Stuttgart. Die E-Klasse, größter Umsatzbringer bei Mercedes, übertrifft teilweise sogar die S-Klasse. Viele technische Neuheiten sind aber teuer.

Fahren oder fahren lassen – bislang hat sich diese Frage für Mercedes-Kunden vor allem in der S-Klasse gestellt. Doch wenn die Schwaben am 9. April zu Preisen ab 45.303 Euro die zehnte Generation der E-Klasse in den Handel bringen, steht eine brei­tere Kundenschicht vor dieser Entscheidung – und muss dafür, anders als im Flaggschiff, keinen Chauffeur anstellen. Denn mit dem neuen Benz fürs Business startet auch der neue Drivepilot und kommt dem autonomen Fahren näher als jedes andere Assistenzsystem. Oft minutenlang fliegt man freihändig über die linke Spur der Autobahn und muss nicht mehr tun, als gelegentlich mal die Touchcontrol-Felder auf den Lenkradspeichen zu berühren. Alles andere macht die Limousine selbst, folgt der Spur, auch wenn es um Kurven geht, regelt sich ohne Zutun des Fahrers aufs jeweils aktuelle Tempolimit herunter und überholt sogar den Vordermann, wenn man kurz am Blinkerhebel das entsprechende Signal gibt.

Erstes Serienmodell, das mit anderen Autos kommuniziert

„Dafür haben wir die E-Klasse zum ­intelligentesten Auto der Welt aufgerüstet“, prahlt Entwicklungsvorstand Thomas Weber, und seine Mannschaft erzählt von mehr Programmierzeilen als in einer Boeing 777. Aber Mercedes nutzt den IQ der Steuergeräte nicht nur fürs betreute Fahren, das jeden Chauffeur um seinen Job fürchten lässt. Webers schlaue Truppe hat dem Auto auch sonst die Sinne geschärft und es zu einem Knoten in den digi­talen Datenströmen gemacht: Die E-Klasse scannt auf Kreuzungen deshalb auch den Querverkehr oder weicht bei drohenden Kollisionen mit Fußgängern nach einem dezenten Hinweis des ­Fahrers alleine aus. Sie kommuniziert als erstes Serienmodell mit anderen Autos, bekommt ihre Updates über das Internet, und statt den Fahrer beim Parken nur zu unterstützen, rangiert sie per Fernbedienung vom Smartphone aus selbst in die Lücke.

Auch sonst spielt das Handy übrigens buchstäblich eine Schlüsselrolle in der neuen E-Klasse. Weil man die Zugangsdaten fürs Auto auf dem Telefonchip speichern kann, darf der Zündschlüssel auch mal zu Hause bleiben. So wird die E-Klasse der Baureihe W213 zum Musterschüler der Generation iPhone und nähert sich den Digital Natives so weit, wie es bislang allenfalls Tesla geschafft hat. Dass man deshalb den Innenraum in 64 LED-Farben tauchen und die Displays fast so frei konfigurieren kann wie auf dem Handy, gehört da wohl genauso dazu wie die erweiterte Sprachsteuerung oder das Touchpad auf der Mittelkonsole, das allerdings noch immer nur die zweitbeste Bedienlösung ist: Wenn schon Touch, dann doch bitte direkt am Screen.

Anders als früher die Streber in der Schule, will die neue E-Klasse kein Spießer sein, der auf den Partys nur in der Ecke steht und am Ende kein Mädchen abbekommt. Deshalb hat sich die Limousine ordentlich herausgeputzt und zugleich ihre Muskeln gestählt. Gezeichnet wie eine Mischung aus C- und S-Klasse und nicht mehr so barock wie der Vorgänger, reicht es jedoch beim ersten Blick nicht gleich für Herzrasen. Für die Rolle des Beau gibt es ja bald auch wieder ein Coupé. Doch sieht auch die Limousine mit ihrem glatteren Gesicht und der ausgeprägten Schulterlinie, dem längeren Radstand und den gestrafften Proportionen deutlich schnittiger aus als bisher.

Und wer den Drivepilot schweren Herzens mal in die Pause schickt oder auf eine kurvige Landstraße wechselt, erlebt den Business-Express als überraschend agil. Natürlich wird aus einer mittlerweile fast fünf Meter langen Limousine auch mit variabler Luftfeder und weit gespreizter Charakter-Regelung kein Sportwagen. Aber zumindest macht die E-Klasse so viel Spaß am Steuer und beißt so hungrig in den Asphalt, dass man die Lust am Lenken nicht verliert und sich darüber freut, dass all die Assistenten auch ausgeschaltet werden können.

Der Selbstzünder ist auf alle Schadstoffhürden vorbereitet

Bei allem Charme kann der Benz fürs Business den Streber allerdings auch unter der Haube nicht verheimlichen. Denn während der kernig bollernde E 400 mit seinem 333 PS starken V6-Motor erst später kommt und vom AMG-Modell offiziell noch gar keine Rede ist, schwärmt Entwicklungschef Weber lieber von dem neuen Wunderdiesel OM 654, mit dem die Schwaben auch dem Selbstzünder die Zukunft ­sichern wollen.

Schließlich ist er auf alle kommenden Schadstoffhürden vorbereitet und obendrein so ziemlich der sparsamste Ölbrenner, den man in dieser Klasse kaufen kann. Auch weil die E-Klasse zwar größer, aber trotzdem bis zu 70 Kilo leichter geworden ist, weil sie einen rekordverdächtigen cw-Wert von 0,23 hat und weil sie serienmäßig mit 9-Gang-Automatik kommt, verbraucht der mit 195 PS und 400 Nm alles andere als langweilige Vierzylinder im Mittel nur 3,9 Liter. „Viele Autos aus der Kompaktklasse sind da weniger sparsam“, freut sich Weber. Daneben gibt es zum Start einen E 200-Benziner mit 184 PS und im Lauf des Jahres ein halbes Dutzend weitere Motoren, für ­Taxifahrer den 150 PS starken E 200d, für Teckies mit grünem Gewissen ein Plug-in-Hybrid im E 350e mit 286 PS Systemleistung, 30 Kilometern elek­­trischer Reichweite und einem Normverbrauch von 2,1 Litern und für Vielfahrer den E 350d, der mit 258 PS und 620 Nm den nötigen Punch für den täglichen Kleinkrieg auf der Autobahn mitbringt und bei einem Normverbrauch von 5,1 Litern auch einen ausreichend langen Atem hat.

Aber nicht nur unter der Haube ist bei der E-Klasse Vielfalt Trumpf. Auch bei den Karosserievarianten haben die Schwaben noch viel vor. T-Modell, Coupé und Cabrio sind gesetzt und von einem Geländekombi im Stil des A6 Allroad wird schon so laut gemunkelt, dass es eigentlich gar keine offizielle Bestätigung mehr braucht.

Der Neue bringt die Hackordnung durcheinander

Sparsamer, sicherer und schlauer als jede andere Mercedes-Limousine und mit dem neuen Cinemascope-Bildschirm im weit geschwungenen Cockpit, den faszinierenden Grafiken der digitalen Instrumente und der pfiffigen Blackberry-Tasten im Lenkrad bis auf den vielleicht ein bisschen zu verspielten Startknopf vor allem innen auch noch schöner – so wird die neue E-Klasse nicht nur zum neuen Star in der Business-Klasse, sondern bringt womöglich auch im eigenen Haus die Hackordnung durcheinander und das Flaggschiff gehörig in Bedrängnis.

Denn zumindest für Selbstfahrer ohne Profilneurose gibt es diesseits der Achtzylinder kaum mehr einen Grund, jetzt eine S-Klasse zu kaufen. Natürlich werden die Strategen in Stuttgart das nicht gerne sehen, doch zumindest den Buchhaltern wird es fast egal sein. Denn mit den vielen neuen Extras lässt sich der Preis der neuen Limousine in ungeahnte Höhen treiben. Auch in der Disziplin kommt die E-Klasse der S-Klass gefährlich nahe.