Berlin. Eine angedachte Technik sollte das Kükenschreddern beenden, doch die Technik stockte. Was sind jetzt funktionierende Alternativen?

Etwa 45 Millionen männliche Hühnerküken werden in Deutschland jährlich nach dem Schlüpfen getötet, weil sie keinen wirtschaftlichen Wert haben. Ein gesetzliches Verbot dieses Vorgehens lehnte die Bundesregierung bislang ab. Stattdessen wollte man Brütereien eine Alternative bieten. Eine neue Technik sollte schon im Ei das Geschlecht erkennen, sodass die männlichen Tiere gar nicht erst ausgebrütet werden müssten.

Auf der Grünen Woche in Berlin präsentierte Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) im Februar den Prototyp einer Apparatur, die Hühnereier mithilfe der sogenannten Ramanspektroskopie untersucht. Noch 2017 könnten Betriebe die Maschinen bestellen, so das Versprechen. Doch am Donnerstag stellte Schmidt nun einen weiteren Prototyp vor – mit einer völlig anderen Technologie. Wie funktioniert die neue Alternative?

Vor drei Jahren starteten die ersten Projekte

Vor rund drei Jahren startete das Bundesernährungsministerium die Initiative „Eine Frage der Haltung“ und förderte in diesem Rahmen unter anderem mehrere Projekte, die das Kükentöten langfristig beenden sollten. Darunter auch das jetzt vorgestellte Verfahren, das auf endokrinologische Methoden setzt – also die Untersuchung von Hormonen.

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU).
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). © dpa | Ralf Hirschberger

„Mit einer kleinen Nadel wird dabei nach zehn Bruttagen ein ein Millimeter großes Loch in das Ei gestochen und unmittelbar unter der Schale etwas von der Flüssigkeit entnommen, in der der Embryo schwimmt“, erklärt Rudolf Preisinger, Forschungsleiter der auf Legehennen spezialisierten Firma Lohmann Tierzucht. Er ist Mitglied des Kompetenzkreises der Bundesinitiative und begleitete das Vorhaben als Wirtschaftspartner. Anschließend werde der Hormongehalt anhand des Urins in der Flüssigkeit bestimmt, um das Geschlecht zu bestimmen.

Das Ziel: Bestimmung des Geschlechts in 15 Minuten

Und hier beginnen bereits die Probleme: „Die Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen sind sehr gering, zudem dauert der Test mit etwa einer Stunde sehr lang“, erklärt Preisinger. Während dieser Zeit müssten die Eier wieder zurück in den Brutschrank, um den Em­bryos nicht zu schaden. Eine Praxis, die sich in einem Großbetrieb kaum umsetzen lässt. Das Ziel sei die Geschlechtsbestimmung in 15 Minuten, so Preisinger. „Wir sind wissenschaftlich noch nicht da, wo wir zu diesem Zeitpunkt schon sein wollten.“

Abhilfe soll ein Bündnis aus privaten und öffentlichen Akteuren schaffen. Entwickelt wurde die Methode an der Universität Leipzig, zur Marktreife bringen soll es die neu gegründete Firma Seleggt, die von der Supermarkt-Kette Rewe ins Leben gerufen wurde. Schmidt kündigte bei der Vorstellung des Prototyps am Donnerstag an, „derzeit mit Hochdruck zwei Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei in die Praxis“ zu überführen. Preisinger formuliert es vorsichtiger: „Vielleicht sind wir nächstes Jahr so weit.“

Denn auch die ursprünglich als führend angekündigte Methode, die Ramanspektroskopie, sollte laut dem Ernährungsminister schon 2017 einsatzbereit sein. Das ebenfalls von der Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Dresden entwickelte Verfahren gilt als eleganter. Anders als bei der Hormon-Untersuchung setzt es schon am dritten Bebrütungstag an – mögliche Kritik zur Leidensfähigkeit der Embryos spielt so eine deutlich geringere Rolle.

Keine Methode scheint bis jetzt praxisreif

„Mit einem Laser wird ein etwa zwölf Millimeter großes Loch in die Eierschale geschnitten“, erklärt Preisinger. Spektroskopisch wird dann die biochemische Zusammensetzung des Eis bestimmt. „Der Laser wird auf eine Blutader gerichtet und die Reflexion gemessen“, so der Genetiker. Anhand dieses sogenannten Spektrums lasse sich das Geschlecht erkennen – „mit sofortigem Ergebnis“, wie Preisinger erklärt. Ein weiterer Vorzug gegenüber der langwierigeren Hormon-Methode.

Nach der Geschlechtsbestimmung wird die Eierschale mit medizinischem Klebeband wieder verschlossen. So weit die Theorie. „Doch es gab erhebliche Rückschläge“, sagt Preisinger. Die hohen Trefferquoten im Labor hätten sich in der Praxis nicht wiederholen lassen. Zudem bergen das vergleichsweise große Loch und das Anheben des Deckels letztendlich größere Risiken für den Embryo als das kleine Nadelloch beim Konkurrenzverfahren. Welche der beiden Methoden schlussendlich den Zuschlag erhält, scheint offen – praxisreif sind beide offenbar noch nicht.

Kritik am Wechselkurs des Ministeriums

Aus der Opposition kommt heftige Kritik für den anhaltenden Wechselkurs des Ernährungsministeriums. „Seit 2015 lobt Minister Schmidt die Lasermethode. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Plötzlich wird der Prototyp einer anderen Methode vorgeführt. Noch-Minister Schmidt ist offensichtlich bemüht, die Bilanz seiner Amtszeit ein kleines bisschen weniger desaströs erscheinen zu lassen. Doch die Bilanz ist: 45 Millionen getöteter Küken jährlich, falsche Entscheidungen und unehrliche Aussagen“, sagte Grünen-Bundestagsmitglied Friedrich Ostendorff, Sprecher für Agrar­politik, dieser Redaktion.

Experte Preisinger sieht es optimistischer: „Unabhängig vom Ausgang der kommenden Wahl wird weiter an allen Verfahren geforscht.“ Die weitere Förderung sei bereits beschlossen.