Berlin. Nicht jeder Vorstoß für Sicherheitsgesetze hat Sinn. Die Debatte aber ist unerlässlich. Was fehlt, ist Führung – im Bund und in Europa.

In der Geschichte der Bundesrepublik gab es Zeiten, in denen die Freiheit blühte. In den Neunzigerjahren war der Kalte Krieg vorbei, und die Türme in New York standen noch. Europa wuchs zusammen – Frieden und Wohlstand führten zeitweise in einen Zustand der Sorglosigkeit. Diese Zeiten sind vorbei.

Der Anschlag auf New York 2001 erschütterte auch die Deutschen. Aber der Angriff war in Übersee, zumindest geografisch noch entfernt. Jetzt rast ein Lastwagen in einen Berliner Weihnachtsmarkt, jetzt kämpfen Hunderte Deutsche für Terrororganisationen in Syrien und Irak. Staaten zerfallen, Konflikte flammen vor Europas Haustür auf.

Wer jetzt noch sagt, eine Debatte über Sicherheit sei Hysterie, verharmlost die Taten in Berlin, Nizza oder Bagdad. Wer jetzt noch sagt, mehr Menschen würden bei Autounfällen sterben als bei Terroranschlägen, hat zwar statistisch recht, lebt aber gedanklich in den Neunzigern.

Mühsame Suche nach der Antwort auf den Terror

Terror ist politisch. Die Antwort darauf muss es auch sein. Sie zu finden, wird mühsam. Über jeden Vorschlag muss gestritten werden. Denn zur Debatte über Sicherheit gehört immer die Säule der Freiheit. Und die simple Frage: Ergibt ein Vorstoß überhaupt Sinn?

Union und SPD fordern seit Langem, die nordafrikanischen Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Das aber ist für die Sicherheit gar nicht entscheidend: Das Asyl des Berlin-Attentäters war zu Recht längst abgelehnt. So läuft es im Übrigen mit so gut wie allen Asylsuchenden aus Algerien, Marokko und Tunesien. Sie haben hier kaum eine Chance auf einen legalen Aufenthalt.

Was dagegen besser funktionieren muss: Deutschland und die afrikanischen Staaten müssen bei Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber enger kooperieren. Das ist wichtig, damit Deutschland tatsächlich Verfolgten (auch aus diesen Staaten) weiterhin helfen kann. Es ist eine Schwäche des europäischen Asylsystems, dass es vor allem den Stärkeren nützt: meist jungen Männern, die losziehen und es bis in die EU schaffen. Frauen und Kinder bleiben häufig allein zurück.

Härtere Maßnahmen gegen Gefährder zeichnen sich ab

weitere Videos

    Schnell siegt der Schein über den Sinn

    Die Debatte über sichere Herkunftsländer zeigt, wie schnell der Schein über den Sinn einer Sicherheitsmaßnahme siegt. Nordafrika nun pauschal als sicher zu erklären, ignoriert die Menschenrechtsverletzungen etwa gegen Homosexuelle oder politische Aktivisten. Es gibt in Einzelfällen Berichte über Folter und Justizwillkür.

    Genauso ist es mit der Videoüberwachung: Sie kann helfen, nach Übergriffen die Straftäter zu finden. Sie schützt aber nicht vor Terror. Im Gegenteil: Der Fall Amri zeigt, dass Islamisten für ihre Inszenierung sogar gezielt Sicherheitskameras aufsuchen.

    Bund und Europa müssen mehr führen

    Sinnvoll sind andere Maßnahmen: Allen voran müssen schnell gute Auszubildende für die Polizei in Land und Bund gefunden werden. Was nutzen im Anti-Terror-Kampf Protokolle von Observationen, wenn sie nicht ausgewertet werden, weil Personal fehlt? Was nutzt eine Polizei-Datei über einen Extremisten, wenn im Nachbar-Bundesland eine zweite Datei angelegt wird, im Bundesamt eine dritte – und der Austausch der Daten die Ermittler eher verunsichert als Klarheit über die Radikalität eines Menschen schafft?

    Der Bund muss mehr führen. Und Europa muss es. Terrorbekämpfung geht nur global. Wieso es noch keine EU-Gefährderdatei gibt, lässt sich nur mit Behördenträgheit oder nationalem Egoismus erklären. Und noch etwas sagen Polizisten: Wir brauchen nicht mehr Beamte, sondern weniger Probleme. Das führt zur Prävention: in Schulen, in Jugendzentren, in Moscheen, in Familien. Über Vorsorge aber diskutiert kaum eine Partei. Die Debatte wird verschluckt vom Lärm um neue Sicherheitsgesetze.