Berlin. Der Bund arbeitet an einem neuen Gütezeichen für Tierwohl. Damit werde ein Konsumenten-Wunsch erfüllt. Tierschützer bleiben skeptisch.

Der Ernährungsreport 2017 spricht eine deutliche Sprache: Die Deutschen essen erstens am allerliebsten Fleisch und sind zweitens sehr daran interessiert, dass die Tiere in der Landwirtschaft artgerecht gehalten werden. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft arbeitet auch deshalb an einem neuen nationalen Gütezeichen für Tierwohl. Das soll voraussichtlich ab dem Jahr 2019 Verbrauchern beim Einkauf helfen. Ein Überblick.

Was ist bisher über das neue Label bekannt?

Das Ministerium gibt sich verschlossen. Es will offenbar ein Spitzengespräch mit Vertretern von Bauern, Fleischproduzenten und dem Lebensmittelhandel abwarten. Das Treffen steht dem Vernehmen nach noch aus. Details sollen zur internationalen Messe für Ernährungs- und Landwirtschaft Ende Januar vorgestellt werden. Die Grüne Woche ist die wichtigste Veranstaltung der Branche.

Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller.
Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller. © dpa | Daniel Naupold

Durchgesickert ist bisher der Inhalt eines Eckpunktepapiers. Darin heißt es: Das dreistufige Label könnte zunächst für Schweine-, später auch für Geflügelfleisch entwickelt werden. Zertifiziert würden Aufzucht, Transport und Schlachtung. Das Siegel werde vergeben, wenn die Standards des Tierschutzgesetzes übertroffen würden. Es sei freiwillig und soll keine Prangerfunktion haben. Private Kontrolleure sollen die Einhaltung „dynamischer Kriterien“ überwachen. Orientieren wolle sich das Ministerium an Vorgaben von Tierschützern und einer vor zwei Jahren gegründeten Tierwohl-Initiative von Landwirtschafts- und Lebensmittelverbänden.

Was sagen Verbraucherschützer?

Klarheit sei das oberste Gebot. Das forderte am Montag der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Klaus Müller. Der Verbraucher müsse sich nach Einführung des Labels darauf verlassen können, „dass bestimmte Standards erfüllt sind, wo dieses Tierschutzlabel draufsteht“, sagte Müller.

Dass eine entsprechende Kennzeichnung aus Sicht des Verbandes notwendig und aussichtsreich ist, zeigten die Verbraucherzentralen vor etwa einem Jahr. Damals initiierten sie eine repräsentative Umfrage zu diesem Thema. Neun von zehn Verbrauchern konnten demnach auf Anhieb kein Label für Tierschutz nennen, 83,6 Prozent wollten die Haltungsbedingungen am Produkt nachvollziehen können. Und zwei Drittel waren bereit, mehr Geld für Fleisch aus artgerechter Haltung auszugeben.

Was sagen Tierschützer?

„Die Zeit ist überreif für ein staatliches Label“, sagt Marius Tünte, Sprecher des Deutschen Tierschutzbundes. Der Minister könnte auf Bestehendes zurückgreifen und ohne große Mühe ein dreistufiges staatliches Tierschutzlabel einführen. „Eine Basisstufe könnte auf Grundlage von verbesserten und erweiterten Kriterien der Initiative Tierwohl entstehen, die zweite Option wäre eine Einstiegsstufe unseres Tierschutzlabels, ganz oben könnte eine Premium­stufe stehen“, sagt Tünte weiter. Hauptkritikpunkte der Tierschützer sind das Töten männlicher Eintagsküken, beengte Platzverhältnisse, Kastrationen von Ferkeln ohne Betäubung, das Wegbrennen von Rinderhörnern oder Antibiotika-Einsatz in der Putenmast.

Marius Tünte, Sprecher des Deutschen Tierschutzbunds.
Marius Tünte, Sprecher des Deutschen Tierschutzbunds. © dpa-tmn | Deutscher Tierschutzbund

Dass sich ein entsprechendes Label am Markt durchsetzen könnte, beweist für den Tierschutzbund die seit 2005 geltende Stempelpflicht für Eier. Der Stempel informiert über die Haltungsbedingungen der Tiere: 0 steht für Öko-, 1 für Freiland-, 2 für Boden- und 3 für Käfighaltung. „Es hat ein paar Jahre gedauert, aber mittlerweile wissen fast alle Verbraucher von dem Stempel. Die Eier aus Käfighaltung sind aus dem Handel verschwunden oder ganz unten im Regal gelandet“, sagt Tünte.

Der Tierschutzbund fordert neben der Einführung eines staatlichen Labels schärfere Tierschutzgesetze. Tünte: „Die Zucht in der Landwirtschaft setzt nach wie vor nahezu unreguliert auf maximale Leistungssteigerung, mit schlimmen Folgen für die Tiere.“

Was macht die Initiative Tierwohl?

Verbände aus Land-, Fleischwirtschaft und Lebensmittel-Einzelhandel haben sich im Januar 2015 zusammengetan, um die Haltung von Schweinen und Geflügel artgerechter zu machen. Mit dabei sind die großen Supermärkte und Discounter: Edeka, Aldi und Lidl.

Von jedem Kilogramm Fleisch, das dort verkauft wird, wandern aktuell vier Cent in einen Fonds, mit dem derzeit 2248 Schweine haltende und 912 Geflügel haltende Betriebe Maßnahmen für artgerechtere Haltung finanzieren. Ab 2018 soll der Fonds von 35 auf 100 Millionen Euro pro Jahr anwachsen und die Schutzkriterien verschärft werden. Die im Beirat vertretenen Tierschutzorganisationen waren im Herbst trotzdem ausgestiegen, weil sie der Branchenlösung keine Perspektive mehr gaben.

Was sagt die Wissenschaft?

Der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik hat schon im März 2015 ein Gutachten mit dem Titel „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ veröffentlicht. In dem unabhängigen Gremium waren 14 Wissenschaftler vertreten. Zu ihren zentralen „Leitlinien für mehr Tierwohl“ zählte unter anderem der Zugang aller Nutztiere zu verschiedenen Klimazonen, ein Angebot für artgerechte Beschäftigung, Verzicht auf Amputationen, ausreichend Platz und ein deutlich reduzierter Einsatz von Arzneimitteln.