Berlin. Der Wahlabend brachte Erkenntnisse, die über Frankreich hinausreichen. Welche Lehren sind aus dem Ergebnis zu ziehen? Eine Einordnung.

Die einen atmen erleichtert auf – weil die EU-Gegnerin Marine Le Pen nicht zur strahlenden Gewinnerin wurde. Andere zeigen sich entsetzt – weil es Le Pens rechtsextreme Partei Front National (FN) zum zweiten Mal in die Stichwahl im Rennen um die französische Präsidentschaft schaffte. Klar ist: Vom Wahlergebnis in Frankreich gehen klare Signale aus – auch an andere Länder in Europa.

• Das Signal für Frankreich: Erstmals findet eine Stichwahl um die Präsidentschaft statt, bei der keine der beiden großen Parteien von Konservativen und Sozialisten vertreten ist. Dies muss ein Alarmzeichen sein für die Etablierten, nicht nur in Frankreich. Das Wahlvolk wendet sich immer mehr ab von einem System, das mehr durch Korruption und Vetternwirtschaft von sich reden macht, als durch solide politische Arbeit.

Der politische Youngster Emmanuel Macron wird da zum Glücksfall – allein sein Eingreifen in das Wahlrennen verhinderte ein noch besseres Abschneiden der Rechten Marine Le Pen. Für sie ist die Teilnahme an der Stichwahl zumindest ein satter Prestige-Erfolg.

• Das Signal für Europa: Zum zweiten Mal schafft ein Kandidat des ausländerfeindlichen Front National den Sprung in die Stichwahl. Wer angesichts dieses Resultats davon spricht, der Vormarsch der Rechtspopulisten in Europa sei gestoppt, irrt sich. Schon bei den französischen Parlamentswahlen im Juni könnte der FN demnächst groß auftrumpfen, wie andere Rechtspopulisten zuvor schon in anderen EU-Staaten.

Die Rechten können sich inzwischen in vielen Ländern der Union auf ein solides Anhängerpotenzial stützen. Sie sitzen in Parlamenten und Regierungen, stellen Bürgermeister und andere Amtsträger. Die Gefahr einer schleichenden Erosion der demokratischen Basis in Europa ist viel größer als das Risiko einer Explosion, wie etwa ein Sieg Marine Le Pens in der Stichwahl.

• Das Signal für Deutschland: Aus Reihen der AfD war am Sonntagabend kaum Jubel zu hören über den Einzug Le Pens in die Stichwahl – die Partei war wohl noch zu sehr damit beschäftigt, die Scherben zusammenzukehren, die der Kölner Parteitag angerichtet hatte. Doch die Populisten abzuschreiben angesichts der innerparteilichen Zerstrittenheit, wäre gefährlich.

Der Parteitag hat gezeigt, dass die AfD auch künftig auf Fundamental-Opposition setzen will. Und da ist immer noch eine Menge an Stimmen zu holen – vom Protestpotenzial der Unzufriedenen bis zum dumpfen Ausländerhass der Ewiggestrigen. Das ist in Deutschland nicht anders als beim französischen Nachbarn.