Silverton. Mit Volldampf geht es über kurvige Schmalspurschienen durch Colorados Bergwelt bis zum 3000 Meter hoch gelegenen Städtchen Silverton.

Begonnen hat alles einmal in Wales. Dort besuchte der junge Amerikaner William Jackson Palmer während seiner Hochzeitsreise die Ffestiniog Railway und lernte die Vorzüge einer Schmalspurbahn in engen Kurven auf Gebirgsstrecken kennen. Diese Erkenntnis sowie geringere Kosten und eine schnellere Bauzeit veranlassten ihn nach seiner Rückkehr in die USA, ab 1870 die Denver & Rio Grande Railway als Schmalspurnetz mit drei Fuß, also 914 Millimetern, Spur­weite quer durch Colorado zu errichten. Während des boomenden Gold- und ­Silberabbaus transportierten die Züge Menschen, Vieh und Baumaterial in die Rocky Mountains. Und kamen mit Erzen, Edelmetallen und Holz zurück.

„Übrig geblieben sind heute als Touristenattraktion noch zwei Linien, die 72 Kilometer lange Durango & Silverton Narrow Gauge Railroad, die 1882 in nur elf Monaten Bauzeit entstand, und die Cumbres & Toltec Scenic Railroad mit immerhin 103 Kilometern Streckenlänge“, erzählt Rich Millard, Zugbegleiter und Einsatzleiter bei der Durango & Silverton Bahn.

Einst fuhren auf 3200 Kilometern Dampfzüge durch die Berge

Genauso wie Palmer faszinierten Rich Millard Dampfloks schon in der Kindheit. „Mit fünf Jahren bin ich das erste Mal mit dem Zug gefahren, auf dem ich heute arbeite“, sagt Rich stolz. Später wohnte er in Colorado Springs, der Stadt, die William J. Palmer gründete. Dort sprang der Virus endgültig über. Während der Schul- und Semesterferien verdiente er sich als Schaffner Geld auf unterschiedlichen Strecken. Architektur und Denkmalpflege waren seine Studienfächer, doch die Sehnsucht nach den schwarzen Rössern und dem Geruch nach Kohle war stärker. So ist er seit 1993 zunächst als Bremser, schließlich als Zugbegleiter zwischen den ehemaligen Westernstädten Durango und Silverton unterwegs.

Einst fuhren auf einem Schmalspurnetz von 3200 Kilometern Länge Dampfzüge durch die Bergwelt Colorados. Doch als nach dem Gold- auch der Silberrausch versiegte, verebbte die Notwendigkeit der Bahnen. Später kam noch das Auto als Konkurrent hinzu. „In den 50er-Jahren wurde die Durango & Silverton Narrow Gauge Railroad von Hollywood entdeckt“, berichtet Rich. „Sie diente in vielen Filmen als Kulisse. So in ,In 80 Tagen um die Welt‘ mit ­David Niven oder in den Western ,Fahrkarte nach Tomahawk‘ mit Marilyn Monroe, ,Die Uhr ist abgelaufen‘ mit James Stewart, ,Zwei Banditen‘ mit ­Robert Redford und Paul Newman.“ Als Nebeneffekt erhöhten sich Bekanntheitsgrad und Besucherzahlen.

Tannen, Felsen und Einsamkeit dominieren die Szenerie

Zweimal am Tag schnauft heute ein Zug von Durango durch die San Juan Mountains. Immer am gurgelnden Fluss Animas entlang – bis in das ehemalige Bergbaustädtchen Silverton. Eine schwarze Baldwin-Lokomotive, vor 90 Jahren in Philadelphia gebaut, lässt kräftig Dampf ab, während sie durch die Ausläufer Durangos zuckelt. Ab Rockwood geht es in die Wildnis und in engen Kurven steiler bergan. Tannenwälder, schroffe Felsen und Einsamkeit dominieren die Szenerie. Hin und wieder mischt sich jemand unter die Touristen, der den Traum von Gold und Geld noch nicht ausgeträumt hat. Nach dreieinhalb Stunden tuckert der Zug mit lautem Tröten über eine langgezogene Kurve im 3000 Meter hoch gelegenen Silverton ein. Die Schienen enden mitten im verschlafenen Ort an einer der beiden Hauptstraßen. Aus einem knisternden Lautsprecher schrillt eine Westernschnulze. Doch Cowboys kommen längst nicht mehr um die Ecke geritten und lassen den Colt knallen. Heute werden „High Noon Hamburger“ und „Coffee to go“ über die Saloontheken geschoben.

Das zweite Erbe William J. Palmers ist die Cumbres & Toltec Scenic Rail­road zwischen Antonito in Colorado und Chama in New Mexico. In den 50er-Jahren erlebte die Bahn noch einmal einen Boom nach Öl- und Gasfunden. Seit 1970 ist sie eine reine Touristenattraktion. Im Depot in Chama schmiert und rangiert der Mechaniker Thomas Garcia Lok 489 für ihren über sechsstündigen Einsatz Richtung Antonito. „Allein um den 3000 Meter hohen Cumbres Pass, den höchsten Eisenbahnpass in Nordamerika, zu erklimmen, benötigt sie drei Tonnen Kohle und 13.000 Liter Wasser“, erklärt er den staunenden Passagieren. „Das ist von hier ein Höhenunterschied von 600 Metern.“ Nach dieser kräftezehrenden Tour durch dichten Nadelwald geht es hinab ins weite Tal des Los Pinos Flusses mit saftigen Wiesen, einem ausgedienten Wassertank und Ferienhütten. Espen und Pinien wiegen sich im sanften Wind. Über Brücken und Viadukte schnauft die Bahn weiter talwärts, erreicht den Toltec Creek Canyon. Elfmal passiert der Zug die Grenze zwischen Colorado und New Mexico. Je näher er dem Zielort Antonito kommt, desto spärlicher wird der Baumbestand. Schließlich bedeckt nur noch gelb blühender Wüstensalbei die braune Steppe bis zum Horizont.

Nach dem Gold wurde das Silber entdeckt

Keine Palmer-Konstruktion, aber nicht minder spektakulär ist die Georgetown Loop Railroad 70 Kilometer westlich von Denver. Dicke, graue Wolken rollen sich an der Ostseite der Rocky Mountains die Berge hinab. Es regnet Bindfäden in Silver Plume, als die ölgefeuerte Shay-Dampflok an diesem Sonntagmorgen zur ersten Fahrt aufbricht.

Die Georgetown Loop Railroad verbindet die Orte Silver Plume und Georgetown auf einer sieben Kilometer kurzen, aber serpentinenreichen Route mit starkem Gefälle durch waldreiche Täler und steinige Schluchten. Nachdem um 1860 das Goldfieber nachließ, wurde Silber entdeckt und die Bahnlinie 1884 eröffnet. Georgetown war die „Silver Queen of Colorado“. Wenn nicht gerade überflutet, können Fahrgäste auf halber Strecke noch das frühere Bergwerk Lebanon besichtigen. Doch das eigentliche Highlight ist die 1984 rekonstruierte Stahlbrücke, die über die Schlucht Devil’s Gate führt. Sie gab der Bahn den Namen „Loop“, denn die Schienen überqueren das Tal in einem riesigen Kreisbogen.

Einen umfassenden Überblick über Colorados Eisenbahngeschichte von 1871 bis heute erhält der Bahnenthusiast im 1959 eröffneten Railroad Museum in Golden vor den Toren der Hauptstadt. „Alle Schmalspur- und Normalspurloks und -waggons, die wir zeigen, sind einmal durch Colorado gefahren. Rund 100 Exponate haben wir ausgestellt“, sagt Museumsdirektor Donald Tallman. Der absolute Eisenbahnfreak stoppt auf dem Rückweg zum Flughafen Denver bei „Caboose Hobbies“, einem Modellbahnladen, der 1938 gegründet wurde und sich als größter der Welt bezeichnet. 100.000 Loks, Waggons, Schienen und Zubehörteile stapeln sich in Regalen.

„Natürlich haben wir die drei Schmalspurzüge in allen Größen auf ­Lager“, wird Verkäufer Don Meekar oder einer seiner 60 Kollegen antworten. Und so landet vielleicht am Ende der Reise ein Stück amerikanische Eisenbahngeschichte in einer Wohnzimmervitrine in „good old Germany“.

• Tipps & Informationen

•Anreise: z. B. mit Lufthansa über Frankfurt nach Denver. Von dort weiter mit dem Mietwagen.

• Bahnen: Durango & Silverton Narrow Gauge, www.durangotrain. com; Cumbres & Toltec Scenic Railroad, www.cumbrestoltec.com; Georgetown Loop Railroad, www.georgetownlooprr.com

• Colorados Eisenbahngeschichte: www.coloradorailroadmuseum.org

• Auskunft: Colorado Tourism, www. colorado.com oder Get It Across Marketing, www.getitacross.de

(Die Reise wurde unterstützt von Colorado Tourism.)