Berlin. Das sogenannte Laser-Schmelzen könnte die Industrie auf den Kopf stellen. Jetzt soll es fit gemacht werden für die Massenproduktion.

Der dunkelgraue Türbeschlag erinnert an Teile eines Skeletts. Knochengleich vereinen sich dünne Streben zu einem stabilen Halter. Demnächst soll er in ein Flugzeug eingebaut werden, in eine Airbus-Maschine vom Typ A350. Der Beschlag ist aus Titan, Schicht für Schicht geschweißt. Additives Laser-Schmelzen nennt sich das Verfahren, Experten sprechen vereinfacht von 3-D-Druck.

„Das Thema hat in meinen Augen das Potenzial, die Industrie so zu revolutionieren wie es der Buchdruck mit der Kultur getan hat“, sagt Volker Thum, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie.

Gasturbinen und Zahnersatz aus dem Drucker

3-D-Drucker sind seit Jahren auf dem Vormarsch. In der Medizin spielen sie eine wachsende Rolle, ebenso in der Fertigung. Die Preise sind rapide gefallen. Einfache Maschinen gibt es für 300 bis 500 Euro. Lange ging es vornehmlich um Spritztechnologie. Die Drucker schichteten Kunststoffe aufeinander.

Doch längst ist aus der anfänglichen Spielerei eine Hochtechnologie-Branche entstanden, die viele Materialien verarbeiten kann: Siemens zum Beispiel lässt Ersatzteile für Gasturbinen drucken, Dentallabore Zahnersatz. Die Wirtschaft will Milliarden in die Technologie investieren. In den USA und Deutschland hoffen viele, durch sie einen Teil der industriellen Fertigung aus dem Ausland zurückzuholen.

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    „Kein Raum für Industrieromantik“

    „Die Drucker können tatsächlich überall stehen“, sagt Thomas Ehm, Vorsitzender der Geschäftsführung von Premium Aerotec. Das Unternehmen aus dem niedersächsischen Varel, eine 100-prozentige Tochter des Flugzeugbauers Airbus, hat beim Drucken des Übergangsmetalls Titan große Fortschritte erzielt.

    „Wir haben den Schritt vom Labor in die Fabrik geschafft“, sagt Ehm. Aerotec hat Flugzeug-Bauteile identifiziert, neu moduliert, gedruckt, getestet und prüfen lassen. „Dabei zahlt keiner einen Cent mehr, weil das Teil gedruckt statt wie bisher gefräst ist“, sagt Standortleiter Gerd Weber. „Für Industrieromantik gibt es keinen Raum.“

    Neue Verfahren müssen deutlichen Vorteil aufweisen

    Was Weber damit meint, sind Wettbewerb und Kostendruck. Die neue Technologie muss nicht nur konkurrenzfähig, unterm Strich muss sie günstiger und besser sein. Und das bei gesicherter Produktion, bei kurzen Ausfallzeiten der Maschinen und einer 100-prozentigen Wiederholungsgenauigkeit. Weil es für gedruckte Titanbauteile noch keine Zulassung durch das Bundesluftfahrtamt gab, musste Aerotec viel Aufwand betreiben: das Verfahren von Grund auf beschreiben, dokumentieren und den Prozess bis zur Freigabe begleiten.

    „Es war ein steiniger Weg“, sagt Weber. Mittlerweile sind 16 Flugzeugteile in der seriellen Produktion, zehn für den Passagierflieger A350, sechs für den Militärtransporter A400M. Bis Ende 2017 sollen es 50 sein. Ehm: „In Zukunft könnten wir nahezu jedes Teil drucken.“

    Flugzeuge könnten 1,6 Tonnen Gewicht abnehmen

    Die Vorteile des Verfahrens liegen auf der Hand. 3-D-Druck ermöglicht die Herstellung neuer, von der Natur beeinflusster Formen, die Verarbeitung schwer zerspanbarer Materialien und den werkzeuglosen Bau von Teilen bei etwa 90 Prozent weniger Abfall. Komplexe Baugruppen müssen zudem nicht mehr montiert werden, sie lassen sich in einem drucken.

    „Wir bringen das Material nur dahin, wo wir es brauchen“, sagt Ehm. Das spare Zeit bei der Produktion und vor allem: Gewicht. In der Luft- und Raumfahrt ist das ein immenser Vorteil. Hier zählt jedes Kilogramm. Weniger Gewicht bedeutet weniger Treibstoff – und damit weniger Kosten und Emissionen. Ein Passagierflugzeug, hat Airbus berechnet, könne mit Hilfe des Laserdruckers bis zu 1,6 Tonnen leichter werden. Auch an Raketenteilen für die europäische Raumfahrt wird bereits geforscht.

    Lehrpläne an Universitäten müssen überdacht werden

    Prof. Claus Emmelmann von der TU Hamburg-Harburg nennt die Serienfertigung von Airbus-Teilen einen Meilenstein. „Bisher ist es vor allem ein Feld für die Forschung gewesen, jetzt wird es industriell und erlaubt uns völlig neue Konstruktionen“, sagt der Leiter des Instituts für Laser- und Anlagensystemtechnik sowie Chef der Firma Laser Zentrum Nord. Die Konkurrenz aus Asien schaue mit großen Augen, was in dieser Hinsicht in Deutschland geschehe.

    Neben der Gefahr des Kopiertwerdens bringe der Erfolg aber große Herausforderungen mit sich: für Maschinenbauer, die Ingenieurwissenschaft oder die Lehre von Konstruktionsregeln an den Universitäten. „Viele Dinge müssen neu gedacht werden. Da braucht es Pioniergeist“, sagt Emmelmann.

    Wirtschaftswissenschaftler glauben an Wachstum

    Ob das neue Verfahren tatsächlich zur industriellen Revolution ansetzen kann, wird sich wohl auch in den kommenden 18 Monaten entscheiden. Dann arbeiten Premium Aerotec, Autobauer Daimler und Druckerhersteller EOS an dem Projekt „NextGen AM“. Ziel ist es, den 3-D-Druck metallischer Bauteile voranzutreiben und die Grundlage für den Technologie-Einsatz in der Großserienfertigung zu schaffen, etwa in der Automobilindustrie. Beim Aluminium zum Beispiel sind die Kosten noch viel zu hoch.

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      Die Wirtschaftswissenschaft scheint an einen Erfolg zu glauben. Sie prognostiziert dem metallischen 3-D-Druck bis 2025 ein Wachstum der Wertschöpfung von einer auf 100 Milliarden Euro. „Wir stehen womöglich am Punkt einer historischen Weichenstellung“, sagt Thomas Ehm. „Wenn uns die Fortschritte gelingen, wird sich der Industrie ein Riesenfeld eröffnen.“