Berlin. Bei Mädchen soll die Pille das Depressionsrisiko um 80 Prozent steigern, sagen dänische Forscher. Deutsche Experten sind skeptisch.

Hormonelle Verhütungsmittel wie zum Beispiel die Pille bergen gesundheitliche Risiken. So belegten Wissenschaftler für neuere Versionen der Präparate ein erhöhtes Thrombose-Risiko. Doch die Nebenwirkungen der Mittel könnten noch weiter reichen, glauben dänische Forscher. Laut einer neuen Studie der Universität Kopenhagen steigt das Risiko, Depressionen zu entwickeln, bei Frauen, die hormonelle Verhütungsmittel nutzen, in den ersten sechs Monaten nach Beginn der ersten Einnahme um 40 Prozent im Vergleich zu Frauen, die anders verhüten.

Bei Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren soll sich das Risiko sogar um 80 Prozent erhöhen. Gynäkologen und Psychologen um Studienleiter Dr. Oejvind Lidegaard sammelten für die Untersuchung zwischen den Jahren 2000 und 2013 die Daten von über einer Million Däninnen im Alter von 15 bis 34 Jahren und werteten diese aus. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt im Fachmagazin „Jama Psychiatry“. Deutsche Experten unterstellen der Studie „deutliche Schwächen“.

Pille ist meistgenutztes Verhütungsmittel

Ebenso wie in Dänemark ist auch in Deutschland die Pille das meistgenutzte Verhütungsmittel. Experten gehen davon aus, dass bis zu zehn Prozent der Mädchen schon ab dem zwölften Lebensjahr die Pille nehmen. Zwischen dem 18. und 20. Lebensjahr sollen es bis zu 80 Prozent sein. Eine Auswertung der Versichertendaten der Techniker Krankenkasse (TK) hat diesen Trend im vergangenen Jahr belegt.

„Ärzte müssen jetzt entscheiden, wie sie mit unseren Ergebnissen umgehen. Es ist sicher sinnvoll, vorsichtiger mit der Verschreibung bei Jugendlichen zu sein“, sagte Oejvind Lidegaard, Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität Kopenhagen, dieser Redaktion. Teenager würden besonders sensibel auf viele Einflüsse reagieren. Und ohnehin bestehe in dem Alter ein gewisses Risiko, Depressionen zu entwickeln. „Aber hormonelle Verhütungsmittel können offenbar als Faktor dazu beitragen“, sagt Lidegaard.

Auch Hormon-Pflaster steigern Depressionsrisiko

Frauen grundsätzlich von hormoneller Verhütung abzuraten, hält Lidegaard nicht für angebracht. „Sie müssen aber dazu beraten werden, dass Depressionen eine mögliche Nebenwirkung sind. Das ist besonders wichtig“, erklärt der Gynäkologe. Ausnahme seien Frauen, bei denen es bereits Anzeichen einer Depression gebe. Für sie könne es ratsamer sein, andere Verhütungsmethoden zu nutzen. Von der Pille auf Hormon-Pflaster oder Vaginal-Ringe umzusteigen, ist in Bezug auf ein vermindertes Depressionsrisiko laut Studie keine Option – dieses sei dabei sogar höher als bei der Pille.

Die Wissenschaftler bezogen ihre Daten aus dem Nationalen Verschreibungsregister und dem Zentralen Psychiatrischen Forschungsregister. Sie werteten aus, wie viele der Frauen hormonelle Verhütungsmittel wie Pille oder Spirale einsetzten und wie viele von ihnen anschließend Antidepressiva einnahmen oder die Diagnose Depressionen bekamen. Patientinnen, die schon vor Studienbeginn Antidepressiva einnahmen oder bei denen bereits eine Depression diagnostiziert wurde, wurden aus der Studie ausgeschlossen.

Kritik am Forschungsdesign der Dänen

„In der Untersuchung wurde weniger als ein Prozent der Frauen, die niemals hormonelle Verhütungsmittel verwendeten, mit einem Antidepressivum behandelt, dagegen zwei Prozent der Frauen, die hormonell verhüteten. Daraus darf man nicht den Schluss ziehen, dass diese Verhütungsmittel Depressionen verursachen“, kritisiert Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. Es sei ebenso möglich, dass bei vielen jungen Mädchen und Frauen die Depression überhaupt nur entdeckt würde, weil sie wegen ihrer Verhütung einen Arzt aufgesucht hätten.

„Depression ist eine der am meisten unterschätzten Erkrankungen. Es wird geschätzt, dass bis zu fünf Prozent aller Jugendlichen unter einer Depression leiden“, sagt Albring. Generell sei das Design der dänischen Studien schwierig: „Um die Frage zu beantworten, ob ein Arzneimittel bestimmte Nebenwirkungen hervorruft, und um dabei zufällige Zusammenhänge auszuschließen, muss man aufwändige, am besten doppelblinde Studien durchführen. Studien, die ausschließlich vorhandene Statistiken auswerten, haben bei aller Sorgfalt immer nur eine begrenzte Aussagekraft“, sagt Albring.

Studie sorgt für internationale Aufmerksamkeit

Auch international schlug die dänische Veröffentlichung Wellen. „Die Studie beweist nicht, dass die Pille eine Rolle bei der Entwicklung von Depressionen spielt. Es ist weitere wissenschaftliche Arbeit nötig, um mögliche Zusammenhänge aufzuzeigen. Bis dahin sollten Frauen sich nicht durch die Ergebnisse von der Einnahme der Pille abschrecken lassen“, sagte Dr. Channa Jayasena von der Gesellschaft für Endokrinologie am Imperial College London der britischen Zeitung „Telegraph“.

Catherine Monk, Professorin für Psychologie und Gynäkologie am Medical Center der Columbia University in New York, sagte der „Washington Post“, dass besonders bei Jugendlichen die Einnahme der Pille mit der ersten Liebe und der ersten sexuellen Partnerschaft zusammenfalle, die Verbindung mit depressiven Gefühlen müsse nicht zwangläufig mit den Mitteln zusammenhängen.

Depressive Verstimmungen sind bekannte Nebenwirkung

Einig sind sich die Experten darin: „Es ist bekannt, dass hormonelle Verhütungsmittel auch die Stimmung beeinflussen können. Während manche Mädchen und Frauen positive Veränderungen erleben, berichten wenige von erhöhter Reizbarkeit und Verschlechterungen ihrer Stimmung“, sagt Albring. Wenn das über längere Zeit der Fall sei, sollte das mit dem Frauenarzt besprochen werden. Der könne in den meisten Fällen eine verträglichere Alternative empfehlen.