Lissabon. In Lissabon herrschen Nostalgie, Romantik und Lebenslust. Auch die Badeorte an der portugiesischen Riviera haben einiges zu bieten.

Natürlich heißt er Antonio, unser Kellner in der kleinen Cervejaria in Lissabon. Antonio wie der hochverehrte Stadtpa­tron und Schutzheilige der Metropole. Und natürlich kleben Azulejos an der Wand des familiären Restaurants im Bairro Graça, dem alten Arbeiterviertel, das gerade dabei ist, hip zu werden. Hier zeigen die milchig-blauen Wandfliesen, die überall zur Garderobe der Hauptstadt gehören, in Kirchen wie in Kneipen, eine Ansicht des alten Lissabon.

Man muss sie einfach lieben, die weiße Stadt am Südwestrand des Kontinents. Wer je von einem der vielen Aussichtspunkte über die roten Dächer bis hin zum Tejo geschaut hat, wird nur zu gern zustimmen. Pflichtprogramm auch dies: am breiten Fluss die Zeugnisse der großen Seefahrergeschichte bestaunen, das Entdeckerdenkmal und das Kloster des Hieronymus, nebenan die Pastéis de Belém genießen, die berühmtesten Puddingtörtchen der Stadt, und dabei den Schiffen nachschauen, die unter der eleganten Brücke des 25. April zu fernen Ufern aufbrechen.

Wie alle Besucher haben wir uns durch die Alfama und die Mouraria treiben lassen, zwei der Stadtteile, die nach wie vor dem Mythos vom charmant-morbiden Lissabon entsprechen. Und natürlich sind wir mit der alten Straßenbahn, der Linie 12 und der legendären 28, durch die engen Straßen auf die Hügel gerumpelt. Danach, auf dem Fußweg zurück in die Unterstadt, haben wir uns im Gassenlabyrinth verlaufen und sind dabei auf Marias Pastelaria gestoßen.

Lissabon ist eine Schatztruhe voller Museen und Paläste

Man kann so eine Pastelaria eine Konditorei nennen. Manche sind mit Plastikstühlen möbliert, andere mit wunderschönen Azulejos gefliest. Aber besonders in den Vierteln der kleinen Leute ist eine Pastelaria weit mehr als ein Café: eine soziale Institution, vergleichbar den Trinkhallen im Ruhrgebiet oder den Eckkneipen. Man trifft sich, hört Neues aus der Nachbarschaft, trinkt in Ruhe eine Schale meia de leite, den beliebten Milchkaffee, oder auf die Schnelle einen curto, den typischen „kurzen“ Espresso.

Lissabon ist eine Schatztruhe, voller Museen, Klöster, Kirchen, Paläste und repräsentativer Plätze. Aber es sind es die Menschen wie Maria und Antonio, die den üppig sanierten wie auch den angekratzten Fassaden ihren Charme einhauchen. Sie und die Fadosängerinnen bringen die Halbmillionenstadt zum Klingen. Und geben ihr nicht selten ein Stück verloren geglaubter Identität zurück. So wie Manuel, ein Kleinhändler von den Kapverden, auch eine Zufallsbekanntschaft. Er hat vor zwei Jahren eine Mercedaria in Graça übernommen, einen Tante-Emma-Laden, wie ihn hier und anderswo auch viele Inder und andere Zugewanderte vor der Schließung bewahrt haben.

Zurück zu Antonio also, unseren Freund aus der Cervejaria. Vor seiner Kellnerkarriere hat ihn der Wind als Seemann durch die Welt geweht. Auch Antonios männliche Vorfahren waren Fischer und Navigatoren, als letzter in dieser Reihe der Großvater. Bis zu seinem Tod vor dreißig Jahren besaß er ein Boot in der Bucht von Cascais, dem größten Küstenort an der portugiesischen Riviera, 25 Kilometer westlich von Lissabon. Aus dem Fischerdorf von einst ist längst eine quirlige Großstadt geworden, vor allem aber ein beliebtes Badeziel der Lisboetas.

„Habt ihr vom Boca do Inferno gehört, dem Höllenmaul in den Küstenklippen bei Cascais ?“ Antonio gerät ins Schwärmen: „Wenn ihr am Cabo da Roca, dem westlichsten Felsvorsprung Europas, lange genug nach Amerika hinübergeschaut habt ... wenn ihr zu den weniger überlaufenen Stränden der Verliebten in Richtung Sintra gepilgert seid, wenn ihr den frischesten Fisch in den ehemaligen Stammkneipen ­meines Opas gegessen habt, dann müsst ihr euch auf den Weg nach Estoril machen, über eine der schönsten Promenaden des Landes, sie verbindet Cascais mit dem kleineren Nachbarort, links die Villen im Grünen, rechts der Atlantik.“

Cascais ist rustikal und lebhaft, Estoril mondän und still

Meu Deus Antonio, soviel Zeit haben wir leider nicht! Über die A 5 fahren wir also erst einmal nach Cascais, vorbei an endlosen, hässlichen Hochhaussiedlungen, dann durch Eukalyptuswälder, Orangenplantagen, schließlich durch blühende Landschaften, Oleander, roter Klee, Böschungen mit gelben und blauen Lupinen und vielen Orchideen. Vorfrühling an der portugiesischen Riviera, die schönste Zeit. Eine frische Brise weht übers Meer, beste Bedingungen auch für Surfer und Naturfreunde, die diese Tage dem Sommer vorziehen, wenn sich halb Lissabon auf den Weg an die Strände vor der Haustür macht.

Wir machen Wanderungen am Meer, Spaziergänge durch Cascais und Estoril, rustikal und lebhaft der eine Ort, mondän und eher still der andere. In Cascais haben wir im „Beira Mar“ auf den Punkt gegrillten Octopus gegessen, im „O Pescador“ eine Seezunge vom Feinsten, serviert von Senhor Fernando, der hier schon bedient hat, als das Restaurant 1964 eröffnete. In Estoril dann, nach einem Spaziergang am Meer entlang, mussten es im „Garrett“ unbedingt noch zwei Travesseiros sein, die leckersten „Kopfkissen“ der Welt, wie diese Blätterteigspezialitäten wörtlich übersetzt heißen.

Estoril, einst Sommerresidenz der portugiesischen Königsfamilie und vieler europäischer Monarchen im Exil. Auch Juan Carlos aus Spanien verbrachte hier seine Kindheit. Die königlichen Villen, ein Konzerthaus und das Casino, Schauplatz eines James-Bond-Films haben zum Ruhme Estorils beigetragen, der aber inzwischen ein wenig verblasst ist.

Sintra ist die Stadt Schlösser und Parks

Schließlich Sintra im grünen Hinterland, eine Stadt der Schlösser und Parks, die wie aus der Zeit gefallen wirken würde, wäre sie nicht so gut besucht. Aber selbst an den Wochenenden, wenn sich die Busse unterhalb der großen Paläste stauen, lässt sich auch hier Wehmut und Nostalgie spüren, ebenso Romantik und eine gute Portion Lebenslust. Wer lange genug durch den Palácia Nacional geschlurft ist, wird sich anschließend nur zu gern vor eine der Weinstuben in der Altstadt setzen, einen frischen Vinho Verde ­bestellen und auf Fernando Pessoa ­anstoßen, Portugals bedeutendsten Dichter im 20. Jahrhundert. Von ihm stammt Großes, aber auch Alltags­poesie, wie sie in Sintras Souvenirbuden T-Shirts und Gläser ziert: „Das ­Leben ist gut, Wein ist besser ...“

Der letzte Tag. Noch einmal bei ­Antonio eingekehrt, auf einen Bica zum Abschied, der Lissaboner Version des etwas „längeren“ Espresso. Und noch einen Tipp abgeholt: Mit einer der ­alten Fähren fahren wir am Nachmittag über den Tejo nach Cacilhas hinüber, gönnen uns eine Portion Garnelen in der Kneipe neben dem Anleger. Und schippern gleich danach wieder der Stadt und dem Licht entgegen. Die sonst so strahlend weiße Kulisse ­leuchtet kurz­zeitig rosa auf, nur um Minuten später in das tiefe Duinkelrot der untergehenden Sonne getaucht zu werden.