Stockholm. Sechs Jahre nach dem Utøya-Massaker ist keine Einigung für ein Denkmal in Sicht. Ein bewilligtes Denkmal ist Anwohnern zu auffällig.

Wie auffällig darf ein Massenmord-Denkmal sein – und hat es wirklich eine heilende Wirkung? Diese Grundsatzfragen beim Denkmal für die insgesamt 77 Todesopfer der Breivik-Massaker von Oslo und Utøya am 22. Juli 2011 spaltet Norwegen schon seit sechs Jahren.

Auf Utøya starben 69 Menschen in einem Sommerlager der Nachwuchsorganisation der Sozialdemokraten. Attentäter Anders Breivik, der sich inzwischen Fjotolf Hansen nennt, wollte die Partei damit für den Zuzug von Moslems nach Norwegen bestrafen.

Die Retter sind Volkshelden

Direkt gegenüber der Insel Utøya haben vor allem Norweger der gehobenen Mittelschicht ihre Residenz. Es ist eine feine Gegend, nur eine knappe Autostunde von Oslo entfernt. Ganz oben auf dem Berg, dort, wo der Ausblick auf die kleine Insel Utøya prächtig ist, wohnt etwa die Familie Grorud. Vater Kjell war leitender Angestellter in einem großen Konzern. „Ich träume noch immer von den Schreien, den ununterbrochenen Schüssen“, sagte Kjell Grorud über die Brüstung seines Anwesens Richtung Utøya gebeugt.

Die Attentate von Oslo und Utøya

Es ist eine Art 11. September für das Land. Der Rechtsterrorist Anders Behring verübt in Oslo und auf einer Insel vor der Stadt zwei Anschläge – im Kampf gegen die „Multikulti-Kultur“. Sein Amoklauf beginnt in Oslo. Im Regierungsviertel zündet Breivik eine mehrere hundert Kilogramm schwere Bombe.
Es ist eine Art 11. September für das Land. Der Rechtsterrorist Anders Behring verübt in Oslo und auf einer Insel vor der Stadt zwei Anschläge – im Kampf gegen die „Multikulti-Kultur“. Sein Amoklauf beginnt in Oslo. Im Regierungsviertel zündet Breivik eine mehrere hundert Kilogramm schwere Bombe. © dpa | Julia Wäschenbach
Die Bombe hatte Breivik in einem Lieferwagen deponiert und vor dem 17-stöckigen Hauptsitz der Regierung zur Explosion gebracht. Auch der sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Stoltenberg hat damals sein Büro in dem Haus. Durch die Explosion werden alle Fensterscheiben zerstört. Trümmerteile schleudern Hunderte Meter weit durch die Luft. Acht Menschen sterben.
Die Bombe hatte Breivik in einem Lieferwagen deponiert und vor dem 17-stöckigen Hauptsitz der Regierung zur Explosion gebracht. Auch der sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Stoltenberg hat damals sein Büro in dem Haus. Durch die Explosion werden alle Fensterscheiben zerstört. Trümmerteile schleudern Hunderte Meter weit durch die Luft. Acht Menschen sterben. © dpa | Norwegian Police/handout
Nach dem Anschlag in Oslo macht sich Breivik auf den Weg nach Utøya. Die Insel liegt etwa 40 Kilometer von Oslo entfernt.
Nach dem Anschlag in Oslo macht sich Breivik auf den Weg nach Utøya. Die Insel liegt etwa 40 Kilometer von Oslo entfernt. © dpa | Lasse Tur
Der Massenmörder kommt mit einer Fähre auf die Insel. Die MS Thorbjorn verkehrt zwischen der Insel und dem Festland. Breivik trägt einen Polizeipullover und eine kugelsichere Weste. Auch eine Pistole und eine automatische Waffe hat er bei sich.
Der Massenmörder kommt mit einer Fähre auf die Insel. Die MS Thorbjorn verkehrt zwischen der Insel und dem Festland. Breivik trägt einen Polizeipullover und eine kugelsichere Weste. Auch eine Pistole und eine automatische Waffe hat er bei sich. © dpa | Julia Wäschenbach
Hunderte Jugendliche machen auf der Insel Urlaub in einem Sommercamp der regierenden sozialdemokratischen Partei. Sie werden von Breivik angesprochen. Er wolle sie über den Bombenanschlag in Oslo informieren. Dann eröffnet Breivik das Feuer.
Hunderte Jugendliche machen auf der Insel Urlaub in einem Sommercamp der regierenden sozialdemokratischen Partei. Sie werden von Breivik angesprochen. Er wolle sie über den Bombenanschlag in Oslo informieren. Dann eröffnet Breivik das Feuer. © dpa | Vegard Wivestad Groett
Etwa eineinhalb Stunden lang läuft Breivik über die Insel, schießt auf die Jugendlichen und ihre Betreuer, auch auf jene, die ins Wasser springen und zum 600 Meter entfernten Festland flüchten wollen.
Etwa eineinhalb Stunden lang läuft Breivik über die Insel, schießt auf die Jugendlichen und ihre Betreuer, auch auf jene, die ins Wasser springen und zum 600 Meter entfernten Festland flüchten wollen. © dpa | Julia Wäschenbach
Auch im Schulhaus verstecken sich die Kinder, dicht gedrängt, da es nur wenige Hütten gibt.
Auch im Schulhaus verstecken sich die Kinder, dicht gedrängt, da es nur wenige Hütten gibt. © dpa | Julia Wäschenbach
Andere kauern unter Felsvorsprüngen oder suchen hinter ein paar Büschen Schutz  so wie der damals 15-jährige Sindre Lysø. Er flüchtet mit einem Mädchen, das er nicht kennt, vor dem Attentäter. „Wir hatten Angst, aber wir wussten nicht, wovor wir uns verstecken“, erzählt er.
Andere kauern unter Felsvorsprüngen oder suchen hinter ein paar Büschen Schutz so wie der damals 15-jährige Sindre Lysø. Er flüchtet mit einem Mädchen, das er nicht kennt, vor dem Attentäter. „Wir hatten Angst, aber wir wussten nicht, wovor wir uns verstecken“, erzählt er. © dpa | Julia Wäschenbach
Bis die Polizei auf Utøya eintrifft, vergeht viel Zeit. Anwohner starten mit ihren Privatbooten in Richtung der Insel, um Überlebende aus dem Wasser zu retten. Auch Jorn Øverby eilt zur Hilfe. In seinem Boot rast er immer wieder Utøya entgegen, zieht einen Körper nach dem anderen aus dem kalten Fjord.
Bis die Polizei auf Utøya eintrifft, vergeht viel Zeit. Anwohner starten mit ihren Privatbooten in Richtung der Insel, um Überlebende aus dem Wasser zu retten. Auch Jorn Øverby eilt zur Hilfe. In seinem Boot rast er immer wieder Utøya entgegen, zieht einen Körper nach dem anderen aus dem kalten Fjord. © dpa | Julia Wäschenbach
Bevor die Polizei eintrifft, rettet Øverby so 30 Jugendliche. Durch die Insel wird er immer an das Attentat erinnert werden.
Bevor die Polizei eintrifft, rettet Øverby so 30 Jugendliche. Durch die Insel wird er immer an das Attentat erinnert werden. © dpa | Julia Wäschenbach
Als schließlich die Polizei auf der Insel eintrifft, wird Anders Breivik nach wenigen Minuten gestellt. Er ergibt sich und wird festgenommen. 69 Menschen im Alter von 14 bis 51 Jahren sind tot.
Als schließlich die Polizei auf der Insel eintrifft, wird Anders Breivik nach wenigen Minuten gestellt. Er ergibt sich und wird festgenommen. 69 Menschen im Alter von 14 bis 51 Jahren sind tot. © dpa | Joerg Carstensen
Der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik gesteht beide Anschläge mit 77 Toten. Er wird zu einer Höchststrafe von 21 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
Der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik gesteht beide Anschläge mit 77 Toten. Er wird zu einer Höchststrafe von 21 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
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Die Attentate von Oslo und Utøya

Es ist eine Art 11. September für das Land. Der Rechtsterrorist Anders Behring verübt in Oslo und auf einer Insel vor der Stadt zwei Anschläge – im Kampf gegen die „Multikulti-Kultur“. Sein Amoklauf beginnt in Oslo. Im Regierungsviertel zündet Breivik eine mehrere hundert Kilogramm schwere Bombe.
Es ist eine Art 11. September für das Land. Der Rechtsterrorist Anders Behring verübt in Oslo und auf einer Insel vor der Stadt zwei Anschläge – im Kampf gegen die „Multikulti-Kultur“. Sein Amoklauf beginnt in Oslo. Im Regierungsviertel zündet Breivik eine mehrere hundert Kilogramm schwere Bombe. © dpa | Julia Wäschenbach
Die Bombe hatte Breivik in einem Lieferwagen deponiert und vor dem 17-stöckigen Hauptsitz der Regierung zur Explosion gebracht. Auch der sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Stoltenberg hat damals sein Büro in dem Haus. Durch die Explosion werden alle Fensterscheiben zerstört. Trümmerteile schleudern Hunderte Meter weit durch die Luft. Acht Menschen sterben.
Die Bombe hatte Breivik in einem Lieferwagen deponiert und vor dem 17-stöckigen Hauptsitz der Regierung zur Explosion gebracht. Auch der sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Stoltenberg hat damals sein Büro in dem Haus. Durch die Explosion werden alle Fensterscheiben zerstört. Trümmerteile schleudern Hunderte Meter weit durch die Luft. Acht Menschen sterben. © dpa | Norwegian Police/handout
Nach dem Anschlag in Oslo macht sich Breivik auf den Weg nach Utøya. Die Insel liegt etwa 40 Kilometer von Oslo entfernt.
Nach dem Anschlag in Oslo macht sich Breivik auf den Weg nach Utøya. Die Insel liegt etwa 40 Kilometer von Oslo entfernt. © dpa | Lasse Tur
Der Massenmörder kommt mit einer Fähre auf die Insel. Die MS Thorbjorn verkehrt zwischen der Insel und dem Festland. Breivik trägt einen Polizeipullover und eine kugelsichere Weste. Auch eine Pistole und eine automatische Waffe hat er bei sich.
Der Massenmörder kommt mit einer Fähre auf die Insel. Die MS Thorbjorn verkehrt zwischen der Insel und dem Festland. Breivik trägt einen Polizeipullover und eine kugelsichere Weste. Auch eine Pistole und eine automatische Waffe hat er bei sich. © dpa | Julia Wäschenbach
Hunderte Jugendliche machen auf der Insel Urlaub in einem Sommercamp der regierenden sozialdemokratischen Partei. Sie werden von Breivik angesprochen. Er wolle sie über den Bombenanschlag in Oslo informieren. Dann eröffnet Breivik das Feuer.
Hunderte Jugendliche machen auf der Insel Urlaub in einem Sommercamp der regierenden sozialdemokratischen Partei. Sie werden von Breivik angesprochen. Er wolle sie über den Bombenanschlag in Oslo informieren. Dann eröffnet Breivik das Feuer. © dpa | Vegard Wivestad Groett
Etwa eineinhalb Stunden lang läuft Breivik über die Insel, schießt auf die Jugendlichen und ihre Betreuer, auch auf jene, die ins Wasser springen und zum 600 Meter entfernten Festland flüchten wollen.
Etwa eineinhalb Stunden lang läuft Breivik über die Insel, schießt auf die Jugendlichen und ihre Betreuer, auch auf jene, die ins Wasser springen und zum 600 Meter entfernten Festland flüchten wollen. © dpa | Julia Wäschenbach
Auch im Schulhaus verstecken sich die Kinder, dicht gedrängt, da es nur wenige Hütten gibt.
Auch im Schulhaus verstecken sich die Kinder, dicht gedrängt, da es nur wenige Hütten gibt. © dpa | Julia Wäschenbach
Andere kauern unter Felsvorsprüngen oder suchen hinter ein paar Büschen Schutz  so wie der damals 15-jährige Sindre Lysø. Er flüchtet mit einem Mädchen, das er nicht kennt, vor dem Attentäter. „Wir hatten Angst, aber wir wussten nicht, wovor wir uns verstecken“, erzählt er.
Andere kauern unter Felsvorsprüngen oder suchen hinter ein paar Büschen Schutz so wie der damals 15-jährige Sindre Lysø. Er flüchtet mit einem Mädchen, das er nicht kennt, vor dem Attentäter. „Wir hatten Angst, aber wir wussten nicht, wovor wir uns verstecken“, erzählt er. © dpa | Julia Wäschenbach
Bis die Polizei auf Utøya eintrifft, vergeht viel Zeit. Anwohner starten mit ihren Privatbooten in Richtung der Insel, um Überlebende aus dem Wasser zu retten. Auch Jorn Øverby eilt zur Hilfe. In seinem Boot rast er immer wieder Utøya entgegen, zieht einen Körper nach dem anderen aus dem kalten Fjord.
Bis die Polizei auf Utøya eintrifft, vergeht viel Zeit. Anwohner starten mit ihren Privatbooten in Richtung der Insel, um Überlebende aus dem Wasser zu retten. Auch Jorn Øverby eilt zur Hilfe. In seinem Boot rast er immer wieder Utøya entgegen, zieht einen Körper nach dem anderen aus dem kalten Fjord. © dpa | Julia Wäschenbach
Bevor die Polizei eintrifft, rettet Øverby so 30 Jugendliche. Durch die Insel wird er immer an das Attentat erinnert werden.
Bevor die Polizei eintrifft, rettet Øverby so 30 Jugendliche. Durch die Insel wird er immer an das Attentat erinnert werden. © dpa | Julia Wäschenbach
Als schließlich die Polizei auf der Insel eintrifft, wird Anders Breivik nach wenigen Minuten gestellt. Er ergibt sich und wird festgenommen. 69 Menschen im Alter von 14 bis 51 Jahren sind tot.
Als schließlich die Polizei auf der Insel eintrifft, wird Anders Breivik nach wenigen Minuten gestellt. Er ergibt sich und wird festgenommen. 69 Menschen im Alter von 14 bis 51 Jahren sind tot. © dpa | Joerg Carstensen
Der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik gesteht beide Anschläge mit 77 Toten. Er wird zu einer Höchststrafe von 21 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
Der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik gesteht beide Anschläge mit 77 Toten. Er wird zu einer Höchststrafe von 21 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
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Er wollte sofort helfen, rannte hinunter, doch Polizisten ließen ihn und andere Anwohner nicht zur Insel. Ortsbewohner, die auf die Weisung der Polizei pfiffen, gelten heute als Volkshelden. Sie fischten unter dem Einsatz ihres Lebens viele Verletzte aus dem Wasser.

Die Regierung will Streit vermeiden

Auch deshalb wird ihrem Wort zum Streit um ein Massaker-Denkmal viel Gewicht beigemessen. Die derzeitige Regierung aus Bürgerlichen und rechtsnationalistischer Fortschrittspartei – bei dieser Partei war Breivik aktives Mitglied – hat dem Anwohnerprotest gegen ein bereits bewilligtes Denkmal nun stattgegeben.

Es ist den Anwohnern zu auffällig, es störe die Aussicht, auch von einem negativen Effekt auf die Immobilienpreise war die Rede. Oslo wolle einen peinlichen Rechtsstreit mit den rund 20 Klagenden vermeiden, hieß es zur Begründung.

„Wunde der Erinnerung“

Es geht um das von der sozialdemokratischen Vorgängerregierung in Auftrag gegebene auffällige Denkmal „Wunde der Erinnerung“ vom schwedischen Künstler Jonas Dahlberg: Am Ufer gegenüber der Insel Utøya wollte er eine Landzunge vom Festland durch einen künstlichen dreieinhalb Meter langen Wassergraben mit steilen Wänden abtrennen. Auf der so neu entstandenen Insel sollten die Namen der Opfer stehen, unerreichbar für Besucher.

Es ging darum, permanenten Verlust und tiefen Einschnitt zu symbolisieren. Die „Wunde in der Landschaft“ sollte eine „ewige“ sein, so Dahlberg. Nun hat sich Oslo anders entschieden. Man wolle etwas „Zurückhaltenderes“. Die Suche danach wurde vom zu Auffälligkeit neigenden staatlichen Kunstrat an den nüchternen Baurat delegiert. Der hat eigentlich nichts mit Kunst zu tun.

Künstler kritisieren Entscheidung

Dahlberg und mit ihm Künstler aus der ganzen Welt kritisieren die Entscheidung. Die Kunst würde zur Verarbeitung schwerer Ereignisse beitragen. „Dass die Regierung so deutlich markiert, dass sie nicht an die Rolle der Kunst glaubt, ist äußerst merkwürdig, auch aus internationaler Perspektive“, sagte er. „Ich dachte, der Zweck eines nationalen Denkmals ist es, diejenigen, die ihr Leben verloren haben, zu ehren, indem man auf einen fortfahrenden gemeinsamen Dialog über das Geschehene besteht“, so Dahlberg.

Auch sein zweites Projekt, im Regierungsviertel von Oslo, wo Breivik mit einer Bombe acht Menschen tötete, hat Oslo gestoppt. Auf schwarzen Steintafeln wollte er dort die Namen sämtlicher 2011 am Anschlagstag in Norwegen gemeldeten Menschen eingravieren. Kritisiert wird, dass Oslo die ungestörte Aussicht von rund 20 Anwohnern wichtiger sei als ein historisches Denkmal für den schlimmsten Terroranschlag in Norwegen seit der NS-Besatzungszeit.