Kein Ort für die Opfer: Anwohner gegen Utøya-Denkmal
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Von André Anwar
Stockholm. Sechs Jahre nach dem Utøya-Massaker ist keine Einigung für ein Denkmal in Sicht. Ein bewilligtes Denkmal ist Anwohnern zu auffällig.
Wie auffällig darf ein Massenmord-Denkmal sein – und hat es wirklich eine heilende Wirkung? Diese Grundsatzfragen beim Denkmal für die insgesamt 77 Todesopfer der Breivik-Massaker von Oslo und Utøya am 22. Juli 2011 spaltet Norwegen schon seit sechs Jahren.
Auf Utøya starben 69 Menschen in einem Sommerlager der Nachwuchsorganisation der Sozialdemokraten. Attentäter Anders Breivik, der sich inzwischen Fjotolf Hansen nennt, wollte die Partei damit für den Zuzug von Moslems nach Norwegen bestrafen.
Die Retter sind Volkshelden
Direkt gegenüber der Insel Utøya haben vor allem Norweger der gehobenen Mittelschicht ihre Residenz. Es ist eine feine Gegend, nur eine knappe Autostunde von Oslo entfernt. Ganz oben auf dem Berg, dort, wo der Ausblick auf die kleine Insel Utøya prächtig ist, wohnt etwa die Familie Grorud. Vater Kjell war leitender Angestellter in einem großen Konzern. „Ich träume noch immer von den Schreien, den ununterbrochenen Schüssen“, sagte Kjell Grorud über die Brüstung seines Anwesens Richtung Utøya gebeugt.
Die Attentate von Oslo und Utøya
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Er wollte sofort helfen, rannte hinunter, doch Polizisten ließen ihn und andere Anwohner nicht zur Insel. Ortsbewohner, die auf die Weisung der Polizei pfiffen, gelten heute als Volkshelden. Sie fischten unter dem Einsatz ihres Lebens viele Verletzte aus dem Wasser.
Die Regierung will Streit vermeiden
Auch deshalb wird ihrem Wort zum Streit um ein Massaker-Denkmal viel Gewicht beigemessen. Die derzeitige Regierung aus Bürgerlichen und rechtsnationalistischer Fortschrittspartei – bei dieser Partei war Breivik aktives Mitglied – hat dem Anwohnerprotest gegen ein bereits bewilligtes Denkmal nun stattgegeben.
Es ist den Anwohnern zu auffällig, es störe die Aussicht, auch von einem negativen Effekt auf die Immobilienpreise war die Rede. Oslo wolle einen peinlichen Rechtsstreit mit den rund 20 Klagenden vermeiden, hieß es zur Begründung.
„Wunde der Erinnerung“
Es geht um das von der sozialdemokratischen Vorgängerregierung in Auftrag gegebene auffällige Denkmal „Wunde der Erinnerung“ vom schwedischen Künstler Jonas Dahlberg: Am Ufer gegenüber der Insel Utøya wollte er eine Landzunge vom Festland durch einen künstlichen dreieinhalb Meter langen Wassergraben mit steilen Wänden abtrennen. Auf der so neu entstandenen Insel sollten die Namen der Opfer stehen, unerreichbar für Besucher.
Es ging darum, permanenten Verlust und tiefen Einschnitt zu symbolisieren. Die „Wunde in der Landschaft“ sollte eine „ewige“ sein, so Dahlberg. Nun hat sich Oslo anders entschieden. Man wolle etwas „Zurückhaltenderes“. Die Suche danach wurde vom zu Auffälligkeit neigenden staatlichen Kunstrat an den nüchternen Baurat delegiert. Der hat eigentlich nichts mit Kunst zu tun.
Künstler kritisieren Entscheidung
Dahlberg und mit ihm Künstler aus der ganzen Welt kritisieren die Entscheidung. Die Kunst würde zur Verarbeitung schwerer Ereignisse beitragen. „Dass die Regierung so deutlich markiert, dass sie nicht an die Rolle der Kunst glaubt, ist äußerst merkwürdig, auch aus internationaler Perspektive“, sagte er. „Ich dachte, der Zweck eines nationalen Denkmals ist es, diejenigen, die ihr Leben verloren haben, zu ehren, indem man auf einen fortfahrenden gemeinsamen Dialog über das Geschehene besteht“, so Dahlberg.
Auch sein zweites Projekt, im Regierungsviertel von Oslo, wo Breivik mit einer Bombe acht Menschen tötete, hat Oslo gestoppt. Auf schwarzen Steintafeln wollte er dort die Namen sämtlicher 2011 am Anschlagstag in Norwegen gemeldeten Menschen eingravieren. Kritisiert wird, dass Oslo die ungestörte Aussicht von rund 20 Anwohnern wichtiger sei als ein historisches Denkmal für den schlimmsten Terroranschlag in Norwegen seit der NS-Besatzungszeit.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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