Athen. Fünf Monate nach der Wiederwahl von Alexis Tsipras geht es Griechenland schlecht wie nie. Besserung für das Land ist nicht in Sicht.

Er werde „die Sonne aufgehen lassen“, versprach Alexis Tsipras nach der gewonnenen Wiederwahl am 20. September. Doch knapp fünf Monate später steht der griechische Premierminister vor einem Scherbenhaufen. In der Flüchtlingskrise droht Griechenland wegen der Mängel bei der Grenzsicherung ein Ausschluss aus dem Schengenraum.

Die Gläubiger halten weitere Hilfskredite zurück, weil Athen mit den versprochenen Anpassungsschritten um Monate im Rückstand ist. Die Wirtschaft rutscht in die Rezession zurück, die Athener Börse fiel diese Woche auf den tiefsten Stand seit 27 Jahren. Die Bevölkerung wehrt sich mit Streiks und Protesten gegen Rentenkürzungen und höhere Abgaben. Zwar schien am Dienstag die Sonne, doch die macht die Lage in Griechenland nicht freundlicher.

Landwirte versperren Flüchtlingen Weg nach Norden

Es war das gewohnte Bild, als am Dienstagmorgen die Fähre „Blue Star 1“ im Hafen von Piräus andockte: Über die Rampe strömten mehr als tausend Flüchtlinge von dem Schiff. Sie kamen von der Insel Lesbos und wollten nun weiter nach Norden, zur mazedonischen Grenze. Aber der Weg dorthin ist versperrt, weil protestierende Landwirte seit Tagen mit Tausenden Traktoren wichtige Autobahnen und Verkehrsknotenpunkte blockieren.

Mit den Straßenblockaden wehren sich die Bauern gegen die Pläne der Regierung für eine Rentenreform. Sie würde ihnen drastische Beitragserhöhungen bescheren. So müssen die ankommenden Flüchtlinge im Hafen von Piräus bleiben, mit vielen anderen, die dort bereits gestrandet sind, und Tausenden weiteren, die in den nächsten Tagen erwartet werden.

Die Flüchtlingskrise bekommt für Griechenland immer gefährlichere Dimensionen. Während täglich mehr als tausend Schutzsuchende von der türkischen Küste über die Ägäis zu den griechischen Inseln kommen, machen im Norden immer mehr Länder ihre Grenzen dicht. Mazedonien hat jetzt mit dem Bau weiterer Grenzzäune begonnen. Griechenland läuft Gefahr, zur Endstation für die nachströmenden Flüchtlinge zu werden. Die Situation dürfte sich weiter verschärfen, wenn die anderen Schengenstaaten Griechenland aus dem Verbund ausschließen.

Straßenverkehr behindert

Inzwischen verursachen die Straßenblockaden den griechischen Exporteuren täglich Verluste von rund 30 Millionen Euro. An der griechisch-bulgarischen Grenze stauen sich die Lastzüge auf einer Länge von über 25 Kilometern. Bulgarien hat bereits an die EU appelliert, sie müsse dafür sorgen, dass die griechischen Behörden die Grenzblockaden beenden.

Aber das ist leichter gesagt als getan. Am Übergang bei Promachonas, den die Landwirte seit Tagen blockieren, durchbrachen am Dienstagmorgen vier bulgarische Fernfahrer die Sperren. Mit Vollgas jagten sie ihre Trucks durch die geschlossenen Schlagbäume. Wie durch ein Wunder gab es keine Verletzten. Am Freitag wollen die Bauern mit ihren Traktoren nach Athen kommen und das Stadtzentrum für drei Tage blockieren.

In der Justiz läuft nichts mehr

Nicht nur der Straßenverkehr in Griechenland wird behindert. Auch im Justizbetrieb läuft fast nichts mehr. Seit zwei Wochen streiken die Rechtsanwälte. Die Rentenreform wird nach Berechnungen ihres Berufsverbands dazu führen, dass sie bis zu 70 Prozent ihrer Einkommen als Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abführen müssen.

Während auf der einen Seite die Welle der Streiks und Proteste immer weiter anschwillt, wächst auf der anderen Seite der Druck der Geldgeber auf die Regierung. Die chronischen Defizite in den Pensionskassen sind eine der Hauptursachen für die griechische Schuldenkrise. Die Sanierung der zerrütteten Rentenfinanzen ist deshalb die wichtigste Reformvorgabe der Gläubiger, aber nicht die einzige. 201 Maßnahmen muss Athen als Gegenleistung für die im vergangenen Sommer zugesagten neuen Hilfskredite umsetzen, darunter Privatisierungen, eine Verwaltungs- und Justizreform und den Abbau von Wettbewerbshindernissen. Aber die Regierung Tsipras ist mit den meisten Reformen um viele Monate im Rückstand.

Unpopuläre Renten- und Steuerreform

Eigentlich sollte die Überprüfung der ersten Reformschritte bereits im Oktober abgehakt sein. Jetzt hofft Finanzminister Euklid Tsakalotos, die Verhandlungen mit der Troika bis März abschließen zu können. Erst dann können weitere Hilfskredite fließen. Noch kommt Finanzminister Tsakalotos mit dem Geld einigermaßen über die Runden. Aber spätestens im Juli wird es eng. Dann muss Athen für Zinsen und die Tilgung fälliger Kredite 3,7 Milliarden Euro aufbringen. Ohne neue Finanzspritzen aus dem Rettungspaket ist das nicht zu schaffen.

Doch dazu muss Tsipras erst einmal die unpopuläre Renten- und Steuerreform durchs Parlament bringen. Die Abstimmung dürfte zu einer Zitterpartie werden, denn die Regierungskoalition verfügt im Parlament nur über eine hauchdünne Mehrheit von 153 der 300 Mandate. Seit Wochen wird spekuliert, Tsipras könnte versuchen, einen Ausweg in Neuwahlen zu suchen – es wäre bereits der vierte Urnengang seit Anfang 2015.

Ein Wahlkampf würde das Land noch tiefer ins Chaos stürzen. Hinter den Kulissen gibt es deshalb bereits Gedankenspiele zur Bildung einer „Regierung der nationalen Einheit“ unter Beteiligung parteiloser Technokraten. Oppositionspolitiker signalisieren hinter vorgehaltener Hand ihre Bereitschaft zu einer „großen Notkoalition“ – allerdings ohne Tsipras.