Berlin. Twitter wird zehn und will für neue Nutzer einfacher sein, ohne alte zu verschrecken. Ein Interview mit Deutschland-Chef Rowan Barnett.

Twitter nennt zu seinem zehnten Geburtstag erstmals Zahlen zur Nutzung in Deutschland. Rowan Barnett, als Director Market Development & Media von Twitter im deutschsprachigen Raum, in den Niederlanden und Russland einer von zwei Deutschlandchefs, erklärt im Interview mit unserer Redaktion auch, wo Twitter hierzulande wächst, wieso die Plattform stark auf die Webvideostars setzt – und die umgekehrt auch auf Twitter. Das Interview ist in der twittertypischen „Du“-Form geführt.

Hattest Du schon mal das Bedürfnis, einen Tweet wegen eines Tippfehlers nachträglich zu verändern?

Rowan Barnett: Ich habe sicherlich in meinen 5500 Tweets einige Tippfehler drin, ich schreibe ja auch als Engländer auf Deutsch. Kann passieren.

Du nimmst es sehr gelassen. Für viele Nutzer wäre es zum Geburtstag ein schönes Geschenk, Tweets editieren zu können...

Barnett: Das Feedback haben wir oft gehört und entsprechend auch zur Kenntnis genommen. Das ist das Tolle an Twitter als offene Plattform, wir bekommen die Wünsche und Anregungen unserer Nutzer mit, und die diskutieren wir dann ernsthaft. Wir konzentrieren uns darauf, wie wir Twitter einfacher und verständlicher machen können für viele Nutzer, wie können wir Tweets weiterentwickeln, und da schauen wir, was am meisten Sinn ergibt.

Tweets lassen sich nicht editieren und sind bisher maximal 140 Zeichen lang. Was sonst hat sich Twitter noch von seinem ursprünglichen Charakter bewahrt?

Barnett: Im Februar 2007 hat Jack Dorsey getwittert „One could change the world with one hundred and forty characters“, mit 140 Zeichen kann die Welt verändert werden, und wenn man schaut, wie sich Twitter von der kleinen Idee eines SMS-basierten Messagingservice zu einem globalen kulturellen Phänomen entwickelt hat, ist das unglaublich spannend. Die Kernidee von Twitter als offene, freie Plattform zum Meinungsaustausch hat sich nicht geändert, und es ist bemerkenswert, wie viele soziale Bewegungen in den letzten zehn Jahren dort angefangen haben. Diese Vision ist heute so stark wie eh und je.

Aber es gibt ja nicht nur dieses Twitter, es gibt auch das Twitter, bei dem weitgehend nur Jugendlichen bekannte Stars für ein „Hallo“ Hunderte Herzchen bekommen. Wie wichtig ist dieser Teil?

Barnett: Prominente haben sehr schnell Twitter auch erkannt als Plattform, auf der sie ihre Meinung zuerst verbreiten können, ihre Kommunikation selbst in der Hand haben und den direkten Austausch mit ihren Fans pflegen können. Deshalb haben wir so viele Meinungsmacher, Prominente und Sportler auf Twitter. Die produzieren ganz tollen Content mit sehr viel Engagements und sie bringen ihre Audience auf Twitter. Deshalb ist diese Zielgruppe sehr wichtig für uns, das macht Twitter spannend, aber es wäre ein Irrtum, Twitter darauf zu reduzieren. Es sind auch die alltäglichen interessanten, witzigen, ehrlichen Diskussionen und Live-Konversationen unter Menschen wie Du und ich, die unsere Plattform ausmacht.

Und die Stars – oder die Stars, die nur in der Jugendkultur bekannt sind, die DagiBees, die Bibis, das ist das Feld, auf dem die Musik so richtig spielt und Twitter in Deutschland wächst?

Barnett: Es ist eines der Felder. Wir sehen da ein rasantes Wachstum,…

… rasanter als in anderen Bereichen?

Barnett: Nicht unbedingt. Im Sportbereich, da haben wir gesehen, was die WM für ein Wachstumstreiber war, dass die Live-Konversation auf Twitter stattfand.

… das war 2014!

Barnett: Ja, aber das setzt sich fort. Insgesamt wächst die Konversation in der Bundesliga in jeder Saison um 50 Prozent, und in diesem Jahr stehen noch EM und Olympia an. Aber es stimmt, es gibt ein sehr starkes Wachstum in Deutschland in der jungen Zielgruppe. Das wird von den Webvideostars vorangetrieben – @BibisBeauty hat in einem Jahr über 800.000 Follower gewonnen, bei unserem jüngsten Wettbewerb #Twitterstar gab es über 5 Millionen Tweets in Deutschland in einer Woche, das ist schon eine sehr aktive Zielgruppe.

Und es wirkt so, dass Twitter sich auf diese Zielgruppe fokussiert. Mit ausschließlich YouTube-Stars als Nominierten bei dieser Wahl, mit Herzchen statt Sternen zum Faven von Tweets, vielleicht auch mit der algorithmischen Timeline, in der Tweets nicht chronologisch zu sehen sind. Vielen angestammten Nutzern gefällt das nicht oder sie verstehen sie nicht wie die Wahl zum Twitterstar. Ist das egal?

Barnett: Überhaupt nicht. Die Nutzer, die wir haben, sind uns unglaublich wichtig, die haben Twitter in Deutschland zu dem gemacht, was es ist. Deren Wünsche und Sorgen nehmen wir sehr ernst. Nichtsdestotrotz müssen wir auch schauen, wo wir weiter wachsen können. Manche Leute mögen die Herzen nicht, insgesamt ist das Engagement aber deutlich gestiegen seitdem. Das Schöne ist ja, dass Twitter für jeden etwas anderes sein kann. Ich kann als News- oder Techaffiner Mensch Journalisten folgen, der Tech-Welt folgen. Das bildet meine Interessen ab. Anderen mögen Künstlern oder Musikern folgen und sich darüber mit anderen austauschen. Twitter ist das, was man daraus macht.

Die 5 Millionen #Twitterstar-Tweets haben die Timeline einer Hälfte der Nutzer dominiert und sind bei den anderen gar nicht aufgetaucht. Eine Parallelwelt, die mit der anderen nichts zu tun hat?

Barnett: Ja, und das ist völlig okay. Communities kommen oft zusammen, gleichzeitig können sie auch unabhängig voneinander auf Twitter bestehen. In der realen Welt ist es genauso, es gibt so viele unterschiedliche Communities, die miteinander nicht wirklich viel gemeinsam haben, Twitter bildet das heute auch ab. Und wenn man in eine solche Community eintauchen will, kann man es mit Twitter sofort tun.

Und die werbetreibende Wirtschaft hat das verstanden? Wie erfolgreich ist Twitter da?

Barnett: Wir sind in Deutschland als Team sehr stark gewachsen, von unter zehn Anfang 2015 auf knapp 30, wir haben im vergangen Jahr ein großes Sales-Team aufgebaut, da die Nachfrage da war: Es gibt ein großes Bedürfnis, Twitter mit den Möglichkeiten des Zielgruppentargetings intensiver in Kampagnen einzubauen, und wir haben ein sehr starkes Wachstum bei den Erlösen in Deutschland. Über 90 Prozent der Top-100-Werbekunden in Deutschland sind aktiv auf Twitter. Das Geschäft läuft sehr gut. Global gesehen sind es 2,2 Milliarden Umsatz mit 60 Prozent Wachstum im Jahresvergleich.

Und wie trägt Deutschland dazu bei?

Barnett: Deutschland ist für Twitter ein wichtiger Markt und spielt hier eine relevante Rolle.

Und beim Nutzerwachstum? Wie steht Twitter in Deutschland?

Barnett: Ich freue mich, dass wir zum Jubiläum erstmals Zahlen kommunizieren können. Zwölf Millionen Menschen kommen jeden Monat in Deutschland zu Twitter. Darüber hinaus erreichen wir natürlich viele mehr durch die Integration in Apps und Nachrichtenseiten. Mit dieser Reichweite sind wir sehr zufrieden.

Aber Angaben zu angemeldeten Nutzern in Deutschland macht Twitter weiter nicht?

Barnett: Man sollte unsere Nutzerbasis etwas anders betrachten. Wir halten den Unterschied zwischen eingeloggten und nicht eingeloggten Nutzern für nicht so relevant. Wenn man auf einen Marketplace geht, auf eine Nachrichtenseite oder auf eine Videoplatform – logge ich mich ein? Meistens nicht. Und das ist das gleiche mit Twitter. Twitter hat 320 Millionen eingeloggte Nutzer und 500 Millionen Menschen, die jeden Monat zu Twitter kommen, ohne sich einzuloggen. Das ist eine unglaubliche Reichweite. Diese 500 Millionen Menschen, die auf Profilseiten wie zum Beispiel auf twitter.com/fcbayern gehen, die alles konsumieren können, Videos, Fotos, Tweets, nutzen es wie eine Nachrichtenseite. Natürlich wollen wir aber mehr Nutzer dazu aktivieren, sich einzuloggen. Da geht der Spaß richtig los, wenn ich meine eigene Timeline zusammenstelle. Und darauf sind wir auch fokussiert, um das leichter zu machen und Barrieren abzubauen.

Und aus dem Grund unternimmt Twitter Dinge, die die angestammten Nutzer nicht wollen? Ein Wunsch war, dass der Stern bleibt, die Sorge vor dem Algorithmus war groß. Das Herzchen ist gekommen, der Algorithmus ist da…

Barnett: Das Feedback der Nutzer fließt bei Twitter schon immer ein, sonst würde es heute zum Beispiel auch den Hashtag nicht geben, dessen Einführung ein Nutzer im Jahr 2007 vorgeschlagen hat.

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Viele Impulse seitdem kamen von den Nutzern. Was die Timeline angeht: Wir wollen Twitter für neue und gelegentliche Nutzer vereinfachen. Es muss einfacher sein, seinen Interessen zu folgen und vor allem gute, wichtige Tweets nicht zu verpassen. Deswegen haben wir die Timeline so eingerichtet, dass die besten Tweets oben sind, wenn ich eine Weile nicht auf Twitter war. Durch einfaches Aktualisieren komme ich zurück in die Live-Timeline. Außerdem lässt sich dieses Feature auch ausschalten, so dass jeder Nutzer selbst entscheiden kann, welche Timeline-Ansicht er bevorzugt. Ich, als jemand der Twitter seit 2007 nutzt und Vielnutzer ist, habe es nicht ausgeschaltet, ich finde es wahnsinnig nützlich. Statistiken zeigen uns auch, dass kaum jemand das Feature bisher ausgeschaltet hat. Für viele, die die perfekte Timeline noch nicht kreiert haben, macht es das Twittererlebnis besser – und die anderen haben die freie Wahl.

Bleibt denn Twitter weiter interessant für Webvideostars? Muss Twitter Entwicklungen wie Snapchat fürchten, die ja Nähe mindestens genauso gut vermitteln können? Bleiben Bibi & Co. treu?

Barnett: Die Followerbasis wächst weiter, die Konversation geht durch die Decke. Das Spannende an Twitter für Webvideostars ist, dass es ihre Hauptkommunikationsplattform für ihre Kommunikation mit ihren Fans ist. Die Webvideostars twittern viel mehr als sie auf anderen Plattformen posten. Direkte Eins-zu-Eins-Kommunikation, die Möglichkeit, einem Fan zu antworten, ihm ein Herz zu geben, das ist essentiell für die Pflege der Community.

Twitter war auch eingeladen zur „Task Force“ von Justizminister Heiko Maas gegen Hassrede, in der Öffentlichkeit geht es dabei aber immer nur um Facebook. Und Forderungen, Twitter müsse mehr tun gegen Belästigung und Stalking, kommen vor allem im englischsprachigen Raum. Ist Twitter in Deutschland friedlicher?

Barnett: Wir wollen in Deutschland und in der Welt, dass Twitter für Nutzer ein tolles Erlebnis ist, Belästigung hat keinen Platz auf Twitter. Man kann die Internetkultur nicht auf Knopfdruck verändern, aber wir streben danach, als Plattform alles zu tun.

Das war eigentlich nicht die Antwort auf die Frage. Und wer sichtet, gibt es ein Team in Deutschland?

Barnett: Wir haben rund um die Welt Teams, die in vielen Sprachen einschließlich Deutsch arbeiten, um unseren Nutzern ein sicheres Erlebnis zu bieten.

Die Plattformen versuchen, immer mehr Content an sich zu binden. Tweets wurden erweitert um Fotos, dann um Videos, um GIFs, es gibt in einigen Ländern „Moments“, Sammlungen von Tweets zu besonderen Ereignissen, und Twitter denkt darüber nach, längere Texte in Tweets zu ermöglichen. Wird irgendwann auch der Link abgeschafft?

Barnett: Den „Moments“, ein „Best of“, haben wir gerade als Weiterentwicklung Links eingefügt, um mehr Traffic auf die Publisherseiten zu schicken. Uns ist sehr wichtig, dass wir Publisher und ihre Inhalte weiter unterstützen, sie sorgen für viel Engagement auf der Plattform. Tweets und ihre Möglichkeiten haben wir in der Tat sukzessive weiterentwickelt, es ist längst nicht mehr nur der Tweet mit 140 Zeichen Text. Wir experimentieren mit vielen Dingen und haben zum Beispiel die Tweets in den letzten Jahren um Gifs, Emojis, Fotos, Videos und Live-Streamings erweitert.

Kurze Zeit nach dem Interview sagte Twittergründer Jack Dorsey auf NBC, die 140-Zeichen-Begrenzung werde bleiben. „Es ist eine gute Beschränkung für uns.“ Auf die Frage, ob sich nichts ändere, antwortete er, Twitter ändere vieles. „Wir sind immer dabei, Twitter besser zu machen.“ Auf Nachfrage „Aber 140 Zeichen?“ antwortete er „140 Zeichen!“. Offen bleibt dabei aber weiterhin, ob sich Twitter die Möglichkeit offen hält, in Tweets die Möglichkeit einzubauen, längeren Text innerhalb von Twitter angezeigt zu bekommen.

Was sollen Nutzer Twitter wünschen?

Barnett: Das Schöne ist, es gibt weltweit wohl kaum ein zweites Produkt wie Twitter, für das die Menschen so leidenschaftlich sind. Es hat für so viele Leute in ihrem alltäglichen Leben einen so hohen Stellenwert. Ich glaube, die wünschen uns, dass es weitergeht wie bisher.

Was wünscht sich der deutsche Twitter-Chef von den Nutzern?

Barnett: Dass sie uns weiterhin eine solche Fülle von unglaublich lustigen, spannenden, interessanten, bewegenden Momenten und Diskussion bescheren. Twitter ist nur eine Plattform, den Wert schaffen unsere Nutzer.