Frankfurt/Hamburg. Inzwischen lässt sich der Aids-Erreger immer besser kontrollieren. Jetzt heißt das nächste Ziel der Forscher und Mediziner: Heilung.

Annette Haberl blieb als Ärztin manches erspart: Die Infektiologin begann am HIV-Center der Universitätsklinik Frankfurt am Main im Jahr 1996 – am Wendepunkt der HIV-Medizin. Vorher mussten Ärzte mehr oder weniger hilflos mit ansehen, wie Aids die HIV-Patienten dahinraffte. 1996 kam in Europa mit Invirase der erste Protease-Hemmer auf den Markt. In den folgenden Jahren nahm die damit beginnende antiretrovirale Kombinationstherapie dem einstigen Todesurteil Aids seinen Schrecken und machte eine HIV-Infektion zu einer chronischen Erkrankung – zumindest in Deutschland. In Ländern wie Südafrika, wo am Montag die Welt-Aids-Konferenz beginnt, ist die Situation noch immer katastrophal. Aber auch dort steigt die Zahl der Menschen, die in Behandlung sind, stetig.

„Die Geschichte der HIV-Therapie ist eine Erfolgsgeschichte“, sagt Haberl. „Die Behandlungen werden immer wirksamer. Die neuen Medikamente sind sehr effektiv, einfach einzunehmen und arm an Nebenwirkungen.“ Mittlerweile, so die Ärztin, könnten Ärzte auf mehr als 30 HIV-Medikamente aus verschiedenen Substanzklassen zurückgreifen. Noch immer basiert die HIV-Therapie auf einer Kombination von drei Präparaten: üblicherweise zwei Medikamente aus der Gruppe der NRTI (Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren) und ein Vertreter einer anderen Substanzklasse. Die NRTI sorgen dafür, dass das HI-Virus seine Erbsubstanz RNA in der Zelle nicht in DNA umschreiben kann und hemmen so seine Vermehrung. Andere Substanzgruppen bekämpfen den Erreger über andere Mechanismen.

HIV-Medikamente haben heute weniger Nebenwirkungen

Auch die lange umstrittene Frage, wann die Therapie starten sollte, ist inzwischen eindeutig geklärt: Man wartet nicht mehr, bis die Zahl der CD4-Helferzellen des Immunsystems – das Hauptangriffsziel des Virus – unter eine gewisse Schwelle gefallen ist. Die antivirale Behandlung sollte so früh wie möglich einsetzen, wie 2015 eine große Studie zeigte. Die Frage lässt sich inzwischen auch deshalb klar beantworten, weil die heutigen HIV-Medikamente weniger Nebenwirkungen haben. Das liegt daran, dass neue Arzneien auf den Markt gekommen sind und ältere Prototypen so verändert wurden, dass sie weniger toxisch sind.

„Wir sind die erste Generation von Ärzten, die mit den Patienten älter werden darf“, sagt Haberl. Doch die erfreuliche Entwicklung stellt die Mediziner vor neue Herausforderungen: „Die Patienten bekommen nun all jene Krankheiten, die andere Menschen im Alter auch haben.“ Daher müsse man zunehmend auf Wechselwirkungen der HIV-Mittel mit anderen Arzneien achten. „Die eigentliche HIV-Therapie ist zwar inzwischen einfacher, die Betreuung der Patienten aber dennoch komplexer geworden.“

Neues Medikament senkt Ansteckungsrisiko um 90 Prozent

Auf die Prävention zielt jene Neuerung ab, die derzeit reichlich Diskussionsstoff bietet: Bis Ende des Jahres erwarten Experten in Europa die Zulassungserweiterung von Truvada als Präexpositions-Prophylaxe (PrEP), was in den USA schon seit vier Jahren gängig ist. Vor dem Sex eingenommen, senkt die Pille das Risiko einer Ansteckung Studien zufolge um knapp 90 Prozent. „Die Zielgruppe dieser Prophylaxe sind Menschen, die ein hohes Infektionsrisiko haben und die mit den bisherigen Präventionsstrategien nicht erreicht werden können“, sagt Haberl.

Ultimatives Ziel der HIV-Therapie ist jedoch eine Heilung. Bislang kann die Kombinationsbehandlung bei Patienten die Erregerlast zwar unter die Nachweisgrenze senken. Allerdings erreichen die Mittel nicht jene Viren, die inaktiv in Zellen des Körpers ruhen. Solche Reservoire gibt es in verschiedenen Organen, etwa im Darm oder im Gehirn. Setzen Patienten ihre Arzneien ab, breitet sich das Virus wieder aus. Derzeit streben verschiedene Verfahren an, diese Reservoire anzugreifen. Bei der sogenannten Shock-and-Kill-Therapie sollen Medikamente die schlafenden Viren aufwecken, sodass die infizierten Zellen für das Immunsystem sichtbar werden. Versuche laufen seit Jahren, bislang mit eher unbefriedigenden Resultaten.

Gerade erst berichteten Forscher im Fachblatt „Nature“ Erfolge mit einer Immuntherapie. In der US-Studie hielt der breit neutralisierende Antikörper 3BNC117 den Erreger bei sieben HIV-Infizierten, die ihre antiretrovirale Therapie unterbrachen, im Mittel zehn Wochen im Zaum. In einer vergleichbaren Gruppe ohne Therapie würde dies nach Angaben der Forscher etwa 2,6 Wochen dauern. Antivirale Therapien benötigten Kombinationen von Medikamenten, um HIV zu unterdrücken, schrieben die Wissenschaftler. Möglicherweise seien auch bei der Immuntherapie Kombinationen von Antikörpern erforderlich, um das Virus im Menschen länger zu unterdrücken.

Neuer Behandlungsansatz bei Mäusen erfolgreich

Joachim Hauber vom Heinrich-Pette-Institut in Hamburg verfolgt einen anderen Ansatz: Mithilfe harmloser Viren will er eine Genschere in die Zellen einschleusen, die das HIV-Erbgut gezielt aus den Zellkernen entfernt. In Versuchen an Mäusen ist ihm dies, wie er kürzlich im Fachblatt „Nature Biotechnology“ berichtete, gelungen. „Die Mäuse waren in keiner Weise auffällig, das Virus war im Plasma dieser Tiere dauerhaft nicht mehr nachweisbar.“

Dass die Infektion eines Tages geheilt werden kann – daran zweifelt kaum ein Experte. Das wäre für die Patienten nicht nur ein medizinischer Erfolg, sondern auch ein sozialer Fortschritt. „Medizinisch haben wir fast Normalität erreicht“, sagt Annette Haberl. „Aber als ich neulich eine Patientin fragte, was sich für sie ohne HIV ändern würde, sagte sie: ‚Alles! Der Makel wäre weg.‘ Dann könnten unsere Patienten endlich ohne Angst vor Ausgrenzung leben.“