Berlin. Die SPD will das Rentenniveau nicht weiter sinken lassen und eine Solidarrente für Geringverdiener. Beitrags- und Steuerzahler zahlen.

Es dürfte eines der großen Wahlkampfthemen von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz werden: Die SPD-Spitze vollzieht vor der Bundestagswahl einen drastischen Kurswechsel in der Rentenpolitik. Die Sozialdemokraten wollen den Sinkflug des Rentenniveaus durch hohe Steuerzuschüsse dauerhaft stoppen, für Geringverdiener soll es außerdem eine Solidarrente geben. Dafür müsse ein neuer „Generationenvertrag“ ausgehandelt werden, forderte Schulz am Mittwoch bei der Vorlage des SPD-Rentenkonzeptes, das ein Parteitag am 25. Juni beschließen soll. „Die SPD will, dass sich alle auf die Rente verlassen können“, sagte Schulz.

Kernpunkt ist die Forderung, das gesetzliche Rentenniveau auf der heutigen Höhe von 48 Prozent des Durchschnittslohns zu halten. Nach der geltenden Gesetzeslage, die die SPD mit den Grünen im vorigen Jahrzehnt beschlossen hatte, könnte das Rentenniveau dagegen schrittweise bis auf 43 Prozent im Jahr 2030 sinken; vor den rot-grünen Rentenreformen lag es 2003 noch bei 53 Prozent.

Die SPD macht also ein Wendemanöver, das höhere Renten verspricht: Arbeitsministerin Andrea Nahles, die das Konzept weitgehend erarbeitet hatte, rechnete vor, ein Durchschnittsverdiener erhalte 2030 mit diesem Plan 150 Euro mehr Rente im Monat, ein gut verdienender Facharbeiter könne mit einem Plus von 225 Euro rechnen. Die Mehrkosten von rund 20 Milliarden Euro müssten indes Beitrags- und Steuerzahler finanzieren.

„Demografiezuschuss“ soll Mehrkosten auffangen

Der Beitragssatz soll bei 22 Prozent gedeckelt sein, so wie es auch bisher schon vorgesehen ist. Finanzieren will die SPD die Mehrkosten daher vor allem durch einen „Demografiezuschuss“ aus Steuergeldern – zunächst ginge es um einstellige Milliardenbeträge, ab 2028 würde der Renteneintritt der Babyboomer-Generation die Kosten in die Höhe treiben – jährlich müsste der Bund dann um die 15 Milliarden Euro aus Steuermitteln zuzahlen. Das Konzept basiert auf der Annahme, dass sich der Arbeitsmarkt weiter positiv entwickelt.

Die Einbeziehung von drei Millionen Selbstständigen, die nicht über ein Versorgungswerk abgesichert sind, soll außerdem neue Beitragseinnahmen sichern. Geplant ist schließlich eine Solidarrente, die langjährigen Beitragszahlern eine Rente von mindestens zehn Prozent über Sozialhilfe-Niveau garantieren soll. Eine Erhöhung des Rentenalters über 67 Jahre hinaus lehnt die SPD ab. Schulz verteidigte die Rentenwende auch mit dem Hinweis, die Rahmenbedingungen für die Rentenversicherung seien heute viel besser als zu Zeiten der rot-grünen Rentenreformen – vor allem die Beschäftigungslage.

Partei-Linke fordert sogar höheres Renten-Niveau

Beim Parteitag muss Schulz dennoch mit Debatten rechnen: Die SPD-Linke fordert nicht nur ein stabiles, sondern ein höheres Rentenniveau: Die SPD sollte „in der Perspektive auch wieder eine Anhebung des Rentenniveaus auf 50 Prozent anstreben“, sagte der Chef des SPD-Arbeitnehmerflügels (AfA), Klaus Barthel, unserer Redaktion. Zur Finanzierung könnten die Steuergelder verwendet werden, die bislang in die Förderung der Riester-Rente fließen. „Der SPD-Arbeitnehmerflügel wird versuchen, diese Forderung auf dem SPD-Parteitag noch durchzusetzen, eine Reihe von Landesverbänden unterstützt uns“, sagte Barthel. Es handele sich aber nicht um einen Großkonflikt, das Konzept sei ja bereits ein Fortschritt.

Anders als bislang üblich plant die SPD indes nur für den vergleichsweise kurzen Zeitraum bis 2030 – was danach passiert, ist offen. Das ist einer der Kritikpunkte von Union und Arbeitgebern. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte unserer Redaktion: „Diese Renten-Resterampe ist typische SPD-Politik: Erst mal gar nichts verändern, jetzt Geld ausgeben und die Finanzierungsfrage in die Zukunft verschieben.“ Die Vorschläge seien „weder innovativ noch nachhaltig“, sagte Scheuer. Auch die Arbeitgeber nannten das Konzept kurzsichtig, während der DGB Zustimmung signalisierte.

Die Opposition zerpflückt das SPD-Konzept

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte unserer Redaktion, die SPD habe in der Koalition erst zum Schaden des Rentensystems gezündelt und gebe jetzt die Feuerwehr. Statt das Rentensystem auf nachhaltigen Kurs zu bringen, hätten SPD und Union Klientelpolitik betrieben, die Armutsrisiken im Alter seien gestiegen. Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht erklärte, Schulz habe sich mit einem „völlig mutlosen Vorschlag“ blamiert: „Wer eine Sicherung des Lebensstandards im Alter verspricht, aber nicht eine der vielen Rentenkürzungen der letzten Jahre zurücknehmen will, setzt offensichtlich eher auf Wählertäuschung als auf Gerechtigkeit“.