Paris/Berlin. Der neue französische Präsident Emmanuel Macron ist jetzt offiziell im Amt. Sein erster Auslandsbesuch führt ihn zu Kanzlerin Merkel.

21 Kanonenschüsse, abgefeuert von zwei Haubitzen vor dem Pariser Invalidendom, verkündeten Frankreich am Sonntag um 12:10 Uhr offiziell, dass ein neuer Staatspräsident sein Amt angetreten hatte. Sofort nachdem Noch-Präsident François Hollande seinen Nachfolger Emmanuel Macron im Ehrenhof des Élysée-Palastes empfangen hatte, zogen sich beide Männer für eine Stunde zurück. Unter vier Augen weihte der „Alte“ den „Neuen“ in die wichtigsten Staatsgeheimnisse ein und übergab ihm den Koffer mit den Geheimcodes für die Atomwaffen.

Erst danach erfolgte die eigentliche Amtseinführung durch den Präsidenten des Verfassungsrates, die in der Übergabe der Insignien des Großkanzlers der Ehrenlegion gipfelte. In einer kurzen Ansprache, seiner ersten als neues Staatsoberhaupt, bekräftigte Macron, dass er seinen Landsleuten Selbstvertrauen und „Lust auf die Zukunft“ wiedergeben wollte. Die Franzosen hätten sich mit seiner Wahl für die Hoffnung entschieden. Nun gelte es, die Spaltungen in der Gesellschaft zu überwinden, betonte Macron, der sich zugleich für eine Neuausrichtung der EU aussprach, die wirksamer und demokratischer werden müsse.

Am Montag empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den neuen französischen Präsidenten in Berlin. Wie gut werden die beiden wichtigsten EU-Entscheider künftig harmonieren? Eine Spurensuche:

Politisches Temperament

Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Bundeskanzlerin Angela Merkel. © Getty Images | Sean Gallup

Beide sind kühl kalkulierende Politiker-Naturen, denen Impulsivität im Alltagsgeschäft eher abgeht. Im Gegensatz zu Merkel kann Macron im Wahlkampf mitreißen, Emotionen zeigen und einen Saal rocken, wenn er muss. Er zieht es jedoch vor, Dinge rational und konzeptionell anzupacken. Das verbindet ihn mit der Kanzlerin. Macrons Hang zu großen Ideen bei der Weiterentwicklung der EU dürften ihr aber genauso suspekt sein wie die traumwandlerischen Visionen des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama zu Beginn seiner Amtszeit.

Staatsverschuldung

Hier gibt es einen gemeinsamen Nenner. Macron weiß, dass Frankreich beim Abbau der Staatsschulden in Vorleistung treten muss. Das Land gibt 57 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für den öffentlichen Sektor aus – das ist Rekord in Europa.

Der jüngste Präsident in der Geschichte der französischen Republik will in den kommenden fünf Jahren rund 120.000 Stellen streichen und 60 Milliarden Euro einsparen. Das hört die CDU-Chefin gern. Macron dürfte zwar nicht die Leidenschaft der Kanzlerin für eine „schwarze Null“ teilen. Aber der Mann im Élysée weiß: Die öffentlichen Ausgaben müssen runter. Nur so kann er Merkels Unterstützung für das Projekt einer vertieften Integration Europas bekommen.

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    Arbeitsmarkt

    Auch hier existieren programmatische Schnittmengen zwischen der Kanzlerin und dem Präsidenten. Macron will das starre französische Arbeitsrecht lockern. So sollen der Kündigungsschutz aufgeweicht und Geschäftsleitung und Gewerkschaften die Möglichkeit haben, Arbeitszeiten auf Betriebsebene flexibel zu vereinbaren.

    Darüber hinaus ist eine steuerliche Entlastung der Unternehmen vorgesehen. Der Präsident ist sich bewusst, dass eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit der Firmen zu mehr Stellen führt. Weiteres Mittel zur Verminderung der hohen Arbeitslosenrate von fast zehn Prozent: 15 Milliarden Euro sollen in die Weiterbildung von Arbeitslosen und Jugendlichen fließen. Dieser Politik-Mix entspricht über weite Strecken dem Leitbild der deutschen Kanzlerin von sozialer Marktwirtschaft.

    Wirtschaftswachstum

    Bei diesem Thema sind die politischen Unterschiede zwischen Merkel und Macron mit am größten. Der Präsident will die französische Wirtschaft mit öffentlichen Investitionen in Höhe von 50 Milliarden Euro ankurbeln. Im Nachbarland ist der Glaube, dass der Staat die Konjunktur steuern kann, traditionell sehr viel mehr verankert als in Deutschland.

    Emmanuel Macron am Sonntag, dem Tag seiner Amtseinführung.
    Emmanuel Macron am Sonntag, dem Tag seiner Amtseinführung. © REUTERS | CHARLES PLATIAU

    Die Kanzlerin betont hingegen bei jeder Gelegenheit: Je besser die Rahmenbedingungen für Unternehmen, desto höher die Konkurrenzfähigkeit und das Wachstum. Also: Runter mit Steuern und Abgaben, weniger bürokratische Vorgaben, kürzere Genehmigungsverfahren. Dieses Rezept, so Merkel, ist der Grund für die Exportstärke der deutschen Wirtschaft.

    Macron sind die deutschen Überschüsse hingegen ein Dorn im Auge. Er fordert mehr staatliche Gelder für Straßen, Flughäfen oder Breitband-Netze, um die Nachfrage im Inland zu erhöhen. Für Merkel ist dies der falsche Ansatz. Sie will aber ihren Partner in Paris nicht auflaufen lassen und wird ihm wohl Zugeständnisse machen. Zum Beispiel in Form eines deutsch-französischen Investitionsfonds für den Ausbau des Internets.

    Europäische Integration

    Hier prallen zwei politische Welten aufeinander. Macron will die EU mit einem Kickstart auf eine neue Ebene heben: Er fordert ein Eurozonen-Parlament, ein Eurozonen-Budget sowie einen gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzminister. Eine europäische Wirtschaftsregierung soll öffentliche Investitionen, Steuersätze und Sozial-Standards in den Ländern des Währungsverbunds angleichen.

    Es liefe darauf hinaus, mehr Mittel in die wirtschaftlichen Sorgenkinder im Süden Europas zu pumpen. Für die Kanzlerin geht diese Übertragung nationaler Kompetenzen nach Brüssel zu weit. Ihr kommt es vor allem auf Haushaltsstabilität an, für die in erster Linie die EU-Mitgliedsstaaten sorgen sollen. Worauf sich Merkel einlassen könnte, ist die Einführung eines Europäischen Währungsfonds. Diese Institution wäre eine Weiterentwicklung des Euro-Rettungsschirms ESM, der Krisenstaaten hilft.

    Fazit

    Merkel und Macron sind Partner und Rivalen. Mit Blick auf die Zukunft der EU haben sie unterschiedliche Vorstellungen. Diese dürften sie herunterspielen und stattdessen mit Gesten den deutsch-französischen Schulterschluss betonen. Vor den Bundestagswahlen im September wird es kaum einen großen europapolitischen Wurf geben.