Kabul. Pausenlos unter Beschuss - in Kundus, wo bis 2013 noch die Bundeswehr stationiert war, sind schon wieder heftige Gefechte ausgebrochen. Die Regierung hat aufgehört zu arbeiten. Im Winter werden Zehntausende Hunger leiden, weil die Kämpfe Saat und Ernte verhindert haben.

Nach Tagen schwerer Gefechte haben die radikalislamischen Taliban in der nordafghanischen Provinz Kundus weiteres Territorium erobert. Am Morgen sei das Zentrum des Bezirks Chanabad in ihre Hände gefallen, sagte das Provinzratsmitglied Sarkul Alimi.

Die Taliban hätten ihre Flagge auf einem Platz gehisst. Sicherheitskräfte versuchten, sie zurückzutreiben. Nach Medienberichten beschuldigte Bezirksgouverneur Haiatullah Hamidi die Regierung, tagelang keine Verstärkung geschickt zu haben.

Der Sprecher der Provinzpolizei Hidschratullah Akbari bestätigte, dass auch im bisher eher friedlichen Bezirk Aliabad heftige Kämpfe ausgebrochen seien. Die Aufständischen hätten dort aber bisher keine Regierungsgebäude eingenommen.

Die Taliban meldeten in einer E-Mail, dass sie viele Soldaten getötet hätten. Ihre Berichte sind aber oft übertrieben. Zu Opfern unter Sicherheitskräften oder der zivile Bevölkerung gab es zunächst keine weiteren Informationen.

Jüngst hatten die Taliban erst die Zentren der Bezirke Kala-e Sal und Dascht-e Archi teilweise eingenommen. Somit sind nun alle fünf Bezirke der Provinz Kundus, in der bis 2013 die Bundeswehr stationiert war, umkämpft oder in Händen der Islamisten.

In der Provinzhauptstadt sind die Ängste groß, dass sich der Fall der Provinz aus dem Herbst 2015 wiederholen könnte. Damals war die Stadt Kundus fast zwei Wochen in den Händen der Taliban gewesen. Auch um das zu verhindern, ist nun zeitweise wieder eine kleine Gruppe deutscher Militärberater vor Ort.

In einer jüngst veröffentlichten Analyse des Rechercheinstituts "Afghanistan Analysts Network" heißt es, Kundus habe im vergangenen Jahr mehr Angriffe auf Bezirkszentren gesehen als jede andere Provinz. Das Leben in der Provinzhauptstadt sei zum Stillstand gekommen. Die Regierung habe weitgehend aufgehört, zu arbeiten. Gouverneur Assadullah Omarchel wird mit den Worten zitiert: "Ich soll eine ganze Provinz regieren, aber ich bin in der Stadt gestrandet."

Humanitäre Helfer warnen, dass im nahenden Winter Zehntausende Menschen Hunger leiden werden, weil die Gefechte Saat und Ernte weitgehend verhindert hätten. Die Stadt ist seit drei Tagen ohne Strom, weil bei Kämpfen Leitungen gekappt wurden.

Seit Anfang Juli hat sich die Gewalt im Land noch einmal deutlich gesteigert. In der an Kundus angrenzenden Nordprovinz Baghlan haben die Taliban in der vergangenen Woche den Bezirk Dahan-e Ghori erobert. Auch hier war bis 2013 die Bundeswehr stationiert.

Gegen Baghlan, Kundus und die Südprovinz Helmand richten sich die meisten Taliban-Offensiven. Aber auch im Hisarak-Bezirk von Nangarhar waren laut Provinzbeamten am Samstag schwere Kämpfe im Gang.

Der humanitäre Arm der UN, OCHA, hatte am Donnerstag gewarnt, dass seit Anfang Januar mehr als 182 000 Menschen durch Gefechte aus ihren Dörfern vertrieben worden seien. Betroffen waren 25 der 34 Provinzen.

Viele der Landgewinne der Taliban sind von kurzer Dauer, weil Sicherheitskräfte anrücken und sie vertreiben. Dennoch haben die Aufständischen ihre Kontrolle über die Provinzen ausgeweitet. In einem Bericht des Aufsichtsgremiums des US-Senats für die Hilfe in Afghanistan (Sigar) ging jüngst hervor, dass die Regierung Ende Mai nur noch 65,6 Prozent der 407 Bezirke des Landes kontrollierte. Ende Januar seien es noch 70,5 Prozent gewesen.