Berlin. Mehr als 500.000 Europäer sterben jährlich an den Folgen von Thrombose. Wie man sie erkennt – und warum Stützstrümpfe Leben retten.

Sie sind oft weder modisch noch bequem, und trotzdem: Vor einer langen Flugreise streift man Stützstrümpfe eben über – das kleinere Übel sind sie allemal. Das große Übel, das verhindert werden soll, ist eine Thrombose. Das noch größere: eine durch die Thrombose verursachte Lungenembolie.

„Man schätzt, dass in Europa mehr als eine halbe Million Menschen pro Jahr an venösen Thrombosen und Lungenembolien versterben. Das sind mehr als doppelt so viele wie durch Verkehrsunfälle, HIV-Infektion, Prostata- und Brustkrebs zusammen“, sagt Professor Andreas Tiede, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH).

Doch wie entsteht eine Thrombose überhaupt? Und wer ist besonders gefährdet? Wenn Blut gerinnt, an einer Stelle im Körper, an der es das eigentlich nicht tun sollte, und zu einem Zeitpunkt, an dem es das nicht tun sollte, entsteht ein Pfropf aus Blutbestandteilen: ein Thrombus. Dieser blockiert das betroffene Gefäß, manchmal nur teilweise, manchmal vollständig, sodass sich Blut dort staut.

Wo Blut nicht ungehindert fließt, gibt es eine Schwellung

In Arterien bilden sich Thromben oft infolge einer Arteriosklerose, der sogenannten Gefäßverkalkung, was zu Schlaganfall oder Herzinfarkt führen kann. Venöse Thrombosen können in kranken wie gesunden, oberflächlichen wie auch tieferliegenden Venen auftreten. „In über 90 Prozent der Fälle sind allerdings Becken- und Beinvenen betroffen“, sagt Christos Rammos, verantwortlicher angiologischer Oberarzt in der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Essen.

Dabei verursacht die Hälfte aller Thrombosen im frühen Stadium gar keine Symptome. Manche verschwinden vollkommen unbemerkt wieder, weil der Körper sie eigenständig mittels eines Enzyms auflöst. Gelingt diese sogenannte Fibrinolyse jedoch nicht, wird der Patient den Thrombus, je nach dessen Größe und Lage, sehr bald zu spüren bekommen. Denn wo Blut nicht mehr ungehindert fließen kann, entsteht eine Schwellung.

Das können Symptome einer Thrombose sein

„Normalerweise lässt sich die Haut über einem Muskel verschieben, bei einer Thrombose aber ist sie prall gespannt – als ob man von heute auf morgen 20 Kilo zugenommen hätte“, erklärt Christos Rammos. Bei einigen Patienten verfärbt sich die Haut rötlich-bläulich, und die oberflächlichen Hautvenen werden sichtbar.

Mit der Schwellung stellt sich zudem ein Spannungsgefühl bis hin zu starken Schmerzen ein, meist verbunden mit einer Überwärmung der betroffenen Extremität. Diese Beschwerden verschlimmern sich in der Regel beim Stehen und Sitzen und lassen im Liegen nach. Wo sich das Blut Umwege sucht, entsteht ein deutlich tastbarer Strang, auch als Warnvene bezeichnet.

Dem Verdacht auf eine Thrombose müsse unbedingt nachgegangen werden, mahnt Angiologe Rammos, „denn sie ist immer potenziell gefährlich“. Oft lasse sie sich bereits anhand eines klassischen Tastbefundes feststellen. Verschiedene klinische Zeichen wie Schmerzen bei bestimmten Bewegungen können ebenfalls ein Indiz sein, „allerdings ein relativ unspezifisches“.

Gewissheit bringt eine Ultraschalluntersuchung, genauer: eine Kompressions­sonografie. Dabei wird untersucht, ob sich die Vene zusammendrücken lässt, was bei einem gesunden Gefäß ohne Weiteres gelingt, bei einem verstopften hingegen nicht.

Diese Menschen haben ein erhöhtes Risiko

Geschäftsreisende, junge Frauen, die Hormone zur Verhütung einnehmen, Raucher, Tumorpatienten, Menschen mit Drogenvergangenheit, Schwangere, Bettlägerige – sie alle haben ein erhöhtes Thrombose-Risiko, das mit dem Alter zusätzlich steigt. Die Gefahr ist vor allem bei eingeschränkter Beweglichkeit gegeben, sei es durch Bettlägerigkeit, einen Gipsverband oder langes Sitzen während einer Autofahrt. Auf einem Langstreckenflug kommen zum Bewegungsmangel noch die trockene Luft und der damit einhergehende gesteigerte Flüssigkeitsbedarf hinzu, der im Flieger oftmals nicht ausreichend gestillt wird.

Doch nicht nur ein Mobilitätsmangel, sondern auch ein Zuviel an Bewegung kann in speziellen Fällen eine Thrombose „par effort“, also durch Anstrengung, verursachen: „Eine sehr starke Beanspruchung der Muskulatur kann ähnliche physiologische Auswirkungen haben wie langes Sitzen“, sagt Rammos. In der Regel betreffe das aber nicht den Freizeitsportler, sondern beispielsweise aktive Bodybuilder.

Wie Blutverdünner wirken

Hormonelle Veränderungen in den Wechseljahren, eine Schwangerschaft, Übergewicht, ein bestehendes Krampfaderleiden und einige Blutgerinnungsstörungen beeinflussen das Thrombose-Risiko ebenfalls. Auch eine genetische oder erworbene Thrombose-Neigung (Thrombophilie) ist möglich. „Die höchste Erkrankungsrate ist aber bei Tumorpatienten festzustellen, da Krebs die Blutgerinnung ungünstig beeinflussen kann“, sagt Christos Rammos. Umgekehrt könne daher eine Thrombose, für die sich keine Erklärung finden lässt, auf das Vorliegen einer Krebserkrankung hindeuten.

Um die Gefahren einer Venenschwäche mitsamt allen Komplikationen inklusive der potenziell tödlichen Lungenembolie zu bannen, werden zunächst Blutverdünner eingesetzt, welche die körpereigene Thrombolyse unterstützen und vermeiden, dass sich weitere Gerinnsel bilden. Je nach Risikoprofil und Vorerkrankungen erfolgt dann eine weitere Medikamenteneinstellung sowie eine Kompression der betroffenen Extremität – erst mit Verbänden, danach mit individuell angepassten Kompressionsstrümpfen.

Bei jungen Patienten mit stammnahen Thrombosen im Schulter- oder Beckenbereich bietet sich manchmal auch eine Entfernung des Thrombus an. „Früher musste ein solcher Eingriff immer chirurgisch durch große Schnitte vorgenommen werden“, so Rammos, „mittlerweile gibt es Katheter, die so groß sind wie eine Kugelschreibermine. Wir haben in unserer Klinik diese Techniken etabliert, sodass eine schonende Behandlung möglich ist.“ Mit deren Hilfe wird das Gerinnsel fragmentiert und abgesaugt.

Ärzte verordnen Bewegung statt Bettruhe

Auch von neuen Medikamenten in Tablettenform, sogenannten oralen Antikoagulanzien können einige Patienten profitieren, da die Überwachung mittels regelmäßiger Blutuntersuchung durch die Tabletten entbehrlich wird. „Sie haben tendenziell ein etwas niedrigeres Risiko schwerwiegender Blutungen als die klassischen Blutverdünner, aber ganz eliminiert ist dieses Risiko nicht“, sagt der Internist Andreas Tiede.

Mit den neuen Behandlungsoptionen geht auch ein Mentalitätswandel der Ärzteschaft einher: Früher habe man befürchtet, so Tiede, dass sich durch Bewegung ein Gerinnsel in den Beinvenen lösen und eine Lungenembolie verursachen könnte. Weil sich dieses Risiko aber durch Bettruhe nicht effektiv reduzieren lässt, tendiert man heute dazu, eher Bewegung statt Bewegungsstopp zu verordnen. „Wichtig ist der zeitgerechte Beginn einer Blutverdünnung. Wenn diese gegeben wurde, kann der Patient sich auch bewegen.“

Bewegen sollte man sich übrigens auch zur Vermeidung einer Gerinnselbildung auf Flugreisen: mit den Zehen wippen, nach Möglichkeit regelmäßig ein paar Schritte gehen. Und viel trinken. So werden dann die unbequemen Stützstrümpfe in den meisten Fällen entbehrlich.