Wolfsburg. Der Volkswagen 411 sollte den Erfolg des Bestsellers vor 50 Jahren in die obere Mittelklasse bringen. Das gelang dem Autobauer nicht.

Volkswagen hat viel zu feiern in diesem Jahr, doch ein Jubiläum lassen die Wolfsburger fast still vergehen. Vielleicht weil Witze über das 1968 vor­gestellte Flaggschiffmodell noch heute wehtun: „Wie kommt der VW 411 zu seinem Namen? Endlich ein Käfer mit vier Türen, aber elf Jahre zu spät!“

Tatsächlich hatten die intern Typ 4 genannten zwei- oder viertürigen Limousinen und der Kombi Variant das Vorkriegskonzept des Käfers mit luftgekühltem Heckmotor in die obere Mittelklasse transferiert.

Wowfaktor: Doppelgelenkachsen und Standheizung

Technisch von gestern war der VW 411 nicht. Im Gegenteil, unter dem Slogan „Der Große aus Wolfsburg“ glänzte er als erster Volkswagen mit einer selbsttragenden und viertürigen Karosserie sowie mit Finessen wie ­Vorderachse mit Federbeinen, Querlenkern und Schraubenfedern. Auch hinten gab es moderne Schraubenfedern zur Dop­pelgelenkachse, und für ungewohnten Komfort sorgte die umfangreiche Serienausstattung inklusive Standheizung.

Während der Käfer 1968 zu weltweiter Bestform auflief und sich die größeren Heckmotor-Modelle VW 1500/1600 wacker schlugen, weckte der 411 trotz aller Neuerungen kaum Begeisterung. Was zunächst daran lag, dass der ma­gere 68 PS leistende Vierzylinder die 4,53 Meter lange und beladen 1,5 Tonnen schwere Limousine nur mühsam in Fahrt brachte.

Traurige Scheinwerfer

Vor allem aber störten sich sogar VW-Fans am Frontdesign mit fast endlos langer ­Nase und traurig blickenden Oval-Scheinwerfern. Der neu inthronisierte VW-Konzernlenker Kurt Lotz reagierte rasch und bewil­ligte Nasenkorrekturen wie kräftigere Motoren. Letztlich aber war es der Variant, der den 411 mit Verspätung in Schwung brachte.

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    Eine neue Autowelt war im An­rollen, als Heinrich Nordhoff, der erste Vorstandsvorsitzende der Volkswagenwerk AG, im April 1968 plötzlich verstarb. Nordhoff verteidigte den Käfer und sein Antriebsprinzip aus Vorkriegstagen gegen alle Kritik, und der Erfolg gab ihm scheinbar recht.

    Auch die erste bundesdeutsche Nachkriegsrezession von 1966/67 und das revolutionäre, streikgeschüttelte Jahr 1968 beflügelten den Volkswagen Typ 1 zu neuen Rekordzahlen von jährlich 1,2 Millionen Einheiten.

    Der Vierzylinder brachte die Limousine mühsam in Fahrt

    Andererseits wuchsen mit steigendem Wohlstand die Ansprüche der Käufer. Das VW-Programm wurde um die Mittelklassemodelle 1500/1600 (Typ 3) erweitert – ebenfalls mit luft­gekühltem Heckmotor. Gegen die leistungsstär­kere Konkurrenz von Ford und Opel konnte der konventionelle Typ 3 jedoch keine Dominanz entfalten.

    Die VW-Modelle 412 und K70 aus dem Jahr 1974.
    Die VW-Modelle 412 und K70 aus dem Jahr 1974. © Werk | --

    Anlass nachzulegen, diesmal mit dem 411 (Typ 4) mit selbsttragender Karosserie, mehr Kofferraumvolumen und mehr Komfort im Stufenheck­design. In Serie ging die Krönung des Käfer-Programms als modisch gekleidete Schräghecklimousine und als geräumiger Variant, doch die Zukunft für Fahrzeuge aus Nordhoffs Vermächtnis sah nicht mehr allzu rosig aus.

    Kam es doch vor einem halben Jahrhundert auch zu einer Zeiten­wende im Automobilbau – mit neuen Trends in der oberen Mittelklasse. Dazu zählten starke Motoren ebenso wie der Frontantrieb, den bis dahin die Avantgarde für sich reklamierte. Tatsächlich wirkten sich die Entwicklungen bereits im Wolfsburger Markenprogramm aus, denn dieses wurde um Audi und NSU erweitert.

    Audi macht VW Konkurrenz

    Mit Audi 100 und NSU K 70 traten gleich zwei Limousinen mit Frontantrieb in Konkurrenz zum VW 411. Zwar konnte Nordhoffs Thronfolger Kurt Lotz den K 70 unter NSU-Flagge und als Kombi verhindern, aber als erste frontangetriebene VW-Limousine machte der K 70 dem Typ 411 das Leben schwer.

    Als Käfer im Kingsize-Format mit einer Fastback-Form, die von Pininfa­rina beeinflusst worden sein soll, gewann der 411 deshalb vorrangig Käufer, denen die VW-Typen 1 und 3 zu klein geworden waren, die aber das engmaschige VW-Kundendienstnetz und die legendäre Zuverlässigkeit der Heckmotormodelle nicht missen wollten. Tatsächlich bestätigte die Fachpresse dem frischen VW-Flaggschiff eine „perfekte Qualität in allen Details“.

    Die voluminöse Heckablage und der große Frontkofferraum hinter der kuriosen Nase vergrößerten den Stauraum beim 411 gegenüber den VW 1500/1600 um fast die Hälfte. Damit nicht genug, gab es schon 1968 während der Pressefahrvorstellung gezielt gestreute Gerüchte, dass ein 411 mit Heckklappe in Vorbereitung sei.

    Der Kombi 411 Variant sorgte als Familienmodell für Furore

    Tatsächlich entstand eine solche Limou­sine mit großem Glasdeckel – allerdings nur als Prototyp. Auch ein fünfsitziges Cabriolet des Karossiers Karmann ging nicht in Serie. Realität wurde stattdessen der Kombi 411 Variant, der zum Modelljahr 1970 in den Handel kam und als Familien- und Freizeitmobil für Furore sorgte. Wie schon der Typ 3 Variant war der 411 Kombi zeitweise gefragter als die Limousine.

    Und noch ein Triumph gelang dem VW 411, vor allem aber der 1972 lancierten Evolutionsstufe 412 mit völlig neuer Frontoptik: Wolfsburgs größter Luftgekühlter verkaufte sich jetzt besser als der Feind im eigenen Haus, der K 70. Noch in seinem letzten Verkaufsjahr 1974 erzielte der VW 412 viermal mehr Zulassungen als das „Superauto“, wie Medien den K 70 nannten.

    Glanzstück: Die Motoren

    Dazu beigetragen haben technische Weiterentwicklungen der Antriebe im VW 412. Nachdem bis 1972 ein 1,7-Liter-Einspritzer mit 59 kW/80 PS das Maß der Dinge war, gab es den 412 als fast 160 km/h flotten 1,8-Liter-Einspritzer mit 85 PS. Überhaupt die Motoren. Sie bewiesen ihr Potenzial sogar in dem damals populärsten deutschen Sportwagen, dem VW-Porsche 914.

    Und in 2,0-Liter-Ausbaustufe arbeitete der Boxer in der Sportwagen-Ikone schlechthin, dem 911. Allerdings nur im für Nordamerika bestimmten 912 E von 1976. Vielseitigkeit demonstrierte der Luftgekühlte drei Jahre später, als er den VW Bulli (T3) zu bis dahin ungeahnten Leistungen beflügelte.

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      Es fehlte die Faszination

      Da waren VW 411/412 längst Vergangenheit. Was dem Käfer in der kleinen Klasse gelang, konnten Heinrich Nordhoffs größte Konstruktionen nicht auf die obere Mittelklasse übertragen. Dazu fehlte es ihnen an Faszination. Dennoch bereiteten die Heckmotor-Modelle den Gipfelsturm der Wolfsburger in der Mittelklasse vor. Wurde das Fließheck-Design des VW 1600 TL noch als „traurige Lösung“ belächelt, bereitete der flotter gezeich­nete Rücken der Typen 411/412 den Boden für den Fastback-Look des 1973 lancierten Passat, der anfangs ebenfalls auf eine Heckklappe verzichtete. Dafür stand ja der Variant bereit.

      Auch diese Karosserieform genoss schon mit luftgekühlten Boxermotoren unter der Ladefläche Lifestyle-Charme statt Nutzfahrzeug-Charakter. Trotzdem nahm niemand Notiz, als im Sommer 74 der finale Volkswagen 412 vom Band fuhr. Genauso still und leise verschwand der VW Typ 4 später aus dem Straßenbild.