Berlin. Mevlüt Cavusoglu macht in Hamburg Wahlkampf für den türkischen Präsidenten Erdogan. Um auftreten zu können, nutzte er einen Trick.

Er ist trotzdem nach Hamburg abgeflogen. Denn Mevlüt Cavusoglu ist sich sicher: „Mich kann niemand aufhalten.“ Wie der türkische Außenminister am Dienstag in Hamburg wollen sich auch andere AKP-Politiker von keinem Verbot abhalten lassen, in Deutschland für das Referendum in ihrer Heimat zu werben, das dem Präsidenten fast unumschränkte Macht geben soll, zur Not im Konsulat. Das ist „exterritoriales Gelände“, dort gilt nicht das kommunale Versammlungsrecht.

Das Beispiel zeigt, dass die Türken sich über jeden Einwand hinwegsetzen. Sie tun es mit größter Härte und Skrupellosigkeit. Die Nazi-Vergleiche hören keineswegs auf. „Das ist ein total repressives System“, behauptet Cavusoglu in der Zeitung „Hürriyet“ über Deutschland. Er sagt auch, „alle Praktiken ähneln denen der Nazi-Zeit. Sie machen Druck, damit für die AKP ein Nein herauskommt.“

Türkischer Außenminister tritt in Hamburg auf

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    Am Mittwoch will sich Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) mit ihm treffen. Bisher sieht die Regierung von harten Reaktionen ab. Weder hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich die Verunglimpfungen moniert – sie überließ es ihrem Sprecher – noch wurde der türkische Botschafter wegen der Nazi-Vergleiche „einbestellt“. Ob eine Wahlveranstaltung stattfinden darf, wird wie in Hamburg der jeweiligen Kommune überlassen, es ist eine Frage des Ordnungsrechts.

    Cavusoglu spricht von einer „rechtswidrigen Praxis“

    Mehr noch: Die Bundesrepublik hilft dem Nato-Partner, die 1,4 Millionen stimmberechtigten Türken hierzulande zur geplanten Verfassungsänderung zu befragen. Tatsächlich hat die Türkei beim Auswärtigen Amt um Hilfe gebeten. Die Prüfung der Bitte ist nach offizieller Auskunft auf „gutem Weg“. Dagegen sei aus Sicht des Außenministeriums „überhaupt nichts einzuwenden“, im Gegenteil: „Wenn diese Menschen ihre demokratischen Rechte wahrnehmen und ihr Kreuz machen können, dann ist das in unserem Sinne, weil das ein Ausdruck von Demokratie ist.“

    Merkel kritisiert Erdogans Nazi-Vergleich

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      Die Bundesländer wurden befragt, etwaige Bedenken sollten sie bis Dienstag angemeldet haben. Es wird vieles in Bewegung gesetzt, um den Mitbürgern lange Anfahrtswege zu den Wahllokalen zu ersparen und die Sicherheit zu gewährleisten. In Nordrhein-Westfalen sorgen sich die Behörden um mögliche Warteschlagen vor einem „Bildungszentrum“ in Dortmund. Bayern teilt mit, selbstverständlich werde man den etwaigen Aufwand der Polizei der Türkei nicht in Rechnung stellen. Sie wird wie ein befreundeter Staat behandelt, ungeachtet der schrillen Begleitmusik. Man nennt es in Berlin „Besonnenheit“.

      Angela Merkel reist am Donnerstag zum EU-Gipfel

      An Merkels Linie gibt es zunehmend Zweifel, inzwischen auch öffentlich. Zumal die Türkei den aggressiven Ton der letzten Tage beibehält. Cavusoglu kann sich nicht vorstellen, dass die Hamburger Behörden seinen Auftritt im Plaza Event Center nur wegen des Brandschutzes gesperrt haben.

      Er sieht offensichtlich subversive Kräfte am Werk: „Indem sie Druck auf private Eigentümer, Hotels und Hochzeitssäle ausüben, lassen sie die Vereinbarungen absagen.“ Besitzer von Veranstaltungsräumen würden „bedroht“, sagte er. „Im Endeffekt ist diese antidemokratische Praxis rechtswidrig“, klagt Cavusoglu. Der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu bezeichnet die Sperrung der Halle als neuen Tiefpunkt in den deutsch-türkischen Beziehungen: „Das Sinken nimmt kein Ende.“

      „Besonnenheit ist immer gut“

      Da würde Johannes Singhammer (CSU) vielleicht zustimmen, freilich aus einer anderen Warte. „Besonnenheit ist immer gut“, sagt der Vize-Präsident des Bundestages. „Das Prinzip Entschiedenheit ist auch wichtig.“ Singhammer will nicht den Flüchtlingspakt infrage stellen, da die Türkei sich vertragstreu verhält.

      Wohl würde er die „Heranführungshilfen“ der EU stoppen. Das sind Mittel zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, 4,5 Milliarden Euro für die Jahre 2014 bis 2020. Schätzungsweise beträgt der deutsche Anteil 160 Millionen Euro im Jahr. Singhammer sagt, „es gibt selten ein Programm der EU, dessen erkennbare Wirkungslosigkeit so offen zutage tritt. Es macht wenig Sinn, dieses Programm weiterzuführen.“ Der Adressat ist unschwer zu erkennen: Merkel reist am Donnerstag zum EU-Gipfel.

      Umgang mit der Türkei ist schwierig

      Auch Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) setzt in Brüssel an. Er fordert die EU auf, noch vor dem Verfassungsreferendum am 16. April „ein Zeichen“ zu setzen und die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden. Ankara müsse „endlich akzeptieren“, dass die umstrittenen Wahlkampfauftritte in Deutschland nicht erwünscht seien, sagte er unserer Redaktion. „Wir holen uns sonst die politischen Konflikte der Türkei immer mehr in unser Land.“ Gespräche mit türkischen Politikern seien notwendig, solange „Präsident Erdogan aber seine unerträglichen Nazi-Vergleiche nicht zurückgenommen hat, muss man den guten Willen auf türkischer Seite bezweifeln.“

      Auch in der CDU-Führung wird lebhaft über den Umgang mit der Türkei diskutiert. Innenminister Thomas de Maizière argumentiert juristisch, bezweifelt, dass man Auftritte generell untersagen kann. Andere meinen, Merkel solle sie für „unerwünscht“ erklären. Die Frage ist nur, ob das auf Präsident Recep Tayyip Erdogan Eindruck machen würde. Er behält sich hier Auftritte vor, ganz gleich, wie die Genehmigungsbehörden entscheiden. Legal? Illegal? Egal! Es ist dieselbe Mich-kann-niemand-aufhalten-Einstellung wie bei Cavusoglu in Hamburg. Singhammer dämmert es, „er stellt die Machtfrage“. Und zwar in Deutschland, wohlgemerkt.