Berlin. Dank der neuartigen „Liquid Biopsy“ könnten Tumorpatienten in Zukunft gezielter behandelt werden. Doch es stellen sich ethische Fragen.

Das Blut erzählt vieles über den Körper, durch dessen Adern es fließt. Auch von Erkrankungen, manchmal lange bevor klinische Symptome auftreten. Sie hinterlassen ihre Spuren etwa in Gestalt von Viren und Bakterien – oder von Tumorzellen, die in dem unendlichen Strom aus Blutzellen schwimmen. Diese Spuren gilt es zu lesen. Und hier liegt eine der großen Hoffnungen in der Medizin: ein Krebstest aus dem Blut, die Liquid Biopsy, übersetzt: Flüssigbiopsie.

Das Prinzip dahinter: Tumoren geben ganze Zellen oder DNA-Bruchstücke ins Blut ab. Die individuellen Informationen über einen Tumor, die sie im Gepäck haben, müssten dann nur noch aus dem Blut ausgelesen werden. Am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg arbeiten Wissenschaftler daran, dass dieses Verfahren in der Krebs-Diagnose und Tumor-Therapie einmal klinisch anwendbar wird. Professor Holger Sültmann leitet am DKFZ die Arbeitsgruppe Krebsgenomforschung. „Wir haben die Hoffnung, Krebserkrankungen anhand von Blutproben früher erkennen und besser begleiten zu können“, sagt er. Die Früherkennung, sagen Krebsforscher, bleibt in den kommenden Jahren noch eine Hoffnung. Die bessere Begleitung, das sogenannte Tumor-Monitoring, ist schon heute mehr als das.

Gewebeentnahme ist nicht immer möglich

Bislang entnehmen Ärzte Krebspatienten für eine Diagnose oder um den Verlauf der Erkrankung zu beobachten Gewebeproben. Doch das birgt Probleme: Diese Nadelbiopsie ist nicht oder nur mit Risiken bei jeder Krebsart anwendbar, etwa bei Hirn- oder Lungentumoren. Hinzu kommt, dass einem Patienten nicht ständig Gewebe entnommen werden kann.

„Das ist der große Vorteil der Liquid Biopsy“, sagt Sültmann, „man kann in regelmäßigen Abständen Blut entnehmen und den Tumor dabei beobachten, wie er sich durch die Therapie entwickelt.“ Ob er auf bestimmte Medikamente anspricht und wie lange. Denn Krebszellen entwickeln eigentlich „nahezu sicher“, wie Sültmann sagt, irgendwann Resistenzen gegen Wirkstoffe. Da kann eine möglichst engmaschige Beobachtung des Tumors lebenswichtig sein.

Es war die Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Dass Tumoren Zellen und Zellreste ins Blut abgeben, wissen Forscher schon lange. „Aber es war immer die Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, beschreibt Professor Klaus Pantel vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) die anfänglichen Versuche von Liquid Biopsy vor rund 15 Jahren. Pantel leitet am UKE das Institut für Tumorbiologie. „Man muss sich vorstellen, dass diese Krebszellen umgeben sind von Milliarden Blutzellen. Wir mussten sie dazwischen irgendwie aufspüren.“ Mittlerweile ist die Wissenschaft jedoch bei bestimmten Krebsarten mittels hochempfindlicher Anreicherungsmethoden in der Lage, diese Krebszellen als Nadeln im Heuhaufen mit all ihren Informationen zu finden.

Doch noch gibt es viele Hürden. So scheint die Konzentration der Tumor-DNA im Blut im Laufe des Tages zu schwanken. Auch die individuelle genetische Konstitution des Patienten spielt eine Rolle. „Faktisch ist kein Tumor identisch mit einem anderen“, erklärt Sültmann vom DKFZ. So sind seit wenigen Jahren einige Bluttests in den USA zugelassen, jedoch jeweils zugeschnitten auf eine bestimmte Patientengruppe. „Wir werden in absehbarer Zeit kein Verfahren entwickeln, das für alle Krebsarten anzuwenden ist. ,Den Krebstest‘ wird es in naher Zukunft nicht geben.“

Bei der Früherkennung stehen Forscher vor großen Fragen

Dennoch, in einer Studie kam Sültmanns Arbeitsgruppe schon zu ermutigenden Ergebnissen: Sie konnte nur allein durch Blutproben, die man Lungenkrebs-Patienten entnommen hatte, beobachten, wie sich der Tumor durch die Behandlung mit einem speziellen Medikament veränderte. „Wir haben gesehen, dass die Konzentration der Tumor-DNA am Anfang der Behandlung abgenommen hat. Und wieder angestiegen ist, als der Krebs zurückkam“, erklärt Sültmann. Mehr noch: Die Wissenschaftler stellten fest, dass der Wiederanstieg der Krebs-DNA bei einigen Patienten rund drei Monate früher messbar war als andere Symptome für die Rückkehr der Erkrankung.

Auch Klaus Pantel kann von Studien mit Tausenden Brust- und Prostatakrebs-Patienten erzählen, die Hoffnung machen. Und am UKE wird die Analyse von Krebszellen oder Tumor-DNA im Sinne einer Liquid Biopsy in Einzelfällen zur engmaschigen Beobachtung von Krebspatienten bereits eingesetzt.

Ursprung der Krebszellen nicht immer feststellbar

Wesentlich komplexer als das Tumor-Monitoring mithilfe von Liquid Biopsy ist die Früherkennung. Es klingt vielversprechend: Wenige Milliliter Blut machen Untersuchungen zur Krebsvorsorge wie die Mammografie überflüssig. Doch die Krebsforscher stehen noch vor großen Fragen.

Finden sie etwa Krebszellen oder -DNA im Blut, wissen sie häufig noch nicht, woher sie kommen. Bei einigen Krebsarten ist das bereits möglich. Da weist etwa ein Eiweiß darauf hin, dass die Krebszellen aus der Prostata kommen. Auch bei anderen Organen gibt es diese sogenannten Marker – aber eben nicht bei allen. Sagt der Arzt dem Patienten dann: „Wir haben etwas gefunden, aber wir wissen nicht, woher es kommt“? Hier kommen zusätzlich zur wissenschaftlichen Umsetzung ethische Fragen zum Tragen.

Tumor-DNA im Blut wie „Hintergrundrauschen“

„Man kann im menschlichen Blut viele Mutationen finden, auch bei Menschen, die bislang nicht krank sind“, weiß Sültmann. „Aber wie geht man dann damit um?“ Pantel bestätigt das. Gerade bei älteren Menschen könne man Tumor-DNA im Blut feststellen, „es ist wie ein Hintergrundrauschen“.

Das müsse aber nicht bedeuten, dass diese Menschen an Krebs erkrankt sind. „Oder stellen wir uns vor, wir entwickeln einen Test, der zu 99 Prozent zuverlässig ist, aber zu einem Prozent machen wir Menschen zu Tumorpatienten, die eigentlich gar keine sind“, sagt Pantel, „wir würden damit Zehntausende in Angst versetzen.“ Deswegen müsse jede wissenschaftliche Entwicklung auch zeigen: Was nützt sie dem Menschen?