Berlin. Gesundheitsminister Gröhe reagiert mit einem neuen Gesetz auf Skandale bei den Kassenärzten. Ihre Organisation wird schärfer überprüft.

Es ist schon erstaunlich, dass in diesem Fall noch niemand das Wort Skandal in den Mund genommen hat. Die Zutaten dafür liegen jedenfalls bereit: Es geht um dubiose Immobiliengeschäfte, um persönliche Bereicherung und um Vetternwirtschaft. Dass gegen Gesetze verstoßen wurde, versteht sich fast von selbst. Der angerichtete Schaden geht wohl in die Millionen Euro.

Die Rede ist nicht von irgendeiner zwielichtigen Branche, sondern vom halbstaatlichen Teil des Gesundheitswesens: Im Zentrum des Skandals steht die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Sie handelt in gesetzlichem Auftrag, zum Beispiel, wenn sie die ambulante medizinische Versorgung sicherstellt oder mit den Krankenkassen über die Bezahlung der Ärzte verhandelt.

Aufarbeitung geht nur langsam voran

In dieser Organisation also ist seit Monaten, zum Teil seit Jahren eine Menge schiefgelaufen. Und die Aufarbeitung der dubiosen Vorgänge geht nur langsam voran. Der Wille der Ärzte, die eigenen Strukturen zu reformieren, ist wenig ausgeprägt. Erst am vergangenen Freitag wehrten sie sich erneut gegen eine Anordnung von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), mit der dieser den internen Streit in der KBV zwischen Haus- und Fachärzten lösen wollte.

Doch mittlerweile ist Gröhe mit seiner Geduld am Ende. Er bereitet nun ein Gesetz vor, das die Kassenärzte unter schärfere Kontrolle stellen soll. „Das Gesundheitsministerium plant gesetzliche Regeln, um die Aufsicht zu verschärfen“, heißt es aus Regierungskreisen. „So wie jetzt geht es nicht weiter.“ In wenigen Wochen soll das Gesetz fertig sein. Gröhe sichert sich damit auch politisch dagegen ab, dass der KBV-Skandal womöglich noch zu seinem eigenen werden könnte.

Die Verfehlungen der Kassenärzte haben im Wesentlichen mit ihrem ehemaligen Chef Andreas Köhler zu tun. Der trat 2014 zurück und ließ sich kurz danach seine Ruhestandsbezüge aufstocken. Verantwortlich dafür war seine Ehefrau, die Köhler einst selbst auf den Posten der Personalchefin gehoben haben soll. Außerdem ließ sich Köhler, der in seiner aktiven Zeit deutlich mehr als 300.000 Euro Jahresgehalt bezog und schon damals durch üppige Gehaltssprünge auffiel, einen Mietkostenzuschuss zahlen: netto 1500 Euro im Monat, insgesamt fast 100.000 Euro.

Keine Genehmigungen für Immobiliengeschäfte

Das ist der eine Teil des Skandals. Er ist durch eine Reihe von Gerichtsurteilen weitgehend geklärt; Köhler muss Geld zurückzahlen. Der andere Teil handelt von dem Gebäude, in dem die KBV in Berlin in der Nähe des S-Bahnhofs Tiergarten residiert. Dieser Teil ist deshalb so brisant, weil es um viele Millionen Euro geht. Auch hier ist Ex-KBV-Chef Köhler die zentrale Figur.

Köhler war offenbar dafür verantwortlich, dass die KBV vor mehr als fünf Jahren die Mehrheit an der Firma übernahm, der das Bürogebäude gehört. Dieser Deal wurde damals weder vom internen Aufsichtsgremium der KBV abgesegnet, noch wurde das Gesundheitsministerium gefragt, ob das Geschäft möglich ist. Ebenfalls problematisch: Die KBV verzichtete bei Übernahme der Firmenanteile auf eine Risikoprüfung – obwohl die Immobilienfirma mit 4,7 Millionen im Minus steckte. Die Kosten anderer Immobilienprojekte waren aus dem Ruder gelaufen, die Mieten nicht kostendeckend. Die KBV gewährte der Vermietungsgesellschaft insgesamt Kredite von mehr als 50 Millionen Euro, die offenbar auch nicht genehmigt wurden.

Folgen für den KBV völlig unklar

Weil die Spitze der KBV den Immobiliendeal quasi im Alleingang durchzog, stellt sich nun die Frage, ob der Kauf der Firmenanteile überhaupt rechtmäßig ist. Es gebe gute Gründe, schreibt das Gesundheitsministerium in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion, dass der Kauf „schwebend unwirksam ist und im Übrigen mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zumindest nicht vereinbar war“. Die Folgen von alldem, insbesondere für die Finanzen der KBV, sind völlig unklar.

Bis Ende Januar hatte Minister Gröhe der KBV Zeit gegeben, ein „Gesamtkonzept“ für eine Lösung vorzulegen, aber diese Frist haben die Kassenärzte verstreichen lassen.

Gröhe lässt nun ein Gesetz erarbeiten, mit dem er die Rechtsaufsicht über die obersten Kassenärzte verschärfen will. Mit anderen Worten: Sie werden an die kurze Leine genommen. Insider erwarten, dass die Betriebsprüfungen und die Kontrolle der Finanzen verschärft werden. Auch wird die Politik wohl leichter als bisher das Ruder übernehmen können, wenn die KBV gesetzlich festgelegte Fristen ohne Reaktion verstreichen lässt. Damit würden auch die Aufsichtsbehörden stärker in der Pflicht stehen: In den vergangenen 20 Jahren gab es bei der KBV genau zwei Betriebsprüfungen. Die Kassenärzte verloren eine Million Euro mit riskanten Wertpapiergeschäften, ohne dass sie jemand hinderte. Die Grünen werfen dem Ministerium vor, bei der KBV zu wenig hingesehen zu haben.

CSU fordert weitere Konsequenzen

Die Rückendeckung von Union und SPD hat Gröhe. Die Kassenärzte haben bei den Gesundheitspolitikern viel Kredit verspielt. „Die Ärzte haben jede Bodenhaftung verloren“, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Man hat sich in der Koalition bereits vertraulich getroffen, um über die möglichen strengeren Kontrollen zu sprechen. Der CSU geht das nicht weit genug. „Eine stärkere aufsichtsrechtliche Kontrolle ist richtig, reicht aber nicht“, sagt Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein (CSU). „Es muss sich an den internen Strukturen der KBV etwas ändern“, verlangt er. Die Selbstverwaltung müsse ihrem Namen Ehre machen und sich aus eigenem Antrieb ändern, „und zwar gravierend und im Sinne einer internen Kontrolle“, fordert er. „Die Vorgänge bei der KBV diskreditieren das ganze System.“