Berlin. Google Pixel ist das erste wirklich eigene Smartphone des Konzerns. Wir haben getestet, ob es im Alltag die Versprechungen halten kann.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag: mit dem Pixel beginnt Google vollends eine neue Ära. Jahrelang hatte sich der Softwarekonzern darauf beschränkt, das wichtigste Smartphone-Ökosystem – Android – zu bestimmen, sich selbst aber aus dem Hardwaremarkt herausgehalten.

Die Nexus-Reihe kam einem Google-Smartphone bzw. Tablet wohl noch am nächsten – letztlich handelte es sich dabei allerdings eher um Demo-Geräte, die zeigen sollten, wie ein nacktes, unverstelltes Android ohne angepasste Herstellerdreingaben aussehen kann. Entwickelt wurden die Geräte aber stets gemeinsam mit etablierten Herstellern, gebaut sowieso. Konkurrenz war das also keine, wirklich eigenständig wirkten die Geräte ebenfalls nicht.

Am Donnerstag (20. Oktober) erscheint Googles erstes eigenes Smartphone – und steht damit in direkter Konkurrenz zu iPhone, Samsung Galaxy S7 und Co. Wir haben das Pixel XL in den vergangenen Tagen gründlich ausprobiert und verraten, ob ein Umstieg lohnt.

Design: Klare Vorbilder, eigene Akzente

Äußerlich fällt durchaus die Ähnlichkeit zum aktuellen iPhone auf: Eine durchgehende Glasfront, an den Kanten leicht abgerundet. Eine mechanische Home-Taste fehlt. Die Rückseite sieht dagegen deutlich charakteristischer aus: Das obere Drittel ist von einer – je nach Ausführung weißen oder schwarzen – Glasscheibe bedeckt, in deren Mitte der Fingerabdrucksensor eingebettet ist – etwa an der Stelle, wo bei Apple der Apfel glänzt.

Außerdem die Aussparung für die Kameralinse und den Blitz – erfreulicherweise ragt nichts davon aus der Glasscheibe heraus. Darunter, ebenfalls wie beim iPhone, das matt polierte Aluminiumgehäuse.

Googles Smartphones haben auf der Rückseite den Fingerabdrucksensor.
Googles Smartphones haben auf der Rückseite den Fingerabdrucksensor. © BM | Google

Gerade in der Weiß/Silber-Version ist das sicherlich Geschmackssache – aber abgesehen davon sieht das Pixel sehr schick und hochwertig aus.

Glas-Rückseite sehr praktisch

Übrigens erwies sich die Glas-Rückseite im Test auch als sehr praktisch: Zum einen findet man so den Fingerabdrucksensor schneller, zum anderen sorgt das Glas dafür, dass der Zeigefinger etwas besseren Halt auf der Rückseite hat, auch der aufgeraute Metal-Knopf zum Einschalten auf der rechten Seite hilft dabei.

Insgesamt ist das Pixel so wesentlich weniger „glitschig“ als das iPhone mit der durchgehend glatten Aluminium-Rückseite. Der Fingerabdrucksensor auf der Rückseite hat sich bereits bei anderen Android-Geräten bewährt: Er ermöglicht komfortables Einhand-Entsperren.

Bei Bedarf lässt sich für den Sensor noch eine Wisch-Geste aktivieren: Streicht man von oben nach unten über den Sensor werden die Benachrichtigungen ausgeklappt. Scrollen innerhalb einer App klappt so aber leider nicht.

Technische Details

Google hat ein Oberklasse-Gerät gebaut, dem es an nichts fehlt – außer vielleicht einem Slot für Speicherkarten. Kurz zu den technischen Details: Ab Werk sind wahlweise 32 oder 128 Gigabyte verbaut, intern 4 GB Arbeitsspeicher, der Snapdragon 821 ist der aktuell schnellste Vierkern-Prozessor von Qualcomm.

Im Pixel steckt ein 5-Zoll AMOLED-Display mit FullHD Auflösung und ein Akku mit 2770 mAh Kapazität, das größere Pixel XL bietet ein 5,5-Zoll-Display mit 2560 mal 1440 Pixeln und einem Akku mit 3450 mAh Kapazität – abgesehen davon sind die Daten der beiden Geräte gleich. Uns lag das größere XL zum Test vor. All diese Daten besagen letztlich, dass die Geräte für wirklich alle Aufgaben mehr als ausreichend gewappnet sind.

Ein Google-Phone durch und durch

Beim Einschalten präsentiert sich die Android-7.1-Oberfläche sehr aufgeräumt. Ein Wisch nach rechts zeigt im Prinzip Google Now, das jetzt allerdings „Feed“ heißt und neben einer Suchzeile allerlei hilfreiche Informationen und News anzeigt. Ansonsten bietet das Pixel Google in Reinkultur: Maps, Docs, Allo und Duo – alles ist bereits vorinstalliert und wartet benutzt zu werden. Genau so muss die Oberfläche eines Google-Smartphones aussehen. Klar und praktisch.

Das prominente „G“ auf der Rückseite zeigt: hier steckt Google drin.
Das prominente „G“ auf der Rückseite zeigt: hier steckt Google drin. © BM | Jan Mölleken

Zwei exklusive Vorteile bietet es außerdem: Sicherheitsupdates sowie Android-Systemupgrades gibt es immer sofort – bei anderen Herstellern vergehen im besten Fall mehrere Wochen, im schelchtesten werden Googles Android-Updates gar nicht ausgeliefert. Außerdem findet man unter „Einstellungen“ den kurzen Weg zu Servicemitarbeitern, mit denen man telefonieren oder chatten kann – gerade für Android-Umsteiger sicher nützlich.

Google Assistant: Begeisternd und enttäuschend zugleich

Kernstück von Googles neuem Smartphone ist der Google Assistant – er ist letztlich das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zur Konkurrenz. Diese Idee vom digitalen Assistenten kennt man natürlich schon länger, bei der Konkurrenz haben die sogar klangvolle Namen wie Siri oder Cortana erhalten.

Bei Google heißt das ganze schlicht: Google Assistant. Ein längerer Druck auf die Home-Taste oder alternativ schlicht die Worte „Ok Google“ starten das digitale Helferlein. Der soll einem fast jeden Wunsch oder besser jede Aufgabe von den Lippen ablesen.

Für viele Aufgaben, bei denen der Assistant auf bewährte Google-Dienste zurückgreifen kann, klappt das sehr gut: Einfache Fragen oder Aussagen übersetzt der Assistant mühelos in verschiedene Sprachen, spricht sie sogar in der jeweiligen Sprache vor.

Schneller als normale Google-Suchanfragen

Auf Umgebungsabfragen – etwa „Wie lange hat der Rewe in der Friedrichstraße geöffnet“ – antwortet der Assistant mit den korrekten Öffnungszeiten, sowie dem Hinweis, dass das Geschäft gerade geöffnet bzw. geschlossen hat. Dass man die Friedrichstraße in Berlin meint, muss man nicht extra erklären. Auch nahegelegene Cafés, Restaurants oder auch Schuster lassen sich so abfragen.

Wirklich praktisch und deutlich schneller, als eine normale Google-Suchanfrage. Schnell etwas in den Taschenrechner tippen, das Alter von Angela Merkel googlen, eine SMS tippen oder einen Termin in den Kalender eintragen – all das kann man also Googles Assistenten erledigen lassen. Das klappt gut – allerdings können Siri und Cortana das meist auch.

Google Assistant begeistert bei Musikabfrage

Eine Aufgabe a la „Wie lange fährt man mit dem Fahrrad von hier nach Flensburg”, bringt die Konkurrenz schon ins Wanken – Cortana gibt nur die Dauer mit Auto an, Siri kapituliert ganz. Google meistert sie dagegen mit Bravour und rechnet auch die aktuelle Verkehrslage in die Schätzung ein. (Nachts um halb zwei sind das von Berlin aus ohne Pause übrigens knapp 23 Stunden.) Wie smart Googles Helfer ist, ahnt man, wenn man ihn bittet, ein ganz bestimmtes Lied eines Künstlers abzuspielen.

Das tut der Assistant ohne zu murren und wählt dabei sogar ohne extra Aufforderung YouTube aus, wenn man dort zuletzt Musik gehört hat. Ist die Audioqualität des Videos mies und man sagt „Spiel das Lied auf Spotify ab”, weiß Google, dass es nach demselben Titel in der Spotify-App suchen muss, weil es automatisch den Bezug zur vorherigen Frage erkennt. In diesen Momenten, begeistert der Assistant und lässt die Konkurrenz deutlich hinter sich. Allerdings folgt die Ernüchterung schnell.

Das Zubehör ist hochwertig ausgelegt, die Kabel sind erfreulich dick. Sogar ein Adapter zum Datentransfer vom iPhone liegt bei.
Das Zubehör ist hochwertig ausgelegt, die Kabel sind erfreulich dick. Sogar ein Adapter zum Datentransfer vom iPhone liegt bei. © BM | Jan Mölleken

Deutsch ist für Assistant Fremdsprache

Mit der Auslieferung des Testgeräts kam nämlich auch der Hinweis, dass Deutsch die erste Fremdsprache ist, die der Google Assistant lernt und dass einige Funktionen noch nicht verfügbar sind. Das scheint vor allem die Integration der eigenen Apps zu betreffen: So kann man sich keine Termine aus dem Google-Kalender oder die neuste Mail aus Gmail anzeigen lassen.

Auch eine Anfrage nach dem zuletzt bearbeiteten Dokument in Google Docs liefert als Antwort nur einen hilflosen Google-Suche-Treffer. An anderen Stellen werden – bereits integrierte – Features nur bei korrekter Formulierung abgerufen: Die Bitte „Zeig mir Hundebilder“ liefert genau das, was man erwartet. Sagt man statt dessen aber leicht abgewandelt „Zeige mir Hundebilder“, folgt bloß wieder ein ratloses Suchergebnis.

Man ahnt an allen Ecken und Enden, dass hier großes Potenzial steckt, das den Assistant zu etwas wirklich besonderem macht. Derzeit kann er das – zumindest auf Deutsch – aber leider zu oft noch nicht einlösen.

Kamera glänzt in allen Lebenslagen

Bereits im Vorfeld hoch gelobt wurde die 12,3 MP-Kamera , ja, die höchste Punktzahl im prestigeträchtigen DXO-Mark habe sie erreicht, erklärte Google stolz. Solche Werte sind für den Gebrauch natürlich eher theoretisch. Übersetzt in den Alltag heißt das: die Kamera lässt keine Wünsche offen.

Sie kann es locker mit der wirklich hervorragenden iPhone-7-Kamera aufnehmen, oftmals gelingen in Dämmerlichtsituationen sogar Bilder, die noch einen Tick mehr Details und weniger Rauschen zeigen. In der Farbwiedergabe wirkte das iPhone vielleicht einen Hauch natürlicher. Aber hier gibt es kein Vertun, eine tolle Kamera.

Bilder werden in Googles Foto-Cloud gespeichert

Zudem ist sie wirklich schnell, auch HDR-Aufnahmen werden in schneller Folge geschossen und zackig verarbeitet. Auch die Kamera-App selbst gefällt, bietet verschiedene Einstelloptionen und ein paar nette Gimicks. Eines davon heißt „Fokuseffekt“: Im Wesentlichen handelt es sich um die simulierte Tiefenschärfe, die Apple für sein iPhone 7 Plus derzeit nur in der iOS-10-Beta-Version anbietet.

Da eine zweite Kamera (wie beim iPhone 7 Plus) für die Einschätzung der räumlichen Tiefe fehlt, muss man das Smartphone nach dem Auslösen einfach ein Stück bewegen. Die Ergebnisse sahen ähnlich gut aus, wie die auf dem iPhone (allerdings ist dabei keine Live-Vorschau des Effekts möglich).

Ein letztes Feature sei in diesem Zusammenhang noch erwähnt: Um Platz auf dem Gerät zu sparen, speichert das Pixel die Bilder in Googles Foto-Cloud. Anders als üblich, werden hier aber Bilder in voller Auflösung gespeichert und trotzdem nicht auf den Cloud-Speicherplatz angerechnet. Gerade für Vielknippser sehr praktisch.

Display und Akku: Top

Das AMOLED-Display leuchtet mit brillanten Farben und sieht knackscharf aus – ein echter Augenschmaus. Eine Always-On-Funktion für das Display gibt es derzeit allerdings leider nicht. Der Akku hat sich im Test als sehr angenehm dimensioniert erwiesen.

Auch einen Tag mit starker Nutzung überstand das Pixel XL klaglos. Dank Schnelllade-Funktion bringen bereits zehn Minuten am Ladegerät mehrere Stunden Lebensdauer für den Akku, falls es doch mal eng werden sollte.

Fazit: Tolles Telefon aber (noch) keine Sensation

Googles Pixel-Smartphones spielen definitiv ganz oben mit. Von der Hardware her gibt es eigentlich keinen Grund, warum man ein anderes Gerät diesem vorziehen sollte, da kann man getrost nach dem Design entscheiden.

In Sachen Software gibt es sogar einige Gründe, die klar für ein Pixel sprechen: Mit einem Pixel erhält man definitiv als erstes neue Sicherheitsupdates, sowie neue Android-Versionen. Bei anderen Herstellern passiert das oft nur verspätet oder gar nicht. Auf bestimmte Funktionen, wie etwa den schicken Launcher (das neue Startmenü) oder den Google Assistant warten andere vielleicht sogar ewig – sie sind (wenigstens vorerst) exklusiv auf dem Pixel enthalten. Gerade der digitale Assistent könnte ein Killer-Feature sein.

Das Google Pixel
Das Google Pixel © BM | Jan Mölleken

Ganz klar: Google-Fans können unbesorgt zugreifen, auch wer ohnehin gerade nach einem Android-Telefon sucht, bekommt mit dem Pixel ein Top-Gerät mit spannendem Zukunftspotenzial. Wirklich Sinn ergibt das Gerät allerdings nur, wenn man sich damit wohl fühlt, seine Daten umfangreich Googles Servern anzuvertrauen.

Für aktuelle iPhone-Nutzer, die einen Umstieg erwägen ist das Pixel vielleicht sogar besser geeignet als andere Geräte: die eingebaute Hilfe macht Android-Neulingen die Anpassung leicht, zudem liegt extra ein Adapter bei, mit dem sich iPhone und Pixel direkt per Kabel verbinden lassen, um Daten möglichst einfach zu übertragen – ein sinnvoller Service.

Einen kleinen Haken gibt es allerdings noch: den Preis. Das Pixel kostet 759 Euro (32 GB) bzw. 869 Euro (128 GB). Das Pixel XL sogar 899 Euro (32 GB) bzw. 1009 Euro (128 GB). Das sind exakt die Preise, die Apple für sein iPhone 7 bzw. 7 Plus mit entsprechendem Speicherausbau verlangt. Eine selbstbewusste Ansage.

Rein von der Hardware betrachtet, kostet ein gleichwertiges Galaxy S7 Edge locker 100 Euro weniger, das Honor 8 gibt es sogar schon für 400 Euro. Kunden müssen sich also fragen, ob sie bereit sind diesen Premium-Aufschlag zu zahlen, obwohl das Kernstück des Smartphones – der Google Assistant – aktuell noch nicht ganz fertig ist.