Berlin. Martin Schulz setzt auf Gerechtigkeit, doch Deutschland geht es gut wie selten. Dem SPD-Chef fehlen Themen und das politische Gespür.

Beharrlichkeit zahlt sich im politischen Geschäft aus. Das denkt sich offenbar auch die SPD und setzt im Bundestagswahlkampf weiterhin auf das Thema Gerechtigkeit. Die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, gleiche Bildungschancen, ein gerechter Ausgleich zwischen Generationen – das sind die Botschaften, mit denen die Sozialdemokraten in den nächsten Wochen Plakate kleben und die Bürger für sich gewinnen wollen.

Das Problem daran ist: Wer die Zeitung aufschlägt oder den Fernseher einschaltet, sieht etwas anders. Schwere internationale Konflikte, eine Europäische Union in der Krise und mögliche Terrorattacken beherrschen die Schlagzeilen. Wenn es ein Thema gibt, das alle diese Nachrichten verbindet, dann ist es die Sicherheit. Gerechtigkeit ist es jedenfalls nicht. Die Sozialdemokraten müssen sich fragen, ob sie wirklich auf das richtige Thema setzen.

Die Staatskassen sind so voll wie selten

Nicht, dass kostenlose Kita-Plätze oder eine bessere Rente nicht wichtig wären. Die SPD hat sich alle Mühe gemacht, um ein seriöses Steuerkonzept vorzulegen. Auch in der Rentenpolitik haben sie zwar teure, aber höchst detaillierte Vorschläge präsentiert. Aber Fakt ist auch: Die Arbeitslosenzahlen sind historisch niedrig, die öffentlichen Kassen so voll wie nie. Der Aufschwung wird eine Zeit anhalten. Die Sorgen der Deutschen sind derzeit andere. Der Klimawandel, neue Kriege, Terror und Kriminalität beschäftigen sie mehr als Lohngerechtigkeit.

Ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz ist das bereits aufgefallen. In der vergangenen Woche erklärte er die Flüchtlingskrise zum großen Thema – es wurde ein Flop. Indem er vor einer wieder ansteigenden Zahl an Flüchtlingen warnte, leistete Schulz nicht nur kostenlose Wahlkampfhilfe für die AfD. Es blieb auch völlig unklar, was er wirklich anders machen will. Flüchtlinge in Europa besser zu verteilen, löst die Ursachen für die Krise nicht, das müsste auch Schulz wissen. Die Kritik an Kanzlerin Angela Merkel wirkte unglaubwürdig, weil Schulz und seine Partei in der Flüchtlingskrise immer nah bei Merkel standen und ihre Politik mitgetragen haben.

Schulz reiste nach Italien und Frankreich

Es sind also nicht nur die richtigen Themen, nach denen die SPD sucht. Es ist der Kandidat selbst, der den richtigen Takt und den passenden Ton des Wahlkampfs noch nicht gefunden hat. Rastlos tingelt Schulz seit Wochen durchs Land, besucht mittelständische Firmen und legt irgendwo Kränze nieder. Schulz droht sich zu verzetteln. In Paris traf er den französischen Präsidenten, in Rom den italienischen Ministerpräsidenten, das sind respektable Gesprächspartner. Allein es fehlte die Botschaft, mit der Schulz in Deutschland Gehör gefunden hätte.

Auf der anderen Seite lässt er Chancen ungenutzt verstreichen. So blieb Schulz vor dem heutigen Diesel-Gipfel, von dessen Ergebnis das Schicksal von Millionen von Autofahrern abhängt, komplett unsichtbar. Das führt unter dem Strich dazu, dass der beste Spieler der SPD auf der politischen Bühne noch immer Außenminister Sigmar Gabriel ist. Schulz’ Vorgänger im Parteivorsitz stiehlt dem Kandidaten mit seinem Gespür für Themen und Termine oft genug die Schau.

Der SPD fehlte eine reale Machtperspektive

Noch ist die Bundestagswahl nicht gelaufen, der Wahlkampf hat erst angefangen. Damit Martin Schulz im Herbst aber wirklich ins Kanzleramt einziehen kann, müsste wenigstens ein bisschen von der Euphorie zurückkommen, mit der er als Kandidat Anfang des Jahres gestartet war. Aber diese Bewegung ist in den Umfragen nicht zu erkennen. Damit fehlt den Sozialdemokraten außer den richtigen Themen derzeit auch das politisch Entscheidende: die reale Machtperspektive für einen Regierungswechsel.