Schwerin/Neubrandenburg. Lokalpolitik spielt vor der Landtagswahl für die AfD keine Rolle. Die Rechtspopulisten versuchen, die Enttäuschten anders zu fangen.

Bis eben lief es ganz gut für Manuela Schwesig. Die Familienministerin und SPD-Vize trägt munter und freundlich lächelnd eine Kurzübersicht über Geleistetes und Geplantes vor, vom Mindestlohn bis zur Kinderbetreuung. Die drei Dutzend Zuhörer bei der Wahlkampf-Versammlung in einer Sozialeinrichtung in Neubrandenburg hören aufmerksam zu – bis plötzlich ein Sturzregen auf das Zeltdach niedergeht und der Bratwurststand hektisch geräumt werden muss. Da ruft Schwesig in die Aufregung: „Das ist die Rache der AfD.“ Es soll ein Spaß sein, aber so richtig lacht kaum jemand.

So geht es jetzt öfter in den letzten Tagen des Landtagswahlkampfs in Mecklenburg-Vorpommern: Vor der Abstimmung am Sonntag ist der erwartete Wahlerfolg der Rechtspartei überall ein Thema – gerade bei der Konkurrenz. Auch Kanzlerin Angela Merkel zeigt sich nun öffentlich besorgt.

Die CDU müsse um enttäuschte Wähler, die sich der AfD nahe fühlten, kämpfen, mahnt Merkel bei einer CDU-Wahlveranstaltung in Schwerin. Die Abendsonne taucht den Schweriner See in mildes Licht, eigentlich könnte es ganz idyllisch sein, doch die Stimmung ist getrübt: Die CDU müsse diese Wähler „immer wieder ansprechen, Lösungen zeigen und Taten“, sagt die CDU-Vorsitzende.

Erwin Sellering bleibt wohl Regierungschef

Vermutlich ist es für dieses Mal zu spät. Im Nordosten steht die AfD vor einem neuen Triumph: Sie könnte bei der Landtagswahl erstmals die CDU als zweitstärkste Kraft überflügeln – ausgerechnet in der politischen Heimat der Kanzlerin. In jüngsten Umfragen kommen die Rechtspopulisten auf 21 Prozent, knapp hinter der CDU, die bei den Meinungsforschern auf einen neuen Tiefstand von 22 Prozent abgestürzt ist.

Da sich mancher AfD-Wähler ungern den Demoskopen offenbart, dürfte die Rechtspartei am Wahlsonntag nach Expertenschätzungen noch zulegen. Die SPD würde den Umfragen zufolge zwar deutlich verlieren, wäre aber mit 28 Prozent wieder stärkste Partei – nach einer beachtlichen Aufholjagd in den letzten Wochen könnte SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering also im Amt bleiben, wenn auch unter schwierigeren Bedingungen. Ob er die bisherige große Koalition fortführen oder ein rot-rot-grünes Bündnis eingehen würde, ist offen.

AfD-Spitzenkandidat war früher Radio-Moderator

Die Linke dürfte mit 13 Prozent Verluste einfahren, die Grünen wären mit sechs Prozent knapp im Landtag – anders als die FDP, die in den Umfragen bei drei Prozent verharrt. Auch die bisher im Landtag vertretene NPD würde es mit drei Prozent nicht mehr ins Parlament schaffen. Den Rechtsextremisten macht die Konkurrenz der AfD zu schaffen – obwohl die NPD im Land über eine gute Infrastruktur verfügt und im Wahlkampf teilweise deutlich sichtbarer ist als die Rechtspopulisten.

Der Machtkampf in der Bundespartei scheint die AfD-Wähler nicht abzuschrecken. Spitzenkandidat und Landeschef Leif-Erik Holm, vielen Wählern als früherer Rundfunk-Moderator beim Privatsender Antenne MV bekannt, ist schon von Berufs wegen redegewandt – und versteht es, selbst scharfe Parolen vergleichsweise freundlich zu vermitteln. Der 46 Jahre alte Volkswirt warnt vor „Überfremdung“, dem „Verlust der deutschen Identität“ und dem „kulturellen Untergang des Landes“.

CDU-Innenminister forderte ein Burkaverbot

Die Angst vor Kriminalität und das „Asylchaos“ sind zentrale Themen im Wahlkampf, Landespolitik spielt für die Parteistrategen kaum eine Rolle. Ihren Anhängern ist das nur recht: In einer Infratest-Umfrage wurde die Flüchtlingspolitik am häufigsten als wahlentscheidend genannt, deutlich vor Themen wie Arbeitsmarkt, Gerechtigkeit oder Wirtschaftswachstum. Die Wahl wird so zur Abrechnung mit Merkels Flüchtlingskurs, genau ein Jahr nach der historischen Entscheidung zur Grenzöffnung.

Der freundlich-blasse CDU-Spitzenkandidat und Innenminister Lorenz Caffier kann den Attacken auf die Kanzlerin wenig entgegensetzen. Sein Versuch, mit der Forderung nach einem Burkaverbot Boden gutzumachen, ging schief. In dem mit 1,7 Millionen Einwohner dünn besiedelten Land gibt es so gut wie keine verschleierten Frauen.

Schwesig kritisiert das Frauen- und Familienbild der AfD

Eigentlich gibt es auch nur wenige Flüchtlinge, nicht einmal 25.000 sind bisher in Mecklenburg-Vorpommern aufgenommen worden. Doch Wahlkämpfer der Union und der SPD berichten erschrocken, mit welcher Empörung selbst gut situierte Bürger über die Flüchtlinge reden.

Die Aussicht auf Platz zwei vor der CDU sei „natürlich von großer symbolischer Bedeutung“, sagt AfD-Vize Alexander Gauland. Beinahe verzweifelt halten die anderen Parteien dagegen. „Zumindest aus Frauensicht ist diese Partei nicht wählbar“, ruft Schwesig bei einer Wahlveranstaltung in Heringsdorf auf der Insel Usedom.

Ein Drittel der AfD-Wähler ist mit der Regierung zufrieden

„Gerade wir Frauen hier in Ostdeutschland sind stolz darauf, dass es für uns selbstverständlich ist, Beruf und Familie zu vereinbaren.“ Das Frauen- und Familienbild der AfD sei dagegen rückständig. Die AfD werde versuchen, den Frauen wieder die Aufgabe zuzuteilen, für die Kinder da zu sein und am Herd zu stehen.

Aber um solche Fragen geht es vielen Anhängern der Rechtspartei gar nicht – etwa ein Drittel der AfD-Wähler ist mit dem seit acht Jahren regierenden Sellering und seiner Regierung ausdrücklich zufrieden.

Zahlen für MeckPomm sehen gut aus

Der pragmatische Ministerpräsident ist eigentlich Westdeutscher, er kommt aus der Nähe von Bochum. Aber seit 1994 lebt Sellering im Nordosten, war erst Verwaltungsrichter, später Minister, bis er 2008 das Ministerpräsidentenamt von seinem Parteifreund Harald Ringstorff übernahm. Ein Menschenfänger ist Sellering auch im Regierungsamt nicht geworden, aber die Bilanz seines geräuschlos arbeitenden Kabinetts ist ordentlich.

Die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern ist nicht schlecht, dem Nordosten geht es gut wie lange nicht: Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, die Wirtschaft wächst, seit zehn Jahren macht das Land keine Schulden mehr. Auch Schwesig weist darauf hin, wo immer sie auftritt.

Sellering könnte Amtszeit nicht voll ausschöpfen

Für sie ist der Wahlkampf nicht nur ein Heimspiel, es geht auch um ihre persönliche Zukunft. Sie war hier fünf Jahre Sozialministerin, sie kennt das Land und die Menschen. Jetzt klappert sie seit Wochen jeden der 36 Wahlkreise ab, um die Genossen im Wahlkampf zu unterstützen – und ihre eigene Popularität auszubauen: Längst gilt Schwesig als aussichtsreichste Nachfolgerin im Ministerpräsidentenamt, wenn der 66-jährige Sellering nach einem Wahlerfolg in ein paar Jahren sein Amt aufgibt.

Der Regierungsjob in Schwerin könnte für die 42-jährige Schwesig das Sprungbrett sein, um sich im Bund irgendwann für das Kanzleramt zu bewerben. Aber so weit ist es noch nicht. Als Schwesig die Betriebskita „Klinikzwerge“ in Pasewalk besucht, erfährt sie die Grenzen ihrer Popularität. Auf die Frage, wer denn die Frau Schwesig sei, erklären die Kinder: „Das ist die Helferin von Frau Merkel“.