Essen. Albträume können zu einer dauerhaften Belastung werden. Wie Betroffene aus dem Teufelskreis und wieder zu einem ruhigen Schlaf finden.

Wassermassen bis zum Horizont, sie schlagen Wellen, immer höher, immer wilder, Wasser im Mund, in den Augen, ein Sausen in den Ohren. Schwarzes Wasser überall. „Du musst schwimmen!“ schreit eine innere Stimme, aber Arme und Beine haben das Schwimmen verlernt, sind nutzlos, der Körper scheint sich aufzulösen, eins mit dem Wasser zu werden. Und dann: ein Klingeln. Der Wecker beendet den aussichtslosen Überlebenskampf, zieht den Körper aus den Fluten. 7.15 Uhr. Aufstehen.

Träume sind von Mensch zu Mensch verschieden: Kinder träumen anders als Erwachsene, Männer träumen anders als Frauen. Doch jeder muss sich hin und wieder von Albträumen die Nachtruhe verderben lassen. „Leider sind 60 bis 70 Prozent unserer Träume emotional eher negativ gefärbt“, schreibt der Schlafmediziner Dr. Hans-Günter Weeß in seinem Buch „Die schlaflose Gesellschaft“. Als Leiter der Schlafmedizinischen Abteilung des Pfalzklinikums Klingenmünster ist Weeß nicht nur Experte in Sachen Schlaf, sondern kennt sich auch mit dem Träumen hervorragend aus.

Albtraum oder nächtlicher Angstschrei?

Unterscheiden müsse man Albträume vom sogenannten Pavor nocturnus, dem nächtlichen Angstschrei ohne richtiges Erwachen, an den sich die Betroffenen im Nachhinein meist nicht erinnern. Während der Pavor nocturnus in der Tiefschlafphase auftritt, sind Träume, gute wie schlechte, an die REM-Phasen gebunden, die Rapid-Eye-Movement-Phasen, die bis zu 25 Prozent der Schlafzeit ausmachen und zum Ende der Nacht hin länger werden.

Traumbilder sind kulturabhängig: Obwohl Albträume grundsätzlich einen ganz individuellen Charakter hätten, denn „jeder Einzelne erlebt dabei vor dem Hintergrund seiner Erfahrungswelt Dinge, die ihn persönlich stark ängstigen“, tauchten einige übergeordnete Themenkomplexe bei allen Menschen auf. Dazu gehören etwa Tod, Verfolgung, Haltlosigkeit, Ertrinken, ein Ringen um das eigene Leben – in welcher Form auch immer. Bei Kindern spielen außerdem Monster und Fabelwesen eine große Rolle.

Traumbilder seien stark kultur- und zeitabhängig, sagt Weeß: „Geht man 100 Jahre zurück, stellt der ,schwarze Mann‘ in vielen Albträumen eine Bedrohung dar, in den 1990er-Jahren haben Figuren aus Filmen oder PC-Spielen diesen Platz eingenommen.“

Nicht immer ist es allerdings der Alltag oder eine Zombieserie, die den Albtraum befeuern: Auch Erlebnisse, die Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen, tauchen in nächtlichen Sequenzen manchmal wieder auf. Sich wiederholende Motive sind ebenfalls keine Seltenheit: „Oft sind sie Ausdruck von unspezifischen Ängsten, gekleidet in unterschiedliche Geschichten“, so Weeß. Aus harmlosen Personen wie dem Nachbarn oder Postboten können in diesen Träumen schnell mal Axt schwingende Angreifer werden. Von der Deutung solcher Träume anhand einer allgemeinen Symbolik hält Weeß indes nichts. „Es lässt sich zwar oft ein Bezug zu Problemen und Sorgen im Alltag herstellen, doch dieser darf nicht anhand von Symbolen betrachtet werden, sondern in einem individuellen Kontext.

Sensible Menschen haben häufiger Albträume: Dass mancher häufiger unter Albträumen leidet, sei „einem Zusammenspiel von persönlicher Veranlagung, situationsbedingten Faktoren und akuten Auslösern“ geschuldet, schreibt Hans-Günter Weeß in seinem Buch. Besonders anfällig sind Menschen, die sehr sensibel auf ihre Umwelt reagieren und sich Erlebtes schnell zu Herzen nehmen, „Personen mit dünnen Grenzen“, wie Experten es formulieren.

Viele Albträume lassen sich leicht als solche abtun, andere sind dermaßen schockierend, dass an Weiterschlafen kaum zu denken ist. In einer solchen Situation, so rät Schlafmediziner Weeß, sollte man aufstehen, Licht machen und das Schlafzimmer verlassen, sich vielleicht mit beliebigen Alltagsfragen beschäftigen („Was koche ich morgen Abend?“, „Ich müsste mal wieder meinen Schreibtisch aufräumen.“), um sich auf diese Weise in die Realität zurückzuholen.

Doch mitunter ist es damit nicht getan. Die bedrohlichen Bilder bleiben präsent und auch die Gefühle, Verzweiflung, mitunter Todesangst, wirken noch am nächsten Tag nach. Geschieht dies regelmäßig, wird es für die Betroffenen zur seelischen Belastung: „In repräsentativen Studien berichten rund fünf Prozent der Befragten von immer wiederkehrenden nächtlichen Horrorszenen im Schlaf, darunter mehr Frauen als Männer“, schreibt Weeß in seinem Buch. Zudem durchleben manche gleich mehrere Albträume pro Nacht, was nicht nur die Durchschlafqualität beeinträchtigt, sondern bei einigen auch zu massiver Angst vor dem Einschlafen führt.

Gegen Furcht vor dem Einschlafen hilft oft nur Verhaltenstherapie: Medikamentöse Behandlung ist in derartigen Fällen nur bedingt möglich, manchmal sogar kontraproduktiv, denn viele in Betracht kommende Medikamente wie Betablocker oder Antidepressiva können ihrerseits Ängste auslösen. Daher sei oft ein verhaltenstherapeutischer Ansatz geboten, so Weeß, etwa die sogenannte Imagery Rehearsal Therapy (IRT): Dabei identifiziert der Betroffene ein wiederkehrendes furchteinflößendes Traumthema, auch mittels Traumtagebuch oder bei Kindern anhand gemalter Bilder, und setzt sich etwa zwei Wochen lang täglich mehrere Male für etwa fünf bis zehn Minuten mit dem Geschehen auseinander. Auf diese Weise verlieren die Trauminhalte ihren Schrecken, man gewöhnt sich einfach an sie. „Hat man das Ganze mit ein oder zwei Traumthemen gemacht, lässt sich die Vorgehensweise generalisieren – sie wirkt sich dann auch auf andere Albträume aus“, sagt Weeß.

Das Traumgeschehen einfach umgestalten: Zusätzlich kann das Traumgeschehen umgestaltet werden: Wer sich im Traum beispielsweise immer wieder im Netz einer riesigen Spinne verfängt, um anschließend von ihr gefressen zu werden, stellt sich die Geschichte im wachen Zustand vor – mit dem Unterschied, dass er nun zum Beispiel einen großen Staubsauger besitzt, mit dem er Netz und Spinne einsaugt. Wiederholt man diese Lösung gedanklich oft genug, kommt sie irgendwann im nächtlichen Traumgeschehen an. Dieser Ansatz eignet sich nach Ansicht der Forscher auch für Kinder, die so mit magischen Schwertern oder Flügeln ausgestattet, aus einem Angst- einen Heldentraum machen können.