war immer da.“ Er rührt mit dem Kochlöffel im Topf mit der ­Rotweinsoße für seine Rouladen – und müsste nur ins Freie treten, um die ­Silhouette von Quéribus am Horizont zu sehen.

Die Burg ist es jedoch auch, die ihm heute die meisten Gäste ­beschert – diejenigen, die in den vier Zimmern seiner Auberge de Vigneron in Cucugnan unterkommen. Und dazu noch die ­vielen Tagesbesucher im Sommer, die er in seinem Restaurant an der Süd­seite des 110-Einwohner-Ortes verköstigt. „Der Wind? Im Ort spürst du gar nichts davon. Unsere ­alten Mauern ­halten ihn ab. Aber trittst du heraus, dann packt er dich. Und erinnert dich daran, wo du dich befindest. Und mich auch. Obwohl ich ihn sehr gut kenne.“ Jetzt schmeckt er die Soße ab, schenkt sich einen Rosé von den Weinfeldern der Umgebung ein.

Die Katharerburgen bescheren der Region während der Sommermonate einen Besucheransturm, dem die Übernachtungskapazitäten bei Weitem nicht gewachsen sind. Die meisten kommen als Tagesbesucher von der Mittelmeerküste – oder aus Carcassonne weiter im Norden, selber Festungsstadt mit beeindruckenden Mauern und einst ebenfalls ein Sitz der Katharer. Außerhalb der Hochsaison aber versinkt die Region wieder in ihrem Dämmerschlaf – als wäre seit Jahrhunderten nichts geschehen. Und als würde der Wind die Zeiten jedes Mal neu sortieren wollen.

Ein Ritter an der nächsten Straßenecke? Könnte sein. Eine Helebarde und ein Kettenhemd an der Garderobe im Gasthof? Gut möglich. Es würde in diese Gegend passen.

• Tipps & Informationen

Anreise: Mit Germanwings oder Eurowings nach Toulouse oder mit Ryanair oder Germanwings nach Barcelona. Das sind die beiden nächsten Flughäfen. Weiter mit dem Mietwagen.

Übernachtung: In Cucugnan sind Privathotels buchbar über den Reservierungsverbund Logis de France (www.logishotels.com); z. B. in der Auberge de Vigneron – einer mehr
als 100 Jahre alten Winzerherberge mit Panoramablick, üppiger Küche
und lokalen Weinen. DZ ab 90 Euro.

Pauschal: z. B. Wandertouren Frankreich (www.wandertouren-frankreich. de) bietet eine Siebentägige Tour entlang der Katharerburgen an. Sieben Übernachtungen im DZ, Halbpension, Kartenmaterial, Wanderbeschreibung, Gepäcktransport, Taxi-Transfers (4. und 8. Tag) Preis: Ab 680 Euro/Person (ohne An- und Abreise).

Besichtigungen: Quéribus in Cucugnan, Eintritt 5,50 Euro (www.cucugnan.fr). Peyrepertuse in Duilhac-sous-Peyrepertuse, Eintritt 6,50 Euro (www.chateau-peyrepertuse.com).

Auskunft: www.france.fr, www.payscathare.org