Berlin. 54 Prozent fühlen sich mit Informationen von Ärzten überfordert. Die Mediziner sollten verständlicher mit den Patienten reden.

Welchen Arzt muss ich bei Rückenschmerzen aufsuchen? Was unternehme ich bei Depressionen? Wie schlimm sind die Nebenwirkungen eines Medikaments? Ist eine Operation notwendig? Wann ist die Zweitmeinung eines Mediziners wichtig? Kann ich den Informationen im Internet trauen? Sind kostenpflichtige Zusatzleistungen sinnvoll oder Geldschneiderei? Brauche ich Impfungen? Wann bin ich ein Notfall und muss einen Krankenwagen holen?

Bei Gesundheitsfragen fühlen sich viele Bürger überfordert. Obwohl Deutschland über eines der leistungsfähigsten Gesundheitssysteme verfügt, ist die Kenntnis darüber, wie man dieses effektiv nutzen kann, eher schwach ausgeprägt. Mehr als die Hälfte der Deutschen hat Probleme, gesundheitsrelevante Informationen zu verstehen. Bei 54 Prozent der Deutschen ist die Gesundheitskompetenz eingeschränkt; bei jedem zehnten ist seine Fähigkeit mit Gesundheitsinformationen umzugehen sogar unzureichend.

Dies hat die erste repräsentative Studie zur Gesundheitskompetenz der Deutschen ergeben, für die im Auftrag der Universität Bielefeld 2000 Menschen über 15 Jahren befragt wurden. Damit schneiden die Deutschen deutlich schlechter ab als der EU-Schnitt. Am höchsten liegt die Kompetenz in den Niederlanden, Irland, Polen und in Griechenland.

Besonders betroffen sind Menschen mit niedrigerem Bildungsgrad

In der Praxis bedeutet dies: Die Betroffenen verstehen die Erläuterungen der Ärzte schlecht oder unzureichend. Sie können deshalb nur schwer beurteilen, welche Behandlungen bei ihren Problemen die beste ist. Manche verstehen die Packungsbeilagen von Arzneimitteln nicht, auch die Gesundheitsinformationen aus Medien stellt sie vor Probleme, erläuterte die Studienleiterin Doris Schaeffer.

Besonders stark betroffen sind Menschen mit niedrigerem Bildungsgrad, aber auch Migranten und Senioren. Sie wissen oft nicht, an wen sie sich mit ihren Symptomen wenden sollen. Entsprechend nehmen sie häufiger einen ärztlichen Notdienst in Anspruch und sind öfter im Krankenhaus. Zudem leiden sie mehr an chronischen Krankheiten und bewerten ihren subjektiven Gesundheitszustand als schlechter.

Nationaler Aktionsplan zur Förderung der Gesundheitskompetenz

Das Ergebnis rüttelt auch den Bundesgesundheitsminister auf: „Wenn mehr als die Hälfte nur über eingeschränkte Gesundheitskompetenz verfügt, dann ist Handeln angesagt.“ Hermann Gröhe (CDU) hat deshalb die Schirmherrschaft zur Entwicklung eines „Nationalen Aktionsplans zur Förderung der Gesundheitskompetenz“ übernommen, ein Projekt der Uni Bielefeld, des AOK-Bundesverbands und der Hertie School. Ziel ist es, Informationen besser aufzubereiten, Ärzte und Pfleger für die Problematik zu sensibilisieren.

„Als Patient gut aufgeklärt und informiert zu sein, seine Krankheit zu verstehen, ist die entscheidende Grundlage für den Erfolg einer jeden Behandlung“, sagte Gröhe. Je mehr Patienten über Vorsorge, Krankheitsbilder und Behandlungsmethoden wissen, desto besser können sie Krankheiten vorbeugen und die Therapie und Heilung unterstützen.

Ein vertrauensvolles Verhältnis zum Arzt ist entscheidend

Über das Internet sind heutzutage im Gesundheitsbereich so viele Informationen abrufbar wie nie zuvor. Doch auch dies sei Chance und Herausforderung zugleich – und vereinfache die Lage nicht in jedem Fall. „Denn im Internet lassen sich die neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse nicht immer leicht von werblichen Angeboten und interessengeleiteten Empfehlungen unterscheiden“, mahnte Gröhe.

Notwendig seien deshalb unabhängige, wissenschaftlich belegte und leicht verständliche Gesundheitsinformationen. „Wir können den Dschungel im Internet nicht durch Untersagungen lichten, aber Verständnisschneisen durch gute öffentliche Angebote schaffen.“ Eine Herausforderung ist dies aber auch für Ärzte. Viele Patienten informieren sich über ihre Beschwerden zunächst im Internet bei „Dr. Google“ und konfrontieren die Mediziner nicht selten mit fehlerhaften Informationen, die dann zurechtgerückt werden müssen.

Entscheidend ist das vertrauensvolle Verhältnis zum Arzt. Und dieses setzt voraus, dass der Mediziner mit seinem Patienten derart spricht, dass dieser es auch nachvollziehen kann. „Verständliches Sprechen hilft allen“, meint Gröhe – und dies sei auch keine Frage von Honoraren: „Ein verständlicher Satz eines Arztes muss nicht besser bezahlt werden als ein unverständlicher. Auch ein verständliches Gespräch muss nicht länger sein als ein unverständliches.“ Diese Fähigkeit klarer Vermittlung werde im Studium nicht automatisch vermittelt, sei aber unerlässlich. „Wenn man sein Wissen nicht an den Mann und die Frau bringen kann, dann fehlt etwas.“ Im Kern gehe es deshalb auch um ein Umdenken bei den Ärzten, so Schaeffer: „Wir brauchen eine andere Haltung gegenüber den Patienten.“