Berlin. Die illegale Designerdroge Crystal Meth breitet sich in Deutschland immer weiter aus. Therapieangebote erreichen die Szene nur schwer.

Sie wollen ausgelassen und ausdauernd sein – landen aber stattdessen häufig mit Herzrasen, Wahnvorstellungen und in die Höhe schießendem Blutdruck auf der Intensivstation: Menschen, die synthetisch hergestellte Drogen nehmen. Traurige Berühmtheit durch steigende Zahlen von Abhängigen erreicht Crystal Meth.

Wie viele Menschen die Droge konsumieren, ist nicht genau bekannt. Bislang liegen keine belastbaren epidemiologischen Daten vor. Laut der aktuellen Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gaben ein Prozent der Befragten Männer zwischen 18 und 25 Jahren an, schon einmal Crystal Meth konsumiert zu haben.

Dass der Konsum zunimmt, darauf deutet die Kriminalstatistik hin. So nennt die neue Leitlinie zur Behandlung von Störungen, die durch das illegale Rauschmittel auftreten, bundesweit 3905 Fälle, in denen Crystal Meth 2014 von der Polizei sichergestellt wurde, zehnmal mehr als noch 2008. Damit liegt die Droge auf Rang drei hinter Amphetamin (9853 Fälle) und Cannabis-Produkten (36720 Fälle) sowie knapp vor Heroin (2857 Fälle). Die Polizei ist alarmiert, Suchtexperten arbeiten an Konzepten, um Betroffene zu erreichen.

• Was ist Crystal Meth?

Chemisch ist Crystal Meth eng verwandt mit dem Amphetamin, das bereits eine lange Geschichte hat. „Es wurde bereits in den 1890er-Jahren synthetisiert und kam als Mittel gegen Asthma auf den Markt“, erzählt Pharmakologe Dr. Gery Schmitz. Er leitet die Zentralapotheke des Verbundes Katholischer Kliniken Düsseldorf (VKKD). „Fast zeitgleich wurde das deutlich stärker wirkende Methamphetamin entwickelt. Es kann die Blut-Hirn-Schranke leichter überwinden als Amphetamin und so besonders schnell seine Wirkung entfalten“, so Schmitz. Methamphetamin wirke ähnlich wie Amphetamin auf das zentrale und ebenso auf Teile des vegetativen Nervensystems – allerdings mehrfach stärker als Amphetamin. Es stimuliere die Freisetzung körpereigener Botenstoffe in sehr hohen Konzentrationen.

In Deutschland ist Methamphetamin seit 1988 verboten, erlebt aber als Crystal Meth ein illegales Revival. „Das ist hoch gereinigtes kristallines Methamphetamin, es wird meist durch die Nase eingenommen („geschnupft“), geraucht oder per Injektion dem Körper zugeführt“, sagt Professor Norbert Scherbaum, Ärztlicher Direktor des LVR-Klinikums Essen und Experte für abhängiges Verhalten.

Crystal Meth spielt als synthetische Droge vorwiegend in Bayern, Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt sowie in einigen Landkreisen von Brandenburg eine wichtige Rolle. „Es wird in der Tschechischen Republik recht professionell von organisierten Banden hergestellt“, erklärt Sascha Milin, der sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) intensiv mit synthetischen Drogen und mit Hilfsangeboten für Abhängige befasst. Die Droge wird in der Regel aus Grippemitteln (Wirkstoff: Pseudoephedrin) „zusammengekocht“.

Wie Crystal Meth den Körper zerstört

Die Fotos der Behörde sollen ein möglichst authentisches Bild davon liefern, wie verheerend die Folgen des Konsums sind. Die Zeitabstände der Vorher-Nachher-Aufnahmen unterscheiden sich...
Die Fotos der Behörde sollen ein möglichst authentisches Bild davon liefern, wie verheerend die Folgen des Konsums sind. Die Zeitabstände der Vorher-Nachher-Aufnahmen unterscheiden sich... © facesofmeth.us | facesofmeth.us/Multnomah County Sheriff's Office
... stark voneinander. Einige zeigen, dass der Verfall rasant innerhalb weniger Monate fortschreiten kann. Zu den Langzeitfolgen des sogenannten Methamphetamins, das in den USA seit 1970 verboten ist: ...
... stark voneinander. Einige zeigen, dass der Verfall rasant innerhalb weniger Monate fortschreiten kann. Zu den Langzeitfolgen des sogenannten Methamphetamins, das in den USA seit 1970 verboten ist: ... © facesofmeth.us | facesofmeth.us/Multnomah County Sheriff's Office
Hautentzündungen, Mundfäule und Zahnausfall, Magenschmerzen bis hin zum Magendurchbruch. Viele Konsumenten verlieren zudem sehr schnell...
Hautentzündungen, Mundfäule und Zahnausfall, Magenschmerzen bis hin zum Magendurchbruch. Viele Konsumenten verlieren zudem sehr schnell... © facesofmeth.us | facesofmeth.us/Multnomah County Sheriff's Office
... an Gewicht. Eine Reihe von Schäden sind hingegen nicht auf den ersten Blick zu sehen. So verursacht der Konsum ...
... an Gewicht. Eine Reihe von Schäden sind hingegen nicht auf den ersten Blick zu sehen. So verursacht der Konsum ... © facesofmeth.us | facesofmeth.us/Multnomah County Sheriff's Office
... unter anderem auch Herzrhythmusstörungen, Herzrasen sowie Gehirnschäden mit Denk- und Konzentrationsstörungen. Und auch...
... unter anderem auch Herzrhythmusstörungen, Herzrasen sowie Gehirnschäden mit Denk- und Konzentrationsstörungen. Und auch... © facesofmeth.us | facesofmeth.us/Multnomah County Sheriff's Office
... unter psychotischen Symptomen leiden die Konsumenten. Sie haben paranoide Halluzinationen, Panikattacken und Angstzustände. Der Rausch von Crystal kann...
... unter psychotischen Symptomen leiden die Konsumenten. Sie haben paranoide Halluzinationen, Panikattacken und Angstzustände. Der Rausch von Crystal kann... © facesofmeth.us | facesofmeth.us/Multnomah County Sheriff's Office
... in Einzelfällen bis zu 70 Stunden anhalten. Die Zahl der Abhängigen steigt seit Jahren an.
... in Einzelfällen bis zu 70 Stunden anhalten. Die Zahl der Abhängigen steigt seit Jahren an. © facesofmeth.us | facesofmeth.us/Multnomah County Sheriff's Office
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• Wer sind die Konsumenten?

Experte Sascha Milin beobachtet eine schleichende Steigerung der Süchtigenzahlen bundesweit. „Vor allem die Eigenschaft, dass Crystal Meth wach und zur Not verteidigungsbereit macht, wird meiner Meinung nach dafür sorgen, dass es im Straßendrogenmilieu zunehmend eine größere Rolle spielt.“ Darüber hinaus gebe es eine spezielle Szene Homosexueller, innerhalb derer das Rauschmittel gängig sei.

Eine vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Studie mit rund 400 Amphetamin- und Metamphetaminkonsumenten und rund 70 ehemaligen Konsumenten aus dem Jahr 2013 ergab: Mehr als die Hälfte der Befragten nimmt die Droge im Job, um beruflichen Herausforderungen besser gerecht zu werden.

• Warum ist es so schwer, Abhängige für eine Therapie zu erreichen?

„Es ist nicht leicht, Betroffene zu erreichen, weil sie sich ihre Sucht häufig nicht eingestehen“, erklärt Sascha Milin. Ein Grund: Anfangs erscheint die Wirkung oft positiv – man schafft es, bestimmte Ziele zu erreichen oder eine Nacht lang durchzutanzen. Wer süchtig sei, könne laut Milin auch eine Woche ohne Crystal Meth auskommen und sich dadurch einreden, er habe die Abhängigkeit im Griff. Ein Trugschluss, über den unter anderem das Portal „Breaking Meth“ aufklärt, das Milin mit betreut.

Es ist ein Modellprojekt des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg zusammen mit dem Projekt „Drug Scouts“ aus Leipzig. Das virtuelle Selbsthilfe-Angebot will Ratsuchende erreichen und so informieren, dass sie die kostenlosen und anonymen Angebote der Suchthilfe annehmen. „Unsere selbst Crystal-erfahrenen Moderatoren kommen aus verschiedenen Nutzergruppen, es sind Mütter mit Kindern dabei oder Homosexuelle, die aber schon mindestens ein Jahr ,clean‘ sind“, sagt Milin.

„Der Entzug von Crystal Meth ist der erste Schritt zur Abstinenz“, erklärt Suchtexperte Professor Scherbaum. „Im Entzug leiden die Betroffenen vor allem unter depressiver Verstimmung bis hin zu Selbstmordideen und extremer Müdigkeit. Hier werden symptomlindernde Medikamente eingesetzt.“ Eine Ersatzbehandlung durch andere Substanzen wie bei Opiaten gebe es nicht.

• Weshalb macht Crystal Meth süchtig?

Die Qualität der transparenten oder leicht gelblichen Kristalle, die in Tütchen verkauft werden, ist laut Sascha Milin hoch und nicht durch andere, zusätzliche Substanzen getrübt, wie es bei anderen Modedrogen wie Ecstasy oder Speed (Amphetamin) verstärkt festgestellt wird. Er unterscheidet zwei Typen von Süchtigen: Diejenigen, die Crystal Meth in kleinen Mengen von bis zu etwa 30 Milligramm pro Tag nehmen, um bei monotonen Tätigkeiten länger durchzuhalten und wach zu bleiben.

Und die anderen, die sich mit meist hohen Dosen (80 Milligramm bis zu einem Gramm pro Tag) sehr schnell in euphorische Zustände versetzen. „Als weiterer Effekt schirmt Crystal Meth gegen Emotionen ab, das macht es so gefährlich – weil zum Beispiel Menschen mit Depressionen es nehmen, um negative Gefühle zu verdrängen“, sagt Sascha Milin. Er hat als Autor an der Leitlinie zur Therapie von Methamphetamin-bezogenen Störungen mitgewirkt und weiß ebenso wie Suchtexperte Norbert Scherbaum: Diese Wirkung als scheinbarer „Problemlöser“ ist ein Grund, weshalb die Droge süchtig macht und oft zu Rückfällen führt.

• Welche negativen Effekte hat die Droge auf den Körper?

„Die Euphorie kann plötzlich umschlagen in Anspannung, Reizbarkeit, Aggressivität, ungerichtete Impulsivität, aber auch in diffuse Ängste“, heißt es in der Behandlungsleitlinie über Crystal Meth. Konsumenten fallen demnach durch Hyperaktivität auf. Sie können oft nicht adäquat reagieren, weil sie sich selbst überschätzen. Psychische Auffälligkeiten reichen bis hin zu Wahnvorstellungen. Vor allem sehr hohe Dosen lassen den Blutdruck entgleisen und das Risiko für Schlaganfälle, Herzinfarkte oder Herzrhythmusstörungen steigen. „Langfristig Folgen der Einnahme sind insbesondere Gehirnschäden mit Gedächtnisstörungen, Gewichtsverlust, schwerwiegender Zahnverfall sowie Herz-Kreislauf-Probleme“, sagt Professor Norbert Scherbaum.