Berlin. Die Zahl der Abschiebungen sinkt, die der Ausreisepflichtigen steigt. Deren Leistungen möchte Sachsens Innenminister Ulbig kürzen.

Eigentlich sollte der Flieger kommende Woche Richtung Kabul abheben. An Bord: Afghanen, die aus Deutschland abgeschoben werden sollten. Doch das Bundesinnenministerium sagte den Flug kurzerhand ab. Es rechne nicht damit, genug ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige für den Sammel-Charterflug zusammenzubekommen.

Der Fall zeigt exemplarisch, wie schwer sich die Behörden derzeit dabei tun, abgelehnte Asylbewerber aus Deutschland abzuschieben. Mit viel Aufheben beschloss die Bundesregierung im Februar ein Gesetz, um Ausreisepflichtige schneller und konsequenter abschieben zu können. Schon zuvor sprach Angela Merkel (CDU) von einer „nationalen Kraftanstrengung zur Rückführung derer, die abgelehnt wurden“. In den Resultaten jedoch spiegelt sich die Kraftanstrengung nicht wider.

Insbesondere Zahl der Ausreisepflichtigen ohne Duldung steigt

So ist die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland im ersten Halbjahr 2017 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken. Das belegen Zahlen des Bundesinnenministeriums, die dieser Redaktion vorliegen. In den ersten sechs Monaten wurden demnach 12.545 Ausreisepflichtige in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt, 2016 wurden im selben Zeitraum 13.743 Menschen abgeschoben.

Währenddessen stieg die Zahl der Ausreisepflichtigen im gleichen Zeitraum um weitere rund 18.000 Personen auf 226.457. Besonders die Ausreisepflichtigen ohne Duldung werden mehr: In den vergangenen sechs Monaten legte ihre Zahl um mehr als 12.000 auf 66.779 Menschen stark zu.

Entscheidend ist die Herkunft der Ausreisepflichtigen

Warum gelingt es den Behörden da nicht, mehr abzuschieben? „Wenn man die Erwartungshaltung hat, allein durch Maßnahmen der Bundesregierung einen sehr starken Anstieg der Abschiebezahlen bewirken zu können, ist man schief gewickelt“, heißt es dazu aus dem Bundesinnenministerium. Das Thema sei mit seinen zahlreichen Beteiligten im In- und Ausland sehr komplex. Entscheidend ist vor allem die Herkunft der Ausreisepflichtigen.

Die lag bei den Fällen im vergangenen Jahr meist auf dem westlichen Balkan. „2016 wurden viele Menschen aus dem Westbalkan abgeschoben, deren Fälle recht einfach zu bearbeiten waren“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Davon seien die meisten mittlerweile erledigt. „Die Abschiebefälle, die jetzt noch bleiben, sind erheblich komplizierter.“

Abschiebung in Maghreb-Staaten problematisch

Zwar würden von den Behörden größere Anstrengungen unternommen. In Zahlen könne man dies jedoch nicht nachweisen. „Obwohl mehr Aufwand betrieben wird, können daher dennoch nicht unbedingt mehr Fälle bearbeitet werden“, heißt es aus dem Ministerium. Problematisch gestalten sich etwa die Abschiebungen in die Maghreb-Staaten Algerien, Tunesien und Marokko.

Mit Tunesien hat die Bundesrepublik im März ein Abkommen zur einfacheren Rückführung von Ausreisepflichtigen unterzeichnet. Die Bearbeitung von Passersatzpapieren soll seither schneller gehen, ausgestellte Dokumente sind nun länger gültig. Auch sind mittlerweile Sammelabschiebungen in das Land möglich. Doch Marokko etwa akzeptiert diese Abschiebeform noch immer nicht.

Sicherheitslage in Afghanistan schlecht

Gespräche, Abschiebungen in die Maghreb-Staaten zu erleichtern, laufen weiter. „Doch das ist ein aufwendiges Geschäft, bei dem man einen langen Atem braucht“, heißt es im Innenministerium. Probleme gibt es auch bei den Abschiebungen nach Afghanistan. Die Praktik ist seit Langem umstritten.

Viele Kritiker halten die Sicherheitslage für zu schlecht, um Ausreisepflichtige an den Hindukusch abzuschieben. Nach einem Anschlag nahe der deutschen Botschaft in Kabul Ende Mai setzte auch die Bundesregierung Abschiebeflüge aus. Zwar soll nun wieder abgeschoben werden, doch das bleibt wie eingangs beschrieben schwierig.

Ulbig: Ohne Bleiberecht kein Leistungsanspruch

Dass die Situation nicht einfacher werde, schätzt auch der Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK), Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU). Um die gerade auch aus Sicherheitsgründen schwer zu entscheidenden Fälle zu bewältigen, fordert der IMK-Vorsitzende Verschärfungen im Asylrecht.

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Ähnlich wie mit den Westbalkan-Staaten solle eine leichtere Rückführung der Ausreisepflichtigen durch Passersatzpapiere auch mit anderen Ländern durchgesetzt werden. „Ideal wäre eine Ausstellung von Laissez-passer-Bescheinigungen wie bei den Westbalkanstaaten ohne zeitliche Begrenzung zur einmaligen Ausreise“, sagte er. Dazu führe der Bund bereits mit vielen schwierigen Staaten Gespräche.

Sachsens Innenminister fordert Leistungskürzungen

Zudem fordert der sächsische Innenminister, die Ausreisen von dazu Verpflichteten mit Leistungskürzungen und einer Umkehr der Nachweispflicht zu forcieren: „Wer kein Bleiberecht in Deutschland hat, soll auch keinen Anspruch auf Leistungen mehr haben.“ Könne jemand unverschuldet vorübergehend nicht ausreisen, solle er Leistungen erst auf Antrag und mit entsprechenden Nachweisen bekommen.

Grundsätzliche Kritik an der Abschiebe-Praktik übt die Linken-Politikerin Ulla Jelpke: „Auch wenn in der Öffentlichkeit oft der falsche Eindruck erweckt wurde, die meisten Geflüchteten seien nicht schutzbedürftig und müssten wieder abgeschoben werden – die Realität sieht anders aus.“ Zwar habe die Bundeskanzlerin 2017 zum Jahr der Abschiebungen erkoren.

Doch angesichts des hohen Schutzbedarfs der meisten Flüchtlinge müsse das Motto „Integration statt Abschiebung“ lauten: „Statt Abschiebungen um jeden Preis brauchen wir eine großzügige Bleiberechtsreglung, wirksame Integrationsmaßnahmen und humanitäre Entscheidungen, etwa wenn es um Familien mit Kindern geht, die schon länger hier leben.“