Friedrichskoog. Nur selten besuchen Wanderführer im Meer versunkene Inseln vor der Elbmündung. Eine Tour zum Bielshövensand und ihren Geheimnissen.

„Büsum Port bitte kommen – Moin! Hier Wattführer Eins. Ich gehe jetzt mit 19 Leuten zum Bielshövensand, Rückkehr in ungefähr vier Stunden. Gute Wache!“ Johann Peter „Jan“ Franzen steht an einem Priel vor Friedrichskoog-Spitze und meldet die Tour per Seefunk an. Auch die Besatzung des Rettungskreuzers „Theodor Storm“ wird per Sprechfunk über die Expedition informiert, die Wasserschutzpolizei Husum übers Mobiltelefon.

Vor uns wartet eine geheimnisvolle Welt aus Wasser und Watt. Und riesigen Sandbänken, die dem Meer entsteigen. Dorthin wollen wir, da müssen wir durch. Jan Franzen wird den Weg wieder finden; durch Priele, die strömen und mäandrieren wie Flüsse auf dem Meeresboden. Durch einen Irrgarten, der immer anders ist. In einer Gegend, die einst unterging und wie eine Fata Morgana immer wieder auftaucht – unbegreiflich, fern und fremd. Gut, dass Rettungskräfte über unsere Wege ins wüste Watt Bescheid wissen.

Die Regenfront ist vorüberge­zogen, die nächsten kommen im Takt tibetischer Gebetsmühlen über die Elbmündung. „Doch“, sagt Jan Franzen, „wir gehen! Das Wetter ist kein Problem, der Wind auch nicht. Mit etwas Glück zieht der Regen vorbei.“ Der vorhergesagte Wasserstand ist wichtig, und der passt heute. Vier-, fünfmal pro Jahr führt Jan Franzen eine Handvoll Wagemutiger von Friedrichskoog ganz weit hinaus in die Elbmündung.

In der Sonne leuchtet das Watt wie geschmolzenes Silber

Wir wollen zum Bielshövensand, einer Sandbank vor der Küste des südlichen Dithmarschens – irgendwo im Nirgendwo. Dies ist keine normale Wattwanderung, das ist ein Abenteuer. Nur wenige Leute können, dürfen dorthin, die Teilnehmerzahl der Touren ist beschränkt. Eine Meeresbodenwanderung hinaus in eine Zwischenwelt, nicht mehr Land, noch nicht Meer. Taucht zweimal am Tag auf und geht wieder unter. Franzen hat ein Zeitfenster, es ist knapp drei Stunden vor Niedrigwasser, und er lotst die Leute durch die ersten Priele; knietiefes Wasser, hüfthohe Hänge – die Starken bleiben im Strom stehen und helfen den Anderen hinüber.

Jan Franzen teilt das ein, er marschiert voran. Es gilt, Strecke zu machen und nicht am Anfang schon zu viel Zeit zu verlieren. „Wir laufen heute 12, 14 Kilometer“, erklärt er und peilt mit dem Kompass das Silo von Büsum an, in der Ferne grad noch zu erkennen. Auf zwei Grad geht es fast direkt nach Norden. „Den direkten Weg zum Sand können wir nicht nehmen. Die Priele haben noch zu viel Wasser, als dass wir sie queren können!“

Sonnenstrahlen brechen durch die zerrissene Wolkendecke und jagen über das bleigraue Watt. Wo sie hinscheinen, leuchten Wasser und Schlick auf wie ­geschmolzenes Silber. Das Funkgerät brabbelt vor sich hin, es bleibt an „… so sind wir im Umkreis von 33 Meilen immer erreichbar!“ Zur Sicherheit. Sagt Franzen. Ein großer, kräftiger Mann mit mehr als 30 Jahren Erfahrung in den Dithmarschener Watten. Er flößt Vertrauen ein – wie sonst kann man sich auf solche Ausflüge einlassen?

Nach der Orkanflut nur kleine Sandbänke übrig

Die Gruppe ist jetzt im zügigen Marschiermodus. Meterhohe, dünne Stämmchen, sogenannte Priggen, stehen auf dem Meeresboden. „Sie markieren einen Schifffahrtsweg. Vor uns liegt ein großer Priel, den wir nur an einer Stelle queren können – eine Chance von nicht mal 500 Schritt.“ Noch eilt das Wasser im Hoogen, diesem großen Priel, mit einem unheimlichen Sog der Nordsee hinterher, wir können ihn dennoch gut passieren. Jan Franzen peilt erneut: 240 Grad, dort sehen wir die Erdölförderstätte Mittelplate.

Franzen, mit der Strecke zufrieden, macht Pause, erklärt: „Westlich vom Festland Süderdithmarschen soll früher die große Insel Landfurth gelegen haben – man schätzt ihren Umfang auf 50 Kilometer. In der mörderischen Orkanflut von 1362, der Rungholtflut, wurde sie so verwüstet, dass nur kleine, feste Sandbänke übrig blieben – Dieksand, Helmsand, Trischen. Auch der Bielshövensand gehörte mit zu Landfurth, er misst als Sandbank heute etwa 400 Hektar und liegt geografisch zwischen Büsum und Friedrichskoog. Bei normaler Tide hat er einen Hochwasserstand von etwas mehr als einen Meter.“

Auf einer Karte von vor 1634 finde man nordwestlich von Marne ein bedeutendes Vorland, das Gröne Maifeld heißt, sagt Jan Franzen. Vermutlich haben hier Menschen gewirtschaftet und ihr Vieh geweidet. „Die Nordsee hat viel fruchtbares Land verschlungen, aber sie hat aus den Trümmern neues Dasein geschaffen.“ Das Wattenmeer ist ein dynamischer Lebensraum, es ist in stetem Wandel, die Nordsee sortiert den Sand immer wieder neu. Was die Elbe einspült, wird von den Strömungen verdriftet und zu Sandbänken aufgeworfen. Was im vergangenen Jahr noch hier war, ist heute längst woanders.

Wir sind an einem Ort, an dem Menschen nicht sein sollten

Das Wasser ist inzwischen so weit abgelaufen – und wir sind so weit draußen –, dass der Bielshövensand auf 310 Grad als helles, gelbes Band im grauen Schlick zu erkennen ist; er hebt sich aus dem Watt hervor, sanft gewölbt wie ein Uhrglas. Eine dunkle Front zieht im Norden vorüber, Büsum versinkt im Regen, hier draußen setzt sich die Sonne durch. Ein Schwarm Knutts, Zugvögel auf der Durchreise von Namibia nach Sibirien, schwirrt um sich selbst und führt einen Tanz auf.

„So“, sagt Jan Franzen nach Querung eines weiteren Priels, „jetzt stehen wir auf dem Sockel von Bielshövensand.“ Eine deutlich buckligere Sandbank als eben erahnt erhebt sich hinter dem Priel, dessen Wasser fast abgelaufen ist. „Hier draußen läuft das Wasser zuerst ab, diese Sandbänke liegen höher als das Watt vor der Küste“, erklärt Jan Franzen. Und auch dies: „Hier draußen sieht dich kein Mensch und du hast keine Chance, durch die Priele zu schwimmen, wenn dich das Wasser eingeschlossen hat.“ Allein hier zu marschieren ist Wahnsinn; Franzens Kenntnis, das Sprechfunkgerät, die mitgeführte Signalpistole vermitteln ein Gefühl der Sicherheit, und Freude kommt auf, an einem Ort zu sein, an dem Menschen eigentlich überhaupt nicht sein sollten.

Einen guten Meter geht es die Sandbank hinauf, hier rasten wir. Waren die Sandbänke auf dem Weg hierher kaum als solche zu erkennen, ist Bielshövensand konturierter und deutlicher, auch die Priele laufen hier schneller und mit klar definiertem Ufer. Der Sand oben auf der Bank ist fast getrocknet, und für kurze Zeit spannt sich ein blauer Himmel bis zum westlichen Horizont. Jan Franzen reicht das Fernglas: „Guck, dort hinten – das sind Kegelrobben.“ Noch weiter hinten ist die Vogelinsel Trischen zu erkennen. Über den Horizont schieben sich Container-Schiffe. Wir machen Pause, genießen die Sonne, hören dem Wind zu.

„So Leute, wir müssen zurück“, ruft Jan Franzen die Gruppe zusammen, „bald ist Niedrigwasser, danach laufen die Priele schnell wieder voll.“ Der Altfelder Priel, durch den wir müssen, erhält sein Wasser nicht nur vom einlaufenden Flutberg, sondern auch von der Elbe. Jan Franzen geht voran – knietiefer Schlick, hüfthohes Wasser. Ein letzter Blick zurück auf die Sandbank, die langsam in der Ferne verschwindet.

Tipps & Informationen

• Anreise z. B. mit dem Auto über die A 24 nach Friedrichskoog.

• Touren Johann P. Franzen führt in die Watten Dithmarschens neben der beschriebenen Route auch nach Blauortsand oder zum Isern Hinnerk. Für die Tour zum Bielshövensand braucht man eine sportliche Kondition, Länge: 10 bis 14 km, Dauer: bis zu vier Stunden (Wechselwäsche und Proviant mitbringen), 23 Euro pro Person, Kinder ab 12 Jahren 15 Euro.

• Termine In diesem Jahr nur noch am Sa., 13. August, und Sa., 27. August, jeweils 12 Uhr ab Treffpunkt Friedrichskoog-Spitze am Hauptaufgang zum Strand. Begrenzte Teilnehmerzahl, Anmeldung unter Tel. 04834/984 47 66.

• Info www.zum-wattführer.de

Die Reise wurde unterstützt von Nordsee Tourismus Service.