Berlin/Brüssel. Ungarn will Flüchtlinge in einem Lager einsperren. Alexander Graf Lambsdorff fordert von Merkel ein deutliches Signal gegenüber Orban.

Zehn Menschen am Tag. So viele Flüchtlinge lässt die ungarische Polizei durch die kleinen Tore an der Grenze zu Serbien ins Land. Das berichten Flüchtlinge und Hilfsorganisationen, die derzeit vor Ort im Einsatz sind. Wer alleine reist und ein Mann ist, der sitzt bis zu 28 Tage in der „Transitzone“ direkt an der Grenze hinter meterhohem Stacheldrahtzaun fest, bevor er in ein meist offenes Lager im Landesinneren gebracht wird. Dort warten Asylbewerber auf den Bescheid der Behörden zu ihrem Antrag. So war es jedenfalls bisher.

Doch nun will die ungarische Politik jeden Geflüchteten auf unbestimmte Zeit in Internierungslagern an der Grenze in Gewahrsam halten: Männer, Frauen, sogar Kinder, die älter als 14 Jahre sind. Nur unbegleitete Kinder unter 14 Jahre bringen die ungarischen Behörden weiterhin in Einrichtungen im Landesinneren.

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138 Ja-Stimmen für umstrittene Vorhaben

Das ungarische Parlament beschloss am Dienstag ein entsprechendes Gesetz. Für die Vorlage des Innenministeriums stimmten die Abgeordneten der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orban sowie die der oppositionellen rechtsextremen Jobbik-Partei. Den 138 Ja-Stimmen standen sechs Ablehnungen und 22 Enthaltungen aus den Reihen der Opposition gegenüber.

Während der Dauer des Asylverfahrens werden die Menschen demnach in der „Transitzone“ festgehalten. Nach Angaben von Asylsuchenden und dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, dauert das Verfahren häufig Monate, in komplizierten Einzelfällen sogar länger als ein Jahr.

Unverständnis und Empörung über die Regierung Orban

Derzeit halten sich nur ein paar Dutzend Asylsuchende in der „Transitzone“ auf. Doch die Vorbereitungen zum Ausbau der Containerburgen an der serbisch-ungarischen Grenze nahe der Orte Kelebija und Horgos laufen nach UNHCR-Angaben bereits.

Ungarische Soldaten und Polizisten patrouillieren in der Transitzone an der ungarischen Grenze zu Serbien.
Ungarische Soldaten und Polizisten patrouillieren in der Transitzone an der ungarischen Grenze zu Serbien. © dpa | Sandor Ujvari

Offenbar plant die ungarische Regierung Lager für bis zu 500 Menschen. Denn das neue Gesetz, das noch von Staatspräsident Janos Ader unterzeichnet werden muss, sieht auch vor, dass die bislang in offenen Lagern befindlichen Asylbewerber in die „Transitzonen“ gebracht und dort interniert werden. Die ungarische Regierung begründete das verschärfte Gesetz mit dem angeblich immer noch andauernden „Migrationsdruck“, dem das Land ausgesetzt sei. „Wir befinden uns im Belagerungszustand“, erklärte Orban.

Dabei steuern seit der Schließung der sogenannten Balkanroute vor einem Jahr vergleichsweise wenige Flüchtlinge Ungarn an. In den serbischen Camps unmittelbar in Grenznähe halten sich laut UNHCR derzeit knapp 300 Menschen auf. Fast 8000 sind es in Serbien, wobei 6600 in den insgesamt 17 Lagern leben. Hunderte überwintern jedoch auch bei Minusgraden in alten Lagerhallen.

Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen üben scharfe Kritik

Die serbischen Behörden überreichen Ungarn Listen mit Flüchtlingen, die in dem EU-Land Asyl beantragen wollen. Meist haben Familien und Kinder Priorität. Die ungarische Polizei prüft und entscheidet selbst, welche zehn Flüchtlinge sie täglich ins Land lässt. Vor Ort berichten Helfer, aber auch Asylsuchende selbst von Willkür. Die Entscheidungen seien nicht nachvollziehbar, häufig gebe es kaum Informationen zu den Asylverfahren.

UNHCR und Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen üben scharfe Kritik an den Internierungslagern der Ungarn. Gewahrsamnahme für einen unbestimmten Zeitraum verstoße gegen internationales Recht. Zudem melden die Organisationen seit Monaten immer wieder Fälle, in denen Flüchtlinge Opfer von Gewalt durch ungarische Polizei sein sollen. Ärzte ohne Grenzen dokumentiert in einigen Fällen die Verletzungen der Menschen im Internet. Flüchtlinge würden zudem mit Gewalt zurückgedrängt, wenn sie versuchen, Ungarn auf irregulären Wegen oder durch einen Schleuser zu erreichen. Die ungarische Regierung weist die Vorwürfe von Gewalt gegen Migranten zurück.

Menschenunwürdig und gegen europäische Werte

Auch bei Vertretern der EU stößt die geplante Internierung von Flüchtlingen auf Empörung und Unverständnis. Vize-EU-Parlamentspräsident Alexander Graf Lambsdorff (FDP) wertet den Beschluss als Verstoß gegen die Gebote der Menschlichkeit: „Ungarn trampelt einmal mehr auf Völker- und EU-Recht, vor allem aber auf einfachsten Grundsätzen der Menschlichkeit herum“, sagte Lambsdorff dieser Redaktion. Lambsdorff äußerte grundsätzliches Verständnis für Bemühungen, die weitreichenden Folgen der Flüchtlingskrise unter Kontrolle zu bringen.

Flüchtlinge forderten im Juni 2016 in der Erstaufnahmeeinrichtung in Kiskunhalas, Ungarn, besser Unterbringung und dass ihre Asylanträge schneller bearbeitet werden.
Flüchtlinge forderten im Juni 2016 in der Erstaufnahmeeinrichtung in Kiskunhalas, Ungarn, besser Unterbringung und dass ihre Asylanträge schneller bearbeitet werden. © dpa | Sandor Ujvari

Die in Ungarn ergriffenen Maßnahmen „schießen aber meilenweit über das Ziel hinaus. Eine Internierung zahlloser Menschen, insbesondere von Frauen und Kindern, in geschlossenen Lagern, nur weil sie Flüchtlinge sind, ist menschenunwürdig und widerspricht europäischen Werten.“ Der FDP-Politiker forderte die Bundesregierung zu einem energischeren Kurs gegenüber der Regierung in Budapest auf: „Es ist höchste Zeit, dass Kanzlerin Merkel und die CDU ihre Vasallentreue zu ihrem Freund Viktor Orban aufgeben und ihn deutlich hörbar zur Ordnung rufen.“

500 Menschen warten in ungarischen Lagern

Die EU-Grünen-Politikerin Ska Keller forderte die EU-Kommission auf, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten. „Sonst macht sie sich als Hüterin der Europäischen Verträge unglaubwürdig“, sagte Keller dieser Redaktion. Ungarn verletze „offensichtlich und unverfroren europäisches Asylrecht und tritt die europäischen Grundrechte mit Füßen“.

Laut UNHCR warten derzeit 500 Menschen in ungarischen Lagern auf ihren Asylentscheid – ein Bruchteil der 29.000 Personen, die 2016 Asyl in dem Land beantragt hatten. Das Flüchtlingshilfswerk geht davon aus, dass Tausende Menschen seit dem vergangenen Jahr weitergereist sind in Richtung Österreich, Deutschland, Schweden oder Frankreich. An den Grenzen vor allem zu Ungarn laufe das Schleusergeschäft weiterhin auf Hochtouren.