Ankara. Die türkische Armee hat das kurdische Dorf im Südosten des Landes abgeriegelt. Gerüchte über Kriegsverbrechen machen nun die Runde.

Koruköy liegt in der südosttürkischen Provinz Mardin. Von der Überlandstraße 400, die entlang der Grenze zu Syrien von Mardin nach Nusaybin verläuft, schlängelt sich ein schmaler Weg etwa 20 Kilometer nordwärts durch das karge Hochland nach Koruköy. Das Dorf hat etwa 600 Einwohner. Aber von ihnen hat man nichts mehr gehört, seit der örtliche Gouverneur Mustafa Yaman am 11. Februar eine Ausgangssperre über Koruköy verhängte.

Die Telefonleitungen sind unterbrochen. Soldaten haben die Zufahrten ins Dorf weiträumig abgeriegelt. Delegationen der pro-kurdischen Partei HDP, der Menschenrechtsvereinigung IHD und der Anwaltskammer von Diyarbakir, die das Dorf besuchen wollten, wurden von der Armee zurückgewiesen. „Dort geschieht ein Verbrechen“, fürchtet der HDP-Abgeordnete Mehmet Ali Aslan.

Anwalt verlangt vom Ministerpräsidenten Aufklärung

Verstörende Fotos und Videos tauchten in sozialen Netzwerken auf. Die Bilddokumente sollen aus Koruköy stammen. Sie zeigen, wie Dorfbewohner von Soldaten misshandelt werden. Zu sehen sind Männer, die Spuren schwerer Folter tragen, und geschändete Leichen. Die Bilder seien von den Soldaten selbst aufgenommen und ins Netz gestellt worden, vermutet ein Kurdenpolitiker. Gerüchte machen die Runde: Die Dorfbewohner, darunter auch Kinder, hätten mit ansehen müssen, wie Dutzende Menschen vor ihren Augen schwer gefoltert wurden.

Der Istanbuler Anwalt Sezgin Tanrikulu, Abgeordneter der größten Oppositionspartei CHP, verlangt von Ministerpräsident Binali Yildirim Auskunft über die Vorgänge in Koruköy. „Können Sie der Öffentlichkeit erklären, was dort vorgeht?“ twitterte der Menschenrechtsanwalt. Aber die Regierung schweigt. Gouverneur Yaman ließ mitteilen, bei dem Militäreinsatz in Koruköy handele es sich um eine Operation gegen die kurdische Terrororganisation PKK. In der Ortschaft habe man mehrere Waffenlager und Verstecke der kurdischen Rebellen entdeckt.

Vier PKK-Kämpfer bei einem Einsatz getötet

Bei dem Einsatz wurden nach offiziellen Angaben vier PKK-Kämpfer getötet und ein Spezialsoldat verletzt. Die Operation sei „nach rechtsstaatlichen Regeln“ abgelaufen, unter besonderer Vorsorge für „die Sicherheit, das Leben und den Besitz der örtlichen Zivilisten.“ Wenn das wirklich zutreffe und es keine Menschenrechtsverletzungen gebe, solle die Regierung Medien und Nichtregierungsorganisationen doch endlich Zutritt zu dem Dorf gewähren, fordert der HDP-Politiker Aslan.

Seit dem überraschenden Wahlerfolg der HDP bei den Parlamentswahlen vom Juni 2015 und dem Zusammenbruch der Friedensbemühungen eskaliert der Kurdenkonflikt militärisch und politisch. Hunderte Kurdenpolitiker wurden festgenommen, darunter elf Parlamentsabgeordnete der HDP. Während das Militär im Südosten gegen kurdische Rebellen kämpft, trägt die PKK ihren Terror mit Selbstmordattentaten in den Westen des Landes.