Wien/Berlin. Nacht für Nacht werden Tausende Migranten über den Brennner gebracht. Eine Falschmeldung. Doch sie verbreitet sich. Die Spurensuche.

Die Resonanz hat die „Nachrichtenseite“ zum Absturz gebracht. „Afrikaner werden in Bussen klammheimlich nach Deutschland verbracht“ meldete die Seite Newsblitz am Dienstag. Es ist die neue Variante einer erfundenen Geschichte aus dem vergangenen Jahr. Da waren es heimliche Flugzeuge aus der Türkei, nun sollen es Busse am Brenner sein. Eine Suche nach Spuren und Erklärungen für solche Falschmeldungen und ihre Zutaten.

Den Anstoß für all die Aufregung hat am Samstagabend ein großer Fan von FPÖ-Politiker Strache gegeben. Was der Lokführer aus der Steiermark dann auf Facebook postete, hatte ihm ein Bekannter geschickt, erklärt er unserer Redaktion. Er selbst hat es am Dienstag wieder gelöscht, „zu viele Anfragen, ich kam mit dem Schreiben von Mails nicht mehr hinterher“. Sein Originaltext:

SO, ich will jetzt einmal FAKTEN: Von Mittwoch auf Donnerstag sind innerhalb einer Stunde (!!)von 3 - 4 Uhr morgens 37 Busse mit Schwarzafrikanern über den Brenner gefahren, heute waren es 17 Busse (rund 850 Personen) .....nach Info´s von dort geht das schon lange so .....also: in einer Stunde werden rund 1850 Schwarzafrikaner ins Land gekarrt...klammheimlich !!! Wo werden die hingebracht???? Und ich will ANTWORTEN !!!

Vermeintlicher Zeuge schrieb aus Skandinavien

Der Lokführer aus der Steiermark, zum Zeitpunkt des angeblichen Geschehens auf einer Kreuzfahrt in Skandinavien, wurde damit zum Zeugen des Geschehens, das ein Bekannter beschrieben hatte. Der sei „als vertrauenswürdig einzustufen“. Und lebt in Graz, das mit 450 Kilometern Entfernung immerhin etwas näher am Brenner liegt als die Fjorde.

Screenshots des Postings und wiederum kopierte Fassungen finden sich reichlich, manche als „Eilmeldung“ markiert und ebenso tausendfach geteilt wie der ursprüngliche Beitrag des Lokführers auf Schiffstour.

An Brenner-Tankstelle Gelächter über die Story

Wegen der Geschichte bricht ein Mitarbeiter in der OMV-Tankstelle am Grenzübergang am Telefon in Gelächter aus: „Dutzende Busse nachts um 3 Uhr? Wenn es einer mitbekommen würde, dann wir. Heuer ist doch gar nichts los, es sind doch kaum Flüchtlinge unterwegs“, sagt er am Telefon.

Was er sagt, hat am Montag auch Georg Willi erlebt, Verkehrs- und Tourismussprecher der Grünen im Parlament und Bürgermeisterkandidat in Innsbruck. Er hat sich ein Bild gemacht bei der Polizeieinheit Steinach, die an der Grenze kontrolliert. „Sehr geerdete Leute, die mir nichts vom Pferd erzählen.“ Im Juli, so die Beamten, seien täglich zwischen zwei und 25 Personen aufgegriffen worden, im Schnitt zehn. „Das Thema wird künstlich aufgebauscht“, sagt er und spielt damit auf Debatten im Wahlkampf in Österreich und Deutschland an.

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Innenminister bittet, Falschmeldung nicht zu teilen

Ähnliche Zahlen nennt aber auf Anfrage auch das österreichische Innenministerium. „Am manchen Tagen ist es auch einstellig.“ Die Geschichte von den Bussen sei „weder wahr noch gut gelogen“, so ein Ministeriumssprecher. „Aber es verbreitet sich rege“. Auf Twitter bat das Ministerium, die Falschmeldung nicht mehr zu teilen.

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Bei manchen Menschen wird das nicht nutzen, sagt Kommunikationswissenschaftler Philipp Müller von der Universität Mainz. Zum einen setze bei einer solchen Geschichte ein „Truth-Effekt“ ein – wenn man sie bei verschiedenen Quellen bereits gehört hat, erscheint es plausibel. Auch wenn da einer vom anderen abgeschrieben hat ... Dazu komme: „In Kreisen mit einem elitenkritischen, leicht verschwörungstheoretischen Weltbild, passt eine solche Geschichte zu dem, was sie denken. Es entspricht ihrer Erwartungshaltung.“ Im August 2016 hatten viele Menschen auch geglaubt, dass massenhaft Flüchtlinge heimlich nachts nach Köln-Bonn eingeflogen werden.

Wissenschaftler: Politiker schaffen Klima für Verbreitung

Die Politik habe zuletzt ein Klima geschaffen, mit dem sie das Wirkpotenzial für eine solche Geschichte noch erweitert: „Die Geschichte erreicht auch Leute, die eigentlich skeptischer wären, wenn vorher quasi regierungsamtlich etwas in die Richtung geäußert wird.“ Vor einigen Wochen hätte die Meldung sich möglicherweise viel schlechter verbreitet.

Anfang Juli hatte Außenminister Sebastian Kurz erklärt, Österreich werde seine Grenzen zu Italien vor Migranten schützen. Österreichs Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil von der SPÖ überbot das: Sein Ministerium könne innerhalb von 72 Stunden Panzerfahrzeuge zum Brenner-Grenzübergang entsenden. Auch wenn er das später relativierte, „setzt sich so etwas im Kopf fest“, so Kommunikationswissenschaftler Müller. Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz trage dazu bei. Der hatte gerade gewarnt, die Situation von 2015 drohe sich zu wiederholen. Müller: „Es ist die Frage, wie verantwortlich solche Äußerungen sind.“

Noch keine 100.000 Menschen in Italien angekommen

Am Grenzübergang hatte Grünen-Politiker Georg Willi ganz andere Gedanken. „Man muss immer vorbereitet sein. Aber es sind in diesem Jahr noch keine 100.000 Menschen über das Meer in Italien angekommen, so viele hatte das viel kleinere Österreich aufgenommen.“ Und auch das österreichische Innenministerium spricht von einer „sehr stabilen Situation“ und einem „funktionierenden System der Rückführung mit Italien.“

In der Gemeindeverwaltung des österreichischen Grenzörtchens Gries denkt man bei Bussen auch an etwas anderes: „Hier fahren nur Busse mit Pensionisten zum Gardasee“, ist dort die erste Reaktion. Bürgermeister Karl Mühlsteiger findet die Geschichte auch absurd. Er lässt sich aber auf die Frage ein, ob es sein könnte.

Theoretisch könne natürlich nachts eine Kolonne Busse auf der Autobahn fahren, ohne dass man das im Ort selbst mitbekomme. „Aber es fahren ja auch andere Leute aus der Region auf der Autobahn, das würde sich sehr schnell herumsprechen.“ Und vom „Bürgergrenzschutz“, der auf Facebook auch als Beleg dient, hat in Gries keiner gehört.

Bilder aus falschem Zusammenhang sollen Beleg sein

Wer an die Geschichte von der Migrantentour nach Norden glauben will, findet aber noch andere vermeintliche Belege für die Migrantentour Richtung Norden. Da taucht dann ein Bild auf, das eine fremdenfeindliche Seite am 19. Juli gepostet hat. Angeblich werden Afrikaner heimlich in einer Asylunterkunft abgesetzt.

Der zuständige Rems-Murr-Kreis hat eine ganz andere Erklärung: „An dem Tag wurden der Gemeinschaftsunterkunft in Welzheim fünf Inder aus der Landeserstaufnahmestelle zugewiesen.“ Ein ganz normaler Vorgang.

Und auch ein Video aus der Schweiz wird genutzt. Der Film ist am 5. Juli gepostet worden, zu sehen ist eine große Fußgruppe dunkelhäutiger Menschen, die entlang einer Straße läuft.

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Das Video wird jetzt auch als Video aus Österreich verbreitet, es machte aber schon vor der falschen Bus-Aufregung die Runde. AfD-Accounts raunten in Social Media: Man wisse ja nicht genau, was sie machten, aber bis Deutschland seien es nur 90 Kilometer. Dahin wollen sie aber gar nicht, heißt es von der Polizei in Biel, die schon einige Anfragen hatte: Eine Gruppe aus Eritrea stammender Christen aus allen Teilen der Schweiz und zum Teil aus dem Ausland trifft sich alljährlich für ein Wochenende mit Gottesdienst in Biel. Im Video ist ein Teil der Gläubigen auf dem Weg zur Kirche zu sehen.