Berlin. Kurt Beck ist der Beauftragte für die Opfer vom Berliner Breitscheidplatz. Er will helfen. Für Herbst hat er einen Bericht angekündigt.

Es ist die Frage, die Kurt Beck immer wieder gehört hat. „Wie konnte das geschehen?“ Sie stellt sich für die Opfer des Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz umso drängender, vor allem bitterer denn je, nachdem klar geworden ist, dass Anis Amri, der Attentäter vom Weihnachtsmarkt, hätte verhaftet werden müssen. Und dass bei der Berliner Polizei offenbar versucht worden ist, das eigene Versagen zu vertuschen. Wenn das stimme, sagt Beck, dann müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, „ganz klar“. Die aktuellen Schlagzeilen wirkten auf die Opfer „wie ein Schlag ins Gesicht“.

Beck, ehemals SPD-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und heute Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, ist der Beauftragte der Bundesregierung für die Opfer des Anschlags. Er soll Ansprechpartner, Türöffner und Kontaktvermittler sein. „Er ist genau der Richtige für diese Aufgabe“, hatte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im März über den früheren SPD-Chef gesagt. Beck ist der Partner von Roland Weber, dem Opferbeauftragten des Landes Berlin, „wir ergänzen uns“, erklärt Beck.

Viele Opfer wollen in Ruhe gelassen werden

Der Rheinland-Pfälzer ist in seiner neuen Aufgabe viel unterwegs, „Tag und Nacht“, sagt er. „Mehr Aufwand kann man nicht betreiben.“ Der 68-Jährige geht in die Krankenhäuser, er redet mit Vertretern aus Israel, Polen oder Italien – den Ländern, aus denen viele Opfer stammen. Beck besucht Betroffene auch daheim, so wie am vergangenen Donnerstag, als er in Hildesheim einen Mann traf, der bei dem Anschlag seine Ehefrau verlor.

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    Jeder reagiert anders, jeder wird mit dem Schicksalsschlag auf seine Art fertig, hat Beck festgestellt. Manche fühlten sich alleingelassen, andere winkten ab: „Bitte nicht“. Sie wollen in Ruhe gelassen werden. Oft hilft allein schon das Gespräch, meist geht es aber auch um ganz praktische Dinge, etwa bei Anträgen auf Witwen- oder Waisenrente.

    Es werde „noch eine Zeit dauern“ bis alles geregelt sei, weiß Beck, der seine Aufgabe erst einmal für ein Jahr angenommen hat. In den Gesprächen, die er führt, kommen schnell die Erinnerungen an das Trauma jener verhängnisvollen Nacht im Dezember 2016 hoch. Er habe erlebt, „wie Menschen seelisch zusammenbrechen, wie sie weinen, anfangen zu zittern und zu schwitzen“, so Beck. Nach seiner Kenntnis sind noch zehn bis zwölf Opfer in stationärer Behandlung oder in der Reha, darunter einige „sehr schwere Fälle“ in der Charité und in Italien. „Ich befürchte, dass darunter einige Menschen sind, die niemals gesund werden“, sagt Beck.

    Kurt Beck kündigt für Herbst Bericht an

    Der Bundesbeauftragte will im Herbst einen Bericht vorlegen, verfasst „aus der Sicht der Betroffenen“. Dann könnte sich auch die Frage stellen, ob die Höhe der Soforthilfen angepasst werden müsse. Momentan liegt sie bei 10.000 Euro für Ehepartner und Kinder und bei 5000 Euro für Eltern und Geschwister. Es stehen drei Geldtöpfe zur Verfügung. Da ist erst mal das Opferentschädigungsgesetz, das ist Sache der Länder, also Berlins und des Lageso. Daneben besteht ein Härtefonds beim Bundesjustizministerium.

    Und schließlich kann man zugunsten der Opfer auf einen Topf der Versicherungswirtschaft zurückgreifen, der vor Jahren für Großverkehrsunfälle eingerichtet wurde. Die Versicherer haben für Personenschäden sieben Millionen Euro und für Sachschäden eine gute Million Euro zurückgelegt. Becks Eindruck ist, dass sich alle um unbürokratische Hilfe bemühen. „Ich kann mit bestem Wissen und Gewissen sagen: Ich erlebe viel Bereitschaft, alles Mögliche zu tun, um zu helfen.“

    „Ich schlucke die Kritik einfach runter“

    Trotzdem sind einige Opfer unzufrieden, manche klagen, der Staat tue zu wenig, Beck kümmere sich zu wenig. Er hat davon aus dem Fernsehen erfahren, ausgerechnet am Ende einer Woche, in der er als Opferbeauftragter sechs Tage lang unterwegs gewesen sei.

    Beck ist dünnhäutig, das war er schon früher in der Politik. Die Kritik habe ihn getroffen, „man kann da schon bitter werden.“ Aber er weiß auch, wie aufgewühlt die Menschen sind. Und dass sie das Recht dazu haben. „Ich schlucke das einfach runter“, sagt er.