Moskau/Washington/Berlin. Am Mittwoch kommt Russlands Präsident Putin ins Kanzleramt. Das Gespräch über die Konflikte in der Ukraine und Syrien wird schwierig.

Russlands Präsident Wladimir Putin ist nicht für diplomatische Süßholzraspeleien bekannt. Kürzlich wurde er von einem russischen Journalisten gefragt, ob Moskau seine Beschränkungen für Nahrungsmittel-Importe aus der EU nicht lockern könne. Jene wirtschaftlichen Strafmaßnahmen, die Moskau als Reaktion auf die westlichen Sanktionen aufgelegt hatte. „Fig im!“, antwortete Putin mit leichtem Grinsen. „Fig im“ ist kein salonfähiger Zweisilber. Vorsichtig könnte man ihn mit „Die können uns mal“ übersetzen.

Der Formulierung ist nicht die einzige Grobheit, die Russlands starker Mann in jüngster Zeit auf den Westen gemünzt hat. Daher ist die Vorfreude beim Vierer-Gipfel in Berlin am Mittwoch gedämpft. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Frankreichs Präsident François Hollande und dessen ukrainischer Amtskollege Petro Poroschenko erwarten Putin zu Gesprächen. Es geht darum, den festgefahren Friedensprozess in der Ukraine wieder anzukurbeln. Aber auch die dramatische Lage in Syrien – vor allem in Aleppo – steht auf der Tagesordnung.

Russlands Präsident Putin ist ein ausgebuffter Machtpolitiker

Bei den vorangegangenen Vierertreffen hatte Putin stets gepokert, gedroht und geblufft. Wenn es sein musste, nächtelang. Ein ausgebuffter Machtpolitiker, der immer den Eindruck verströmte, als könnten ihn keine Sanktionen bremsen.

Nichts liebt der Kremlchef mehr als Muskelspiele. Als er vor Kurzem die Frage, ob er die Förderbeschränkung des Ölkartells Opec unterstützen werde, mit einem simplen Ja beantwortete, stieg der Preis pro Fass schwarzem Gold innerhalb weniger Stunden um drei Prozent. Macht und kleine Triumph-Erlebnisse kostet er aus.

Putin gibt gerne Rätsel auf

Putin amüsiert sich über die Ängste des politischen Establishments in den USA, die Attacken russischer Staats-Hacker könnten die Präsidentschaftswahlen manipulieren. Er gefällt sich in der Rolle, dem Westen immer neue Rätsel aufzugeben. Und zu zocken. Ausreizen, was geht, das ist Putins Devise.

Der 63-Jährige kündigte Anfang Oktober das Abkommen mit Amerika über die Vernichtung des waffenfähigen Atombombenstoffs Plutonium. Nach US-Angaben reicht dies für 17.000
Nuklearsprengköpfe. Putin kehrt zu den Zeiten zurück, als „atomare Abschreckung“ und „Overkill“ zum politischen Alltagsvokabular in den Ost-West-Beziehungen gehörten. Doch nicht nur das.

Auch Ängste treiben Putin um

Der Kremlchef listete in einem von ihm persönlich in der Staatsduma eingebrachten Gesetzentwurf Bedingungen auf, die die Amerikaner erfüllen müssten, um das Abkommen zu retten. Sie grenzten an Reparationsforderungen. Darunter fiel etwa der Abzug sämtlicher US-Streitkräfte, die nach 2000 in Osteuropa stationiert wurden. „Das ist eher ein Wutschrei als ein Gesetzentwurf“, schreibt die russische Internetzeitung gazeta.ru.

Zum Teil sind die Drohkulissen und das Machtgehabe auch Fassade. Der Mann habe durchaus Ängste. So fürchte Putin derart um seine Gesundheit, dass er niesende Untergebene aus seinem Kabinett jage, schreibt der Moskauer Journalist Michail Sygar in seiner Putin-Biografie „Endspiel“.

Die USA als Schreckgespenst

Aber die größte Phobie des Kremlchefs gilt dem Westen. Laut Putin „legten unsere geopolitischen Gegner mit Hand an“ beim Zusammenbruch der Sowjetunion. Sie hätten die Schwäche skrupellos ausgenutzt, um prowestliche Regime und Antiraketensysteme an der russischen Grenze zu installieren. Der Präsident bemüht gern das Klischee vom russischen Bären. Den wolle der Westen erst an die Kette legen, um ihm danach Krallen und Zähne – also sein Atomwaffenarsenal – zu ziehen. „Danach stopft man ihn als Trophäe aus“, ist er sich sicher.

So kühl sich Putin gern gibt, seine innersten Motive sind emotional. Hinter der Attitüde der Entschlossenheit gegenüber dem Westen steckt auch in hohem Maß persönliche Existenzangst. Putin glaubt, die USA steckten hinter den Rebellen in Tschetschenien, hinter der Maidan-Revolution in der Ukraine. Ferner finanziere Washington die liberale Opposition in Russland, um ihn mit einer Straßenrevolution zu stürzen.

Beobachter blicken gespannt auf US-Wahl

Den juristisch trockenen Ermittlungsbericht der niederländischen Staatsanwälte zum Abschuss der malaysischen Boeing über dem Donbass sieht Putin als Vorbereitung eines Kriegsverbrecherprozesses gegen ihn persönlich. Das trifft auch auf die westlichen Vorwürfe wegen der russischen Bombardements auf Aleppo zu. Wie sollte der Westen vor diesem Hintergrund mit Putin umgehen? Russland-Experten in Amerika und Deutschland sehen die Rolle des Kremlchefs äußerst kritisch.

Christopher Preble, Auslandschef der liberalen Denkfabrik Cato in Washington kommt zu folgendem Schluss: Putin wolle innenpolitisch den starken Führer „vortäuschen“ und auf der Weltbühne als „großer Stratege“ wirken. Mit dieser Konstellation müsse sich die künftige US-Präsidentin Hillary Clinton – laut Preble hat der republikanische Anwärter Donald Trump „so gut wie keine Chance“ – ab Januar 2017 beschäftigen. Unter Clinton werde sich die US-Politik nicht „dramatisch ändern“, wenngleich die frühere First Lady „wahrscheinlich konfrontativer“ mit Putin umgehen werde.

Nach dem Brexit könnte Putin die Europäische Union weiter spalten

Wie andere Politik-Berater in Washington sieht auch Preble, dass Putin mit Macht versuche, die Nato zu schwächen und gerade nach dem britischen Brexit einen Keil in die Europäische Union zu treiben. Die Debatte über eine Verschärfung oder Aufhebung der Sanktionen gegen Russland sei eine erste Standortbestimmung zwischen Clinton und der Führung in der EU, insbesondere Kanzlerin Merkel.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt der Journalist und Buchautor Boris Reitschuster aus Berlin. Er beschreibt Putins Kurs so: „Mit den Muskelspielen gibt er den starken Mann, das kommt im Inland an und lenkt die Menschen von ihren leeren Kühlschränken ab. Zum anderen schüchtert er viele im Westen ein.“ Gegenüber dem Westen setze der Kremlchef auf „knallharte Konfrontation“. Er halte die westlichen Politiker mehrheitlich für „Weicheier“. „Er versucht, sie einzuschüchtern, einzulullen und einzukaufen“, so Reitschuster.

„Deutlichkeit und Klartext statt Anbiederung und Kumpanei“

Dabei könne Putin aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche Russlands nicht wirklich stark sein – er ist nur so stark, wie ihn ein zahnloser, schwacher Westen werden lässt. Als Rezept für den Umgang mit Moskau empfiehlt der Journalist: „Adenauer und Schmidt, Reagan und Thatcher haben es vorgemacht: Konsequent, geradlinig, mit Stärke. Deutlichkeit und Klartext statt Anbiederung und Kumpanei.“