Berlin/Oldenburg. Erstmals wollte ein Nutzer Facebook zwingen, einen gelöschten Beitrag wiederherzustellen. Facebook hat sehr schnell darauf reagiert.

Er hatte einige Stunden an seinem Text gesessen – und nun glaubt er, dass jemand in Facebooks Lösch-Kommando sein ausführliches Posting über Islamkritik binnen fünf Sekunden „beurteilt“ und entfernt hatte: Der 36-jährige Fotojournalist Markus Hibbeler wollte Facebook per Klage dazu zwingen, den gelöschten Beitrag wiederherzustellen. Facebook kam dem Gericht zuvor, der Beitrag ist wieder da. Die entscheidende Frage bleibt damit weiter offen: Können sich Nutzer juristisch gegen eine aus ihrer Sicht unberechtigte Facebook-Löschung wehren?

Die Abmahnung war verschickt, die Klage angedroht: „Stellt Facebook bis zum 1. 6. meinen gelöschten Text nicht wieder her, klagen wir“, hatte Hibbeler angekündigt: Es wäre ein brisanter Rechtsstreit geworden, er hätte Argumente gegen das als „Hate-Speech-Gesetz“ bekannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz von Justizminister Heiko Maas liefern können. Jetzt wird vorerst nicht gerichtlich geklärt, ob Nutzer ein Recht auf Beiträge haben, die gegen kein Gesetz verstoßen.

Übermäßiges Löschen durch neues Gesetz?

Markus Hibbeler wollte erreichen, dass Facebook seinen gelöschten Beitrag wiederherstellt.
Markus Hibbeler wollte erreichen, dass Facebook seinen gelöschten Beitrag wiederherstellt. © Markus Hibbeler/Montage FMG | Markus Hibbeler/Montage FMG

Kritiker des Gesetzes fürchten, dass ungerechtfertigte Löschungen stark zunehmen, wenn Netzwerke demnächst für zu zögerliches Löschen Millionenstrafen riskieren. Und das war auch eine Befürchtung Hibbelers: „Wenn man für eine legitime Meinung abgestraft und abgeschaltet wird, weil die Netzwerke lieber zu viel löschen, dann radikalisieren sich auch Menschen aus der Mitte.“

Am 24. Mai um 17 Uhr nachmittags hatte Hibbeler die Nachricht von Facebook bekommen, dass sein Account für sieben Tage gesperrt und der neun Tage zuvor gepostete und mehr als 700 Mal geteilte Beitrag entfernt wird. Für ihn ein „Skandal, dass ein Text zensiert wird, der sich gegen Zensur ausspricht“.

Es war ein Text, der sich kritisch mit der Löschung eines früheren Textes auseinandersetzte. Hibbeler trat dafür ein, den politischen Islam kritisieren zu können. Er sei „islamkritisch“, aber nicht xenophob, „das wird leider oft gemischt. Abstammung ist mir Jacke wie Hose“. Hier der zunächst entfernte Beitrag:

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„Thema nicht Rechtsextremen überlassen“

Hibbeler fordert immer wieder ein konsequenteres Einstehen des Staates für die westlichen Werte. Er räumt auch ein, dass er nach islamistisch motivierten Verbrechen „wütend“ sei. „Aber das ist ein Thema, das wir nicht den Rechtsextremen überlassen dürfen“, sagt er. Hetze und Gewaltaufrufe müssten weg aus Facebook, „aber doch keine demokratische Meinungsäußerung“. Zugleich glaubt Hibbeler, dass man über das Thema kaum noch schreiben könne, ohne diffamiert und gemeldet zu werden. Die Löschung schien das für ihn zu bestätigen.

Anwalt Joachim Steinhöfel.
Anwalt Joachim Steinhöfel. © Hilmaarr (CC-BY-SA 4.0) | Hilmaarr (CC-BY-SA 4.0)

Hibbelers Fall war eine Steilvorlage für den Anwalt Joachim Steinhöfel. Steinhöfel hat schon den umstrittenen deutsch-türkischen Autor Akif Pirinçci vertreten hat. Er bezeichnet sich als „liberal-konservativ“, schreibt aber auch Beiträge in dem wegen Pegida-Nähe und Ausgrenzung kritisierten Blog „Achse des Guten“. Er ist ein entschiedener Gegner des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), mit dem Justizminister Heiko Maas die Netzwerke stärker reglementieren will.

Am 26. Mai sei seine Abmahnung bei Facebook in Irland eingetroffen, so Steinhöfel, dessen Gesicht viele Zuschauer noch als Unsympath in Mediamarkt-Werbespots („Gut, dass wir verglichen haben“) kennen.

Nutzer sollen „geeignete Schritte“ einleiten können

Auch nach Ansicht anderer Juristen hat Steinhöfel einen wunden Punkt im Gesetzentwurf des Justizministers getroffen. Kann sich ein Nutzer wirklich wehren, wenn unberechtigt gelöscht wird? Der auf Social Media spezialisierte Mainzer Anwalt Stephan Schmidt sagt dazu: „In der Begründung des NetzDG steht, dass der Nutzer geeignete rechtliche Schritte gegen eine unberechtigte Löschung oder Sperrung einleiten könne“. Dieser Punkt werde aber nicht genauer ausgeführt. Wörtlich heißt es in der Begründung nur: „Niemand muss hinnehmen, dass seine legitimen Äußerungen aus sozialen Netzwerken entfernt werden.“

Wenn nun ein Nutzer per Gericht Facebook nicht dazu zwingen könne, einen unberechtigt gelöschten Beitrags wiederherzustellen, Nutzer also keinen Rechtsschutz hätten, wäre das ein gewichtiges Argument gegen das Gesetz. Und wenn Facebook auf Anordnung einer Behörde löschen sollte, könne ein Nutzer auch nicht dagegen vorgehen – der Rechtsweg sei abgeschnitten.

Bereits Entscheidungen zum „virtuellen Hausrecht“ in Foren

Die Frage, ob Facebook nach einer „falschen“ Löschung einen Beitrag wiederherstellen muss, sei nie entschieden worden, so Anwalt Schmidt. Zum „virtuellen Hausrecht“ grundsätzlich gibt es Entscheidungen, aber da sei es in der Regel um Foren gegangen. Doch diese Foren hatten nicht die Bedeutung, die Facebook heute hat.

In den Tendenz hätten Forenbetreiber Recht bekommen. Facebook räumt sich in den Nutzungsbedingungen sehr weit gehende Löschrechte ein: „Wir können sämtliche Inhalte und Informationen, die du auf Facebook postest, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, dass diese gegen diese Erklärung bzw. unsere Richtlinien verstoßen.“

Am Montag Kehrtwende bei Facebook

Markus Hibbeler feiert nun die Rückkehr seines Beitrags als Etappensieg für die Meinungsfreiheit: „Sie räumen ein, dass sie es falsch gemacht haben.“ Allerdings ist es nicht das erste Mal, dass Facebook einen solchen Fehler eingesteht. Das gab es in Vergangenheit schon häufiger, auch ohne juristischen Druck. Auf eine Anfrage unserer Redaktion dazu hat das Unternehmen noch nicht geantwortet.

Hibbeler hat am Montagmittag eine Nachricht von Facebook erhalten, ein Mitarbeiter habe versehentlich den Beitrag entfernt: „Ich denke, der wird oft gemeldet worden sein und irgendwer hat ihn nur quer gelesen.“ Dass es nun wohl nicht zu einem juristischen Showdown kommt, ist für ihn zweitrangig: „Da wird es sicher früher oder später den nächsten geben, der den Schritt geht.“

Anm. d. Redaktion: In einer früheren Version stand, dass Anwalt Steinhöfel auch Autor von „Politically Incorrect“ war. Das war inhaltlich falsch.