Schweinfurt/Berlin. Kanzlerkandidat Martin Schulz gibt sich beim ersten Auftritt nach den verlorenen Landtagswahlen kämpferisch. Doch er hat es schwer.

Fast klingt es so, als habe es den Dämpfer für Martin Schulz und seine SPD gar nicht gegeben. Der Kanzlerkandidat wird mit minutenlangen „Martin, Martin“-Rufen und stehendem Applaus empfangen, viele der Genossen beim Landesparteitag der bayerischen SPD in Schweinfurt schwenken rote SPD-Fahnen zur Begrüßung. Es ist der erste große Auftritt des Parteichefs nach der verlorenen NRW-Wahl. Schulz zeigte sich in den vergangen Tagen tief getroffen, aber jetzt ist von Depression keine Spur.

Der Kanzlerkandidat steigt gleich auf die Rednertribüne, keine drei Minuten später donnert er seinen Anspruch in den Saal, die SPD solle bei der Bundestagswahl „stärkste Partei“ werden. Und er selbst, klar, trete an, um Bundeskanzler zu werden. Stürmischer Beifall der Delegierten.

Dabei blendet Schulz die Niederlagen gar nicht aus. Er weicht nicht zurück, aber er redet an diesem Tag, an dem er seine Offensive für den Bundestagswahlkampf beginnt, den Rückschlag gar nicht schön: Von einer Durststrecke und harten Tagen spricht er mit Blick auf die drei verlorenen Landtagswahlen und prophezeit einen „langen, steinigen Weg“.

Gerechntigkeit bleibt Kernthema

Martin Schulz zeigte in Bayern seine Fußballkünste.
Martin Schulz zeigte in Bayern seine Fußballkünste. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Was der Kanzlerkandidat dann in einer 90-minütigen Rede vorlegt, klingt stellenweise wie ein Neustart seiner Kampagne: Gerechtigkeit bleibt zwar das Kernthema. Aber die Kritik an vermeintlich ungerechten Zuständen im Land rückt Schulz deutlich in den Hintergrund – das hatte den Nerv vieler Wähler nicht getroffen, ihm aber den Vorwurf eingetragen, das Land schlechtzureden. Schulz schaltet um.

Sein Motto heißt jetzt: „Wenn es morgen noch gerecht zugehen soll, dann müssen wir heute in die Zukunft investieren.“ Deutschland sei ein „tolles Land“, die Menschen könnten stolz sein, sagt der Kandidat im neuen, positiven Schulz-Sound. Er wolle das Land gerechter machen, wo man es gerechter machen könne: Kitaplätze, Pflege, Krankenversicherung, gleicher Lohn für Frauen und Männer, mehr Weiterbildung sind einige Stichworte. Aber viel mehr noch spricht Schulz von Zukunft – er fordert Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Forschung oder den ländlichen Raum. Nicht die Inhalte sind neu, aber der Ton.

Schulz kritisiert Steuersenkungspläne der Union

Bei der Steuerpolitik bleibt er weiter vage. Familien und normale Arbeitnehmer wolle die SPD entlasten, aber nicht mit der Gießkanne Steuern senken für jene, die es nicht nötig hätten. Einzelheiten nennt Schulz nicht. Auch im Programmentwurf, den der Parteivorstand an diesem Montag beschließen soll, sind alle kniffligen Details zu Steuer oder Rente ausgespart – die will Schulz bis zum Parteitag am 25. Juni nachliefern. Streit ist programmiert.

Umso ausführlicher kritisiert er die Steuersenkungspläne der Union. Deren Versprechen plus die Ankündigung höherer Verteidigungsausgaben würden sich auf 55 Milliarden Euro summieren, was gar nicht finanzierbar sei. Ähnlich wie der französische Präsident Emmanuel Macron macht Schulz jetzt offensiv einen proeuropäischen Wahlkampf.

Statt mit erhobenem Zeigefinger als Spar- und Zuchtmeister durch Europa zu laufen, solle Deutschland seine Investitionen erhöhen – das führe auch zu mehr Importen aus anderen EU-Staaten. „Investitionsvorrang in Deutschland ist Europapolitik pur“, ruft er. Als Kanzler werde er eine deutsch-französische Initiative für ein „sozial gerechtes Wachstumseuropa“ ergreifen. Die Phase, in der sich Schulz vor allem innenpolitisch profiliert und Außenminister Sigmar Gabriel das internationale Feld überlässt, ist offenbar vorbei. Klar wendet sich der Kanzlerkandidat gegen eine neue „Aufrüstungsspirale“ und eine drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben, wirbt vielmehr für eine neue Abrüstungsstrategie in Europa.

NRW-Wahl: So eng wird es jetzt für Martin Schulz

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    Zukunftsplan für Deutschland

    Schulz sieht es offen als Fehler, dass er sich in den letzten Wochen aus Rücksicht auf die Landtagswahlen mit bundespolitischen Initiativen zurückgehalten hat. Jetzt will er zügig nachlegen. Mitte Juni wird sein Buch „Was mir wichtig ist“ erscheinen, in dem er in elf Kapiteln seine Überzeugungen und Pläne schildern will. Als Kurzfassung wird Schulz parallel einen persönlichen „Zukunftsplan für Deutschland“ vorlegen.

    Doch so kämpferisch sich der Kandidat gibt, er weiß, dass es schwer wird, die Stimmung zu drehen. In Umfragen baut die Union ihren Vorsprung aus. In einer neuen Emnid-Erhebung für „Bild am Sonntag“ legen CDU und CSU im Vergleich zur Vorwoche einen Punkt auf 38 Prozent zu, die SPD liegt nur noch bei 26 Prozent. Nur 15 Prozent der Befragten glauben, dass Schulz Kanzler wird.

    Martin Schulz will Kanzler werden

    Martin Schulz ist der Kanzlerkandidat der SPD für den Bundestagswahlkampf. Er steht für das Projekt Europa. Wofür steht der SPD-Chef noch? Dieses Foto zeigt den ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten an einem seiner größten Tage – mit der Medaille des Friedensnobelpreises, die 2012 die Europäische Union als Institution erhielt.
    Martin Schulz ist der Kanzlerkandidat der SPD für den Bundestagswahlkampf. Er steht für das Projekt Europa. Wofür steht der SPD-Chef noch? Dieses Foto zeigt den ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten an einem seiner größten Tage – mit der Medaille des Friedensnobelpreises, die 2012 die Europäische Union als Institution erhielt. © REUTERS | REUTERS / NTB SCANPIX
    Europa ist für den Mann aus Aachen, der nahe der Grenze zu den Niederlanden aufwuchs, ein Herzensanliegen.
    Europa ist für den Mann aus Aachen, der nahe der Grenze zu den Niederlanden aufwuchs, ein Herzensanliegen. © dpa | Stephanie Lecocq
    Zusammen mit dem EU-Kommissionpräsidenten Jean-Claude Juncker (re.) bildete Martin Schulz jahrelang das Führungsduo der EU.
    Zusammen mit dem EU-Kommissionpräsidenten Jean-Claude Juncker (re.) bildete Martin Schulz jahrelang das Führungsduo der EU. © dpa | Axel Heimken
    SPD-Mitglied Schulz ist nach Berlin gewechselt – und hat in seiner Partei große Hoffnung geweckt.
    SPD-Mitglied Schulz ist nach Berlin gewechselt – und hat in seiner Partei große Hoffnung geweckt. © REUTERS | REUTERS / FABRIZIO BENSCH
    Nachdem Sigmar Gabriel seinen Rücktritt erklärt hat, ging Schulz ins Rennen für die Bundestagswahl 2017.
    Nachdem Sigmar Gabriel seinen Rücktritt erklärt hat, ging Schulz ins Rennen für die Bundestagswahl 2017. © REUTERS | REUTERS / THOMAS PETER
    In der Flüchtlingspolitik engagierte sich Schulz besonders. Das Foto zeigt ihn im November 2015 in Athen beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft.
    In der Flüchtlingspolitik engagierte sich Schulz besonders. Das Foto zeigt ihn im November 2015 in Athen beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft. © imago | ZUMA Press
    2016 erhielt Martin Schulz bei der Publishers Night in Berlin die „Goldene Victoria“.
    2016 erhielt Martin Schulz bei der Publishers Night in Berlin die „Goldene Victoria“. © imago | Agentur Baganz
    Im September 2015 empfing Schulz als EU-Parlamentspräsident den Dalai Lama in Straßburg.
    Im September 2015 empfing Schulz als EU-Parlamentspräsident den Dalai Lama in Straßburg. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
    Papst Franziskus kam im November 2014 für eine Rede vor dem EU-Parlament nach Straßburg – natürlich begrüßt vom damaligen Hausherrn Martin Schulz.
    Papst Franziskus kam im November 2014 für eine Rede vor dem EU-Parlament nach Straßburg – natürlich begrüßt vom damaligen Hausherrn Martin Schulz. © REUTERS | REUTERS / POOL
    2013 überreichte Martin Schulz der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai den Sacharow-Preis des EU-Parlaments.
    2013 überreichte Martin Schulz der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai den Sacharow-Preis des EU-Parlaments. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
    Die Nummer eins will Martin Schulz demnächst in NRW sein – jedenfalls auf der Landesliste für die Bundestagswahl 2017.
    Die Nummer eins will Martin Schulz demnächst in NRW sein – jedenfalls auf der Landesliste für die Bundestagswahl 2017. © dpa | Michael Kappeler
    Der Brexit der Briten war ein harter Schlag für Schulz. Das Foto zeigt ihn im September 2016 bei einem Treffen mit der neuen britischen Premierministerin Theresa May in London.
    Der Brexit der Briten war ein harter Schlag für Schulz. Das Foto zeigt ihn im September 2016 bei einem Treffen mit der neuen britischen Premierministerin Theresa May in London. © REUTERS | REUTERS / STEFAN WERMUTH
    Die drei von der SPD: Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz.
    Die drei von der SPD: Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz. © REUTERS | REUTERS / FABRIZIO BENSCH
    Das „Projekt Europa“ begleitet Schulz nun von Berlin aus.
    Das „Projekt Europa“ begleitet Schulz nun von Berlin aus. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
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    Aber der Kandidat verweist in seiner Rede selbstbewusst darauf, dass die SPD bei seiner Nominierung im Januar in Umfragen bei nur 20 oder 21 Prozent gelegen habe. Der Anspruch auf das Kanzleramt sei damals „deutlich schwieriger“ gewesen als heute.