Berlin. Die Verteidigungsministerin hat im Fall Franco A. das Schlimmste überstanden. Doch Ursula von der Leyens Aufgabenheft ist sehr dick.

Ursula von der Leyen sollte man um eine Speichelprobe bitten und ihre DNA analysieren. Womöglich findet sich die Formel für die nächste Teflon-Generation: Vieles lässt sie bei der Bundeswehr anbrennen, wenig bleibt an der Verteidigungsministerin haften.

Auch im Fall Franco A. hat sie womöglich das Schlimmste überstanden, obwohl offensichtlich ist, dass die CDU-Politikerin über Jahre Probleme der inneren Führung unterschätzt hat. Es ist schwer, von der Leyen gerecht zu werden. Für die Opposition wäre es nicht rollengerecht und für die SPD – ihre Partnerin in der großen Koalition – gerade nicht opportun. Denn es ist Wahlkampf in Deutschland.

Fragwürdige Traditionspflege

Von der Leyen mistet seit Jahren einen Stall aus, der nie sauber wird. Ihre Vorgänger haben die Wehrpflicht ausgesetzt, aber hatten kein neues Personalkonzept; sie haben die Armee für Frauen geöffnet, sich aber nicht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschert; gespart, aber nicht beachtet, dass Waffensysteme verrotten, und neue geordert – aber sich von der Wirtschaft über den Tisch ziehen lassen. Das ist nur eine Auswahl der Aufgaben, die von der Leyen im Amt erwarteten.

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    Übernommen hat sie nicht zuletzt den Leitspruch: „Wir. Dienen. Deutschland.“ Nicht der Nato, der EU, dem Frieden. Darin schwingt vieles mit, worüber gerade diskutiert wird, zum Beispiel ein falsches „Wir-Gefühl“, der berühmte Korpsgeist, und ein Schuss Nationalismus, der im Fall Franco A. nur deswegen anstößig wurde, weil der in Rechtsextremismus abglitt – und das ist die rote Linie, die nicht übertreten werden darf. Aber: Wenn man zurückschaut, dann war die Traditionspflege seit Jahren kritikwürdig. Die Namen mancher Kasernen sind nur ein Beispiel.

    Die Kasernen entrümpeln

    Manchmal kann man in der Politik harte Veränderungen nur oder am besten nach Schockerlebnissen durchsetzen. So wie die Arbeitsmarkt-Reformen nur möglich waren, als herauskam, dass bei der Agentur für Arbeit die Zahl der Jobvermittlungen geschönt wurden. Ein entschlossener Politiker ist einer, der die Gunst der Stunde nutzt, die Chance erkennt, die in jeder Krise steckt, das Momentum der Unsicherheit, in dem das Undenkbare möglich wird, sogar ein richtiger Neuanfang.

    Von der Leyen versucht gerade bei der Bundeswehr genau das: die Uhren auf null stellen. Die „Entrümpelung“ der Kasernen, die Durchleuchtung nach Wehrmachtsandenken, ist eine kluge Idee, weil sie im Kern eine erzieherische Maßnahme ist. Die Soldaten haben sie so verstanden, wie sie gemeint war, und in ihren Kasernen aufgeräumt. Die Überprüfung der inneren Führung ist allerdings eine Daueraufgabe, schon deshalb, weil sich auch eine Berufsarmee im Schnitt alle 17 bis 18 Jahre personell erneuert. Jede neue Generation von Soldaten muss aufs Neue eine politische Bildung erfahren.

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      Die misstrauische Ministerin

      Die Bundeswehr geht gerade durch eine Phase der Selbstbeschäftigung. Die Begleiterscheinungen sind Misstrauen und Verunsicherung. Und hier kommen die Defizite der Ministerin zum Vorschein. Wenn alles aufgeklärt ist, braucht eine Großorganisation eine Führung, die sie aufrichtet und mitnimmt, mit Leidenschaft und Herzenswärme integrierend wirkt.

      Der letzte Soldatenminister war – zu seiner Überraschung – Peter Struck. Ursula von der Leyen ist das Gegenmodell: distanziert und misstrauisch. Mit Aufklärungsaufgaben betraut sie am liebsten Außenstehende. Unter den Politikern gehört sie zum McKinsey-Typus: Sie kommt, analysiert, räumt auf, zieht weiter, gestern Familie und Arbeit, heute Verteidigung, morgen das Kanzleramt oder was auch immer. Aber eine Führung ohne Hingabe gibt Menschen keinen Halt.