Berlin. Gewebeschäden an den Nieren haben sich in den letzten 30 Jahren verzehnfacht. Treten die ersten Symptome auf, ist es oft schon zu spät.

Wer zu viele Pfunde auf die Waage bringt, geht das Risiko ein, künftig auf Blutwäsche angewiesen zu sein. Denn ein dicker Bauch sorgt immer häufiger dafür, dass die Nieren ihre Arbeit einstellen. Die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (Nierengesundheit), DGfN, warnt anlässlich des Weltnierentags am 9. März: Die Zahl der durch Übergewicht verursachten Nierengewebsschäden hat sich in den vergangenen 30 Jahren verzehnfacht.

Warum geht Übergewicht „an die Nieren“?

Es gibt eine Reihe von Ursachen, die Experten erst ins Bewusstsein der Patienten rücken müssen, denn: „Die meisten denken bei Übergewicht vor allem an die Gefahr von Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt Professor Mark Dominik Alscher aus Stuttgart, Präsident der DGfN. Dabei ist der indirekte Zusammenhang zu Nierenerkrankungen schon länger bekannt.

Zu viele Pfunde auf den Hüften erhöhen das Risiko für Nierenerkrankungen.
Zu viele Pfunde auf den Hüften erhöhen das Risiko für Nierenerkrankungen. © dpa | Waltraud Grubitzsch

Übergewichtige Menschen entwickeln schnell einen hohen Blutdruck und oft einen Diabetes mellitus. Beides schädigt die etwa 1,5 Millionen kleinen Filter in den Nieren, durch die pro Minute etwa ein Liter Blut fließt. „Die Niere wiegt nur 120 Gramm. Sie muss täglich rund 180 Liter sogenannten Primärharn filtern und dann zu anderthalb Litern Urin reduzieren. Dafür sind viele Austauschvorgänge notwendig“, erklärt Alscher.

Eine Höchstleistung, die unbemerkt vonstatten geht und zunehmend beeinträchtigt wird, wenn die empfindlichen Poren der kleinen Nierenfilter unter Druck geraten. „Bei Menschen mit Adipositas bewirkt eine erhöhte Nierenfiltrationsrate – ein wichtiger Wert zur Einschätzung, wie gut die Nieren funktionieren –, dass sich die Niere vergrößert.

Dadurch werden in der Folge die feinen Nierengefäßchen geschädigt, und das Organ funktioniert mit der Zeit eingeschränkt und immer schlechter“, erklärt Prof. Michael Roden, Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Vorstand am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ).

Weshalb steigt die Zahl der fettleibigen Menschen mit Nierenschäden?

Nicht nur Diabetes und Bluthochdruck schränken die Arbeit der Nieren ein. Auch das Fettgewebe selbst nimmt Einfluss darauf. „Es ist nicht nur ein Speichermedium und eine Hülle um die Organe, sondern selbst ein stoffwechselaktives Organ“, erläutert Alscher. Was bedeutet, dass darin Hormone entstehen, die für Entzündungen sorgen. Schnell weiten sich diese auf die Nieren aus. So kommt es, dass mindestens zwei Millionen Menschen in Deutschland eine Nierenkrankheit mit einer bereits deutlich eingeschränkten Funktion dieses Organs haben.

Das zeigte eine im „Deutschen Ärzteblatt“ veröffentlichte Studie mit Zahlen von 2016. „Dahinter steht auch unsere westliche Lebensweise, die dafür sorgt, dass schon Jugendliche durch zu wenig Bewegung, zuckerhaltige Getränke und kohlenhydratreiche Ernährung immer dicker werden“, sagt Professor Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ).

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    Wie lässt sich die Beeinträchtigung erkennen?

    Tückischerweise spürt man es lange nicht, dass die Nieren weniger leisten. Denn es verursacht keine Schmerzen. „Eine solche Schädigung ist schwer zu erkennen. Hinweise darauf liefern Werte, die auf eine vermehrte Eiweißausscheidung hindeuten“, erklärt Experte Roden. „Mithilfe eines Teststreifens lässt sich Protein im Urin nachweisen und im Blut der sogenannte Kreatinin-Wert bestimmen“, ergänzt Nephrologe Mark Alscher. „Bei dieser Substanz handelt es sich um ein Abbauprodukt aus der Muskulatur. Tritt Kreatinin verstärkt auf, ist die Nierentätigkeit schon um mehr als die Hälfte eingeschränkt.“

    Der Test auf Eiweiß im Urin gehört zu den regelmäßigen Check-up-Untersuchungen, die gesetzliche Krankenkassen ihren Mitgliedern anbieten. Die DGfN weist darauf hin, dass eine gesunde Niere höchstens 20 Milligramm Eiweiß pro Tag im Urin ausscheidet. Steigt diese Menge, deutet das auf einen Nierenfunktionsschaden hin.

    Als weitere Möglichkeit gibt es laut Professor Martin die Bestimmung der Nierenfunktion („glomeruläre Filtrationsrate“/GFR). Sie ist das Maß für die Filterleistung der Niere und wird aus einem Blutwert und Faktoren wie Alter, Geschlecht und Hautfarbe berechnet. „Ergeben Tests beim Hausarzt einen Nierenschaden, sollte der Nephrologe für die weitere Behandlung zu Rate gezogen werden“, empfiehlt Professor Alscher.

    Lassen sich Nierenschäden behandeln?

    „Sie lassen sich nicht rückgängig machen, aber verlangsamen oder komplett zum Stehen bringen“, erklärt Nierenfachmann Alscher. Das Wichtigste sei deshalb, dass Nierenschäden früh erkannt und behandelt werden. Deshalb sollten Risikopatienten, also Menschen mit Bluthochdruck sowie Diabetiker, jährlich zu Früherkennungsuntersuchungen gehen. „Besonders wichtig ist eine optimale Blutdruck- und Blutzuckereinstellung, um zu verhindern, dass die Nieren innerhalb weniger Jahre ihren Dienst quittieren“, erklärt Diabetologe Stephan Martin.

    Zudem gebe es Medikamente wie ACE-Hemmer und Sartane, die die Nieren schützen. Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac hingegen sollten bei angegriffenen Nieren nicht genommen werden, wenn man will, dass die Organe weiter arbeiten. „Tun sie das nicht, bleibt in der Regel nur die Blutwäsche als Lösung – das bedeutet einen echten Einschnitt im Leben. Gesund sind diese Patienten nicht“, so Mark Alscher. Laut der DGfN gibt es in Deutschland derzeit 80.000 Dialysepatienten, die meisten von ihnen sind über 65 Jahre alt.

    Was kann man als Vorbeugung tun?

    Gesunde Mischkost, ein Körpergewicht im Normalbereich und ausreichend Bewegung sind die Schlüsselworte für die Vorbeugung. „Die sogenannte Look-Ahead-Studie hat nachgewiesen, dass ein solcher Lebensstil Erkrankungen wie Diabetes und Nierenschäden entgegenwirkt“, sagt Professor Martin.

    Nierenexperte Alscher ergänzt: „Natürlich gibt es eine angeborene, genetische Komponente, der man nicht entkommt. Doch selbst Menschen, die dies betrifft, können ihre Erkrankung durch den Lebensstil entscheidend beeinflussen, so dass sie jahrzehntelang damit leben können.“ Wer nichts unternimmt, geht laut den Experten das Risiko ein, schon nach fünf bis zehn Jahren auf die Dialyse angewiesen zu sein.