Mariehamn. Zwischen Schweden und Finnland liegt das wunderschöne Reich von Åland – veteilt auf 6757 Schäreninseln, die kleinsten nicht mitgezählt.

Für die „MS Cinderella“ ist es ein Nachmittag wie jeder andere. Im Rücken die malerische Altstadt von Stockholm, verschnauft das Fährschiff an seinem Liegeplatz am Stadsgarden und sammelt letzte Passagiere ein. Kabinen werden bezogen und wieder verlassen, um den Rest des schwimmenden Kolosses zu erkunden. Fast unbemerkt bleibt da, wie sich dieser Punkt 18 Uhr sanft, ganz sanft in Bewegung setzt. Für eine Weile begleitet das maritime Bild des Stadtgebiets, das seine Bebauung auf 14 Inseln verteilt, die „Cinderella“ – als Einstimmung auf die fast paradiesische Welt des Stockholmer Schärengartens, der nur wenige Minuten hinter dem Zentrum beginnt und sich mit über 30.000 Eilanden 80 Kilometer weit in die Ostsee erstreckt.

Während in den Bordrestaurants das Essen serviert wird, ändert sich hinter den Fenstern langsam das Landschaftsbild. Die ­Zeichen der Zivilisation nehmen ab, und die Natur verschafft sich immer mehr Raum. Wer von den Passagieren jetzt nicht gleich den Entertainer­talenten des Schiffes erliegt und sich den Verführungen von steuerfreiem Einkauf und Unterhaltung hingibt, den zieht es an Deck. Von dort ist die Schönheit dieses Archipels ­hautnah zu erleben. Es sind große, kleine, teils winzigste Inseln, die auf einer Fläche von 3500 Quadratkilometern die Wassermassen zerteilen. Bewohnte und unbewohnte, manche bedeckt von dichtem Wald, andere kahl bis auf ein paar Bäume oder gänzlich nackt und eben ausreichend, um den Seevögeln als Landebahn zu dienen.

Wechsel aus Land und Wasser, eine Welt in Grün und Braun und Blau

Früher lebten hier ausschließlich Bauern und Fischer, heute gesellen sich zu den circa 10.000 Bewohnern jede Menge Urlauber und Ausflügler, die der Stadt für Tage oder Stunden den Rücken kehren und die Ruhe der Schären genießen. Entsprechend ist mancher Inselfleck von den Villen vermögender Hauptstädter und besonders von hübschen Ferienhäusern aus rot gestrichenem Holz bedeckt, die wir im Vorbeifahren bewundern. Doch je weiter das Schiff in das laby­rinthische Reich des Schärengartens vordringt, desto einsamer wird es. Ein ewiger Wechsel aus Land und Wasser, geheim­nisvoll miteinander verwoben, formt die Landschaft und kreiert eine Welt in Grün und Braun und Blau. Bis sich dahinter ­irgendwann das weite Meer öffnet, wo die „Cinderella“, in den Schlaf gewiegt von einer leichten Dünung, eine nächtliche ­Ruhepause einlegt.

Früh am Morgen geht es weiter, und schon bald tauchen die Außenposten von Åland auf: vegetationsarme, unwirtliche Felsen, die sich verloren in die Wellentäler ducken. Weitere Schären folgen, mal mehr, mal weniger gut mit Baum und Strauch bestückt. Möwen paddeln in Ufernähe und baden im milden Sonnenlicht. Ein erstes Haus kommt in Sicht. Klein, aus Holz, rot mit weißen Fenstern. Wie soll es anders sein … Von hier ist es nur noch ein Katzensprung bis Mariehamn, hinter dessen bescheidenem Hafen die Kapitale der finnischen Ålandinseln mit schmucken Holzhäusern und viel Grün die verschla­fene Idylle einer Kleinstadt hegt.

Nur eine Handvoll Leute geht in Mariehamn von Bord. Der große Rest erholt sich noch von den Ausschweifungen der Nacht und beendet seine Minikreuzfahrt wenige Stunden später wieder in Stockholm. Die, die auf der Insel bleiben, erwartet eine Reise durch eine ungewöhnliche Region, die ganz viel Ge­legenheit zum Erholen und Entdecken bietet. Mariehamn als einzige Stadt des Archipels, auf der Hauptinsel Fasta Åland gelegen, mag dafür ein guter Anfang sein. Die Besucher flanieren hier über schattige Lindenalleen, bummeln durch die Fußgängerzone, schauen im Seeviertel im Osthafen vorbei, wo alte Schiffe restauriert werden, und öffnen irgendwann auch im Westhafen gegenüber die Tür zum Schifffahrtsmuseum. Die bekannte Ausstellung versammelt in ihren Räumen hunderterlei Dinge – von der Piratenflagge über Galionsfiguren und alte Sextanten bis zum luxuriös ausgestatteten Kapitänssalon –, die das Leben der Åländer auf und mit der See zeigen. Noch authentischer wirds dabei gleich hinterm Haus, wo die Viermastbark „Pommern“, als original ­erhaltener Frachtsegler einmalig, im Hafenbecken dümpelt.

Ein Stück vom Ende der Welt, das mit Kulturschätzen überrascht

Das Meer spielt auf Åland eine elementare Rolle, was nicht weiter wundert bei einer Region, die aus immerhin 6757 Inseln besteht. Die kleinsten nicht einmal mitgezählt. Etwa auf halber Strecke zwischen Schweden und Finnland verteilt der Archipel seine Landmasse im Ostseewasser und überzieht sie mit reichlich Grün. Mit Wäldern und Feldern, auf denen Kartoffeln und Getreide wachsen, mit Weiden, auf denen Schafe genussvoll grasen. Ein wunderschönes Stück vom Ende der Welt, das neben seiner intakten Natur mit Kulturschätzen überrascht. Und mit einem Blick in eine Geschichte, in der Schweden, Finnland und Russland die Hauptrollen besetzen.

„Åland gehörte ursprünglich zum Königreich Schweden“, erklärt Gästeführerin Caroline Parker, „was sich mit dem Kriegsausgang 1809 änderte.“ Schweden verlor damals Finnland mit Åland an Russland, der Archipel wurde Teil des Großfürstentums Finnland. Der russische Zar wusste den neuen Besitz zu schätzen und wollte dort eine Garnison schaffen. Caroline: „Er ließ ab 1832 die Festung Bomarsund errichten.“

Ein ehrgeiziges Bauprojekt also, das 1854 im Krimkrieg mit einem englisch-französischen Angriff und der völligen Zerstörung ein abruptes Ende fand. Heute ziehen die Ruinen von Bomarsund interessierte Touristen an. Darunter auch der Notvikstornet, dessen Reste besondere Qualitäten beweisen. Denn die großen Wandöffnungen des Turms, in denen Kanonen stehen, bilden einen Rahmen für die Landschaft und zeigen uns Ausschnitte eines Schärengartens par excellence: felsige Inseln und Inselchen in üppigem Grün, zwischen denen das Meer seinen funkelnden Teppich auswirft. Ein romantisches Stillleben, das einen die Schrecken der Zerstörung vergessen lässt. Für das sich Schweden zugehörig fühlende Åland sollte sich übrigens erst 67 Jahre und einige politische Querelen später ­Entscheidendes ändern: 1921 sprach der Völkerbund den Archipel Finnland zu und garantierte ihm Autonomie, während der Bevölkerung die schwedische Sprache erhalten blieb. Woran sich bis in die Gegenwart nichts geändert hat.

Die Natur schuf viel Schönes, aber auch Ålander trugen ihren Teil bei

Ålands Sehenswürdig­keiten lassen sich unweit von Bomarsund mit dem mittelalterlichen Schloss Kastelholm in Sund fortsetzen, das die Zeiten allerdings auch nicht schadlos überdauert hat. In deutlich besserem Zustand präsentieren sich die Häuser des Freilichtmuseums Jan Karlsgården hinter der Schloss­ruine. Zwischen Wiesen und Felsen haben die Museumsmacher da mit alten Ge­bäuden aus verschiedenen Teilen der Inseln eine Bauernhof­szenerie aus den 50er-Jahren des 19. Jahrhunderts nachgestellt, die an Romantik kaum zu überbieten ist: Farmhaus, Schuppen, Ställe und drumherum ein handgemachter Zaun.

So wie hier zeigt uns Åland 1001 Orte, deren Schönheit uns ein „Ohhh!“ entlockt. Die meisten hat die Natur geschaffen, aber auch die Åländer haben ihren Beitrag geleistet. Lotta Gustafsson zum Beispiel, die in der kurzen Sommersaison auf Järsö ein nostalgisches Café betreibt. Neben ihrem Laden „Stickstuga’n“, der Wolle und selbst kreierte Textilien führt, zieht sich ein Weg durch den Garten, der den Duft einer Blumenflut verströmt. Versteckt im Grün dann das Café.

Auf der Fensterbank Geranien in Töpfen, im Innern ein Sammelsurium alter ­Tische und Stühle, an der Wand Regalbretter mit handgemachten Mützen, in der Auslage hochkalorische Kuchen, frisch aus dem Ofen. Wie wunderbar, hier im Garten zu sitzen, auf der Zunge den ­Geschmack der Sanddorntorte mit dem unaussprechlichen schwedischen Namen. Und zu wissen, dass es die kleinen Dinge im Leben sind, die glücklich machen, während einem Lottas rot-weiße Katze Lurvis schnurrend um die Beine streicht.

• Tipps & Informationen

• Anreise: Viking Line fährt die Ålandinseln u. a. von Stockholm und Kapellskär (Schweden) an, z. B. mit der „Viking Grace“ von Stockholm nach Mariehamn (einfache Fahrt) Deckspassage ab 11 Euro p. P., ab 31 Euro bei Pkw-Mitnahme. MS „Viking Cinderella“ macht täglich eine 21-Stunden-Kurzseereise von Stockholm nach Mariehamn und zurück. Einfache Fahrt: Kabine ab 21 Euro für zwei Personen, ab 61 Euro bei Pkw-Mitnahme.

• Unterkunft: In Stockholm z. B. Hilton Stockholm Slussen, DZ/F ab 1190 SEK (ca. 128 Euro), www.hiltonhotels. de; in Mariehamn z. B. Park Alandia, DZ/F ab 82 Euro, www.parkalandiahotel. com; in Saltvik im Kvarnbo Gästhem, romantisches Bed & Breakfast, DZ/F 92 Euro, www.kvarnbogasthem.com

• Auskunft: visitaland.com, vikingline.de

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung von Viking Line, Visit Åland und Hilton Hotels.)